Anschluss verboten!
Die Jenaische Zeitung spricht sich mit Nachdruck für einen Zusammenschluss von Österreich und Deutschland aus, auch wenn dies insbesondere von Frankreich aktiv verhindert wird. Laut der Zeitung ist der Zusammenschluss eine Naturnotwendigkeit, die nicht aufgehalten werden kann.
Trotz alledem!
Die Anschlussbewegung in Österreich und seinen einzelnen Ländern erfüllt die große und die kleine Entente mit ernsten Befürchtungen. Man versteht eigentlich nicht, warum man sich so sehr dagegen sträubt, den Rest der ehemaligen österreichischen Monarchie sich mit Deutschland vereinigen zu lassen, denn im machtpolitischen Gebiet wäre der Zuwachs sicherlich im Vergleich zu den anderen Mächten ebenso geringfügig, wie der auf wirtschaftlichem Gebiet. Das arme Österreich, das nicht leben und nicht sterben kann, hat schwerlich so viel Kraft in sich, daß etwa sein Anschluß an Deutschland die Möglichkeit eines Revanchekrieges in nahe Aussicht stellen könnte. Wenn Deutschland dazu nicht allein stark genug ist, wird es auch mit Österreich ein solches Wagnis nicht unternehmen können, und daß jede Möglichkeit einer Vorbereitung verhindert wird, dafür sorgen sie Kontrollkommissionen der Entente in ausreichendem Maße. Wenn sich trotz alledem die große und die kleine Entente über jeden auch nur rein akademischen Schritt in der Richtung auf den doch unvermeidlichen Zusammenschluss Österreichs und Deutschlands aus höchste aufregen, so liegt darin uneingestandenerweise das Bekenntnis, daß die Angst vor dem Tage, an dem das deutsche Volk sich erheben und die ihm aufgezwungenen Ketten abschütteln könnte, doch nicht fern sei.
Nachdem das Land Tirol sich so gut wie einstimmig für den Anschluß ausgesprochen hat, wird am nächsten Sonntag Salzburg folgen. Frankreich in erster Linie, aber auch Italien und England, dann Rumänien und Jugoslawien, bieten alles auf, um die Abstimmung zu verhindern. In sehr geschickter Weise sind die maßgebenden politischen Persönlichkeiten Salzburgs im Einvernehmen mit der Wiener Regierung allen Einwänden, die von gegnerischer Seite auf Grund des Friedensvertrages von Saint Germain erhoben werden könnten, dadurch begegnet, daß die Abstimmung keine amtliche sondern privatim von den Parteien gemeinsam veranstaltete sein wird. Auf diese Weise wird das gerade Gegenteil von dem erreicht, was die Entente verhindern wollte: der Volkswille wird so elementar zum Ausdruck kommen, daß selbst der schärfste Gegner nicht wird behaupten können, es sei irgendwelche amtliche Beeinflussung dabei im Spiel gewesen. Der Anschlußgedanke ist unaufhaltsam auf dem Marsch und wird zum Ziel gelangen. Frankreich, Rumänien und Jugoslawien mögen noch so viele Proteste dagegen einreichen und drohen, die Österreicher lassen sich nicht mehr einschüchtern. Die Abstimmungen der einzelnen Länder, denen schließlich eine Gesamtabstimmung folgen wird, sind das wirksamste Mittel, um der zivilisierten Welt und namentlich den neutralen Mächten zu zeigen, daß das Selbstbestimmungsrecht der Völker kein leerer Wahn ist. Die unentwegten und unerschütterlichen Erklärungen der Österreicher über die Gestaltung ihrer staatlichen Zukunft werden auf die Dauer ihre Wirkung nicht verfehlen. So wird dereinst der Anschluß an das Stammesverwandte Deutschland doch erfolgen als eine Naturnotwendigkeit – trotz alledem!
Quelle:
Jenaische Zeitung vom 23.5.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00283700/JZ_JenaischeZeitung_169419428_1921_0815.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00400699
Bild:
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