Amerika scheidet aus
Nach der Absage der amerikanischen Regierung als Vermittler in dem Reparationszahlungs-Streit zwischen Deutschland und den Alliierten aufzutreten sieht die Rhön Zeitung keine rosige Zukunft für Deutschland im Allgemeinen und das Ruhrgebiet im Speziellen.
Nach Amerikas Absage
Nun ist auch die letzte Hoffnung zerstört. Die amerikanische Regierung erblickt in den überaus weitgehenden deutschen Reparationsvorschlägen keine für die alliierten Regierungen angemessene Grundlage der Erörterungen und erklärt sich daher außerstande, die Vermittlung zwischen Deutschland und den Alliierten zu übernehmen. Präsident Harding legt der deutschen Regierung nahe, sofort der Entente klare, bestimmte, zweckentsprechende Vorschläge unmittelbar zu machen, die „in jeder Beziehung ihren angemessenen Verpflichtungen gerecht werden“.
Deutlicher konnte die Absage der amerikanischen Regierung kaum sein. Schon die Verzögerung der Antwortnote gab zu denken. Offenbar wollte Harding erst die Stimmung der Alliierten erkunden, und als man in Washington zu der Überzeugung kam, daß Paris und London die letzten Anregungen der deutschen Regierung nicht einmal der Erörterung wert hielten, verzichteten die Amerikaner alsbald auf die undankbare Rolle des Vermittlers, wie sie bereits vorher das Schiedsrichteramt abgelehnt hatten.
Die ablehnende Haltung Amerikas ist um so begreiflicher, als die Washingtoner Regierung auf die gegenwärtige Stimmung des amerikanischen Volkes Rücksicht nehmen mußte, die jeder Einmischung Amerikas in europäische Dinge abhold ist. Harding selbst hatte bei seinem Amtsantritt dieser Strömung Rechnung tragen müssen und in seiner ersten Botschaft die Fernhaltung Amerikas von allen europäischen Verwicklungen als Grundrichtung seiner Außenpolitik bezeichnet.
Für die Handlungsweise Hardings dürfte aber noch ein zweiter, bedeutend wichtigerer Grund maßgebend gewesen sein. Die amerikanische Regierung ist zweifellos der Auffassung, daß sie mit der Zusage Briands in London, daß Frankreich ins Ruhrgebiet nicht einmarschieren werde, falls Deutschland die Bedingungen der Entente annehme, das Ziel ihrer bisherigen Vermittlung erreicht hat. Schließlich – und das ist die größte Enttäuschung für die deutsche Regierung, - denkt Harding über die Leistungsfähigkeit Deutschlands genau so wie die Alliierten. Auch er hält die deutschen Vorschläge für ungenügend und steht aus dem Standpunkt, daß Deutschland fähig ist, die Londoner Bedingungen zu erfüllen. Mit einer glatten Handbewegung wird er daher das letzte deutsche Angebot, das nach Ansicht der maßgebenden Persönlichkeiten unseres Wirtschaftslebens die deutsche Leistungskraft schon weit übersteigt, abgetan. Gleichzeitig wird der deutschen Regierung der Rat gegeben, sich an die Alliierten selbst zu wenden und neue Vorschläge zu machen, die unseren Verpflichtungen entsprechen.
So sind wir uns wieder allein überlassen. Der aus eigenster Initiative der Reichsregierung entsprungene, ohne jede Mitwirkung des Parlaments unternommene Versuch, die Vereinigten Staaten als Vermittler oder Schiedsrichter in der großen Streit- und Schicksalsfrage zu gewinnen, ist gescheitert. Inzwischen hat die Alliiertenkonferenz in London ein neues Diktat ausgearbeitet, um Deutschland zur sofortigen und vorbehaltslosen Anerkennung der Ententeforderungen zu zwingen. Bis zum 12. Mai wird uns Frist gegeben. Ist bis dahin die bedingungslose Unterwerfung nicht erfolgt, dann sollen die französischen Divisionen in das Ruhrgebiet einrücken. Gibt es noch einen Ausweg? Kann und darf die deutsche Regierung angesichts der Beschlüsse des Obersten Rates überhaupt noch „befriedigende“ Vorschläge machen, nachdem man ihr letztes Angebot völlig unbeachtet gelassen hat? Eine ungeheure Verantwortung lastet in diesem Augenblick auf den Schultern der deutschen Regierung. Das Reichskabinett hat bis jetzt noch keine Entscheidung gefällt. Wie amtlich mitgeteilt wird, hat es die außen- und innerpolitische Lage auf Grund des vorliegenden Nachrichtenmaterials durchgesprochen. Zu einer endgültigen Beurteilung habe das Material jedoch nicht ausgereicht. Eine klare Übersicht über unsere Lage wird sich erst nach Eintreffen der endgültigen Mitteilungen aus London gewinnen lassen.
Quelle:
Rhön-Zeitung vom 6.5.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00172675/RhoenZ_1921-0409.tif