100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Aufständische auf dem Vormarsch

Seit einer Woche tobt der dritte Aufstand in Oberschlesien und angesichts der teilweisen Passivität der westlichen Besatzungstruppen können die Polen große Teile der Provinz besetzen. Für die deutsche Seite wird die Luft dünn wie verschiedene Drahtmeldungen verdeutlichen.

Aufständische in Kattowitz

Die Polen Herren der Lage

(Drahtmeldung unseres Korrespondenten.)

Breslau, 9. Mai 1921.

Die Lage in Oberschlesien hat bisher nicht die geringste Aenderung erfahren. Die Polen sind Herren der Lage. Die Interalliierte Kommission, die bekanntlich in Oberschlesien einzog, um Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten, weiß vor Parteilichkeit für die Polen nicht mehr ein noch aus. Sie fordert die deutsche Bevölkerung auf, die Städte in Ruhe besetzen zu lassen, damit sie inzwischen mit den Polen verhandeln könne. Wirklich eine sonderbare Auffassung von Recht und Gerechtigkeit! Daß unter diesen Umständen die deutsche Bevölkerung zum Selbstschutz greift, um das Land gegen polnische Banditen zu verteidigen, ist zu verstehen. Andererseits ist aber auch nicht zu verkennen, daß die gegenseitige Bewaffnung den Bürgerkrieg in Oberschlesien bedeutet, der letzten Endes nur auf die Inaktivität der Interalliierten Kommission zurückzuführen ist. Gestern, Sonntag, sind in Oppeln stürmische Versammlungen abgehalten worden, in denen Tausende wehrfähige Männer sich bereit erklärten zum mindesten Oppeln gegen die Polen zu verteidigen. An General Le Rond wurde eine Abordnung geschickt, in der gefragt wurde, ob die Interalliierte Kommission zur Wiederherstellung des gesetzmäßigen Zustandes bereits Mittel ergriffen hat und welche Erfolge die Anwendung dieses Schrittes gehabt habe. Zugleich wurde Le Rond zu verstehen gegeben, daß, falls die Interalliierte Kommission bis Montag keine Gegenaktion gegen die Polen unternommen habe, der gebildete deutsche Selbstschutz in Aktion trete. Die Interalliierte Kommission erließ hierauf einen Aufruf, in dem sie die Oppelner Bevölkerung, die fast durchweg deutsch ist, zur Ruhe und Ordnung ermahnt und in dem sie mitteilt, daß ein Angriff der Insurgenten auf Oppeln mit aller Gewalt abgewehrt werden dürfte. Dieses Versprechen, die Stadt Oppeln zu schützen, bedeutet aber lediglich eine Sicherung der eigenen Haut des Herrn Le Rond, wodurch aber der oberschlesischen Bevölkerung insbesondere nicht geholfen ist. Die Polen setzen ihr Treiben ungehindert fort und Deutsche werden dagegen zur Ruhe und Ordnung ermahnt. Daß dieser Zustand von Gerechtigkeit nur ein Anreiz zur Selbstverteidigung ist, sollten sich auch die Ententebehörden sagen. Die deutsche Bevölkerung Oberschlesiens, die bisher äußerste Zurückhaltung übte, wird jedenfalls vor der Welt gerechtfertigt dastehen, und wenn sie heute zur Selbstverteidigung greift, was vom menschlichen Standpunkt durchaus zu verstehen ist, dann trifft die Schuld die Interalliierte Kommission, die es bis heute nicht für nötig hielt, die Polen mit dem gleichen Maße zu bewerten, mit dem die Deutschen seit Beginn der Besetzung bemessen werden.

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Sprengung einer Oder-Brücke durch die Aufständischen

Lloyd George über Oberschlesien

(Drahtmeldung von unserem Berliner Bureau.)

Berlin, 9. Mai 1921.

Lloyd George nahm die Vorgänge in Oberschlesien zum Anlaß einer Rede im Unterhaus und erklärte unter anderem folgendes: Wenn Deutschland in Uebereinstimmung mit dem Friedensvertrag von Versailles abgerüstet hat, hat es das Recht, zu verlangen, daß auch die Polen zum Einhalten des Vertrages veranlaßt werden. Es ist ein Vertrag, den wir Deutschland auferlegt haben. Wenn wir dies getan haben, müssen wir uns aber auch selbst daran halten. Großbritannien glaubt an ein ehrliches Spiel gegenüber einem gefallenen Gegner. Und wenn der Vertrag durchgedrückt ist, so muß er auch überall gehalten werden. Die Polen haben dem Vertrag von Versailles alles zu danken, ihre Freiheit, ihre Unabhängigkeit sind durch die Mächte gewonnen worden, die mit riesenhaften Leistungen den Vertrag zu stande gebracht haben. Durch diesen Vertrag ist Polen von der Knechtschaft mehrerer Generationen befreit worden. Wir können daher verlangen, daß die Polen sich unbedingt an diesen Vertrag halten. Die Urkunde ihrer Freiheit ist unterzeichnet mit dem Blute von Engländern, Franzosen, Italienern und Amerikanern. Mehr will ich über dieses Thema nicht sagen.

Quelle:

Das Volk vom 9.5.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_05_0773.tif

 

Bilder:

Powstańcy z Katowic - Aufstände in Oberschlesien – Wikipedia

III powstanie sląskie - Aufstände in Oberschlesien – Wikipedia