100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Aufstand in Oberschlesien Nr. 3

Nachdem das Abstimmungsergebnis vom 20. März nicht von der polnischen Seite anerkannt wurde, war absehbar, dass es wieder zu einem Ausbruch von Gewalt kommen wird, obwohl die Anwesenheit der französisch-britisch-italienischen Besatzungstruppe dies eigentlich hätte verhindern sollen. Die deutsche Seite vermutet sofort, dass die Franzosen mit den Aufständischen sympathisieren und den als neutraler eingeschätzten Italienern in den Rücken fallen.

Karikatur des Simplicissimus

Der Polenputsch in Oberschlesien.

Es kann leider keinem Zweifel mehr unterliegen, daß die Polen in Oberschlesien den Generalstreik nur inszenieren, um einen regelrechten Aufstand in die Wege zu leiten. Es steht fest, daß im Zusammenwirken mit polnischen Sokols im Lande bewaffnete polnische Banden von jenseits der Grenze in Oberschlesien eingefallen sind. Die Nachrichten von der Teilnahme regulären polnischen Militärs sind bis jetzt nicht bestätigt, doch nahm man schon immer an, daß die Hallersoldaten einfach in Zivilkleidung gesteckt würden, wenn es zu einem neuen Putsch käme. Ueber die Ausdehnung des Aufstandes gehen die Nachrichten noch auseinander. Es scheint so, als ob der Aufstand im großen und ganzen mißlungen ist, aber in vielen Teilen Oberschlesiens triumphiert tatsächlich die Rebellion. Die Interalliierte Kommission in Oppeln erklärt zwar ihren festen Entschluß, die Ordnung unbedingt aufrechtzuerhalten. Sie hat über das Aufstandsgebiet den Belagerungszustand verhängt. Ihre Vorkehrungen für den 3. Mai waren völlig ungenügend, und es scheint auch so, daß die französischen Truppen den einfallenden Banden nirgends entgegentreten sind. Nicht einmal die Sprengung wichtiger Brücken von Niederschlesien nach Oberschlesien hat der Ententeschutz zu hindern vermocht. Unsägliches Elend bricht wieder über die deutschen Bewohner zahlreicher Ortschaften herein. Die oberschlesischen Gewerkschaften aller Richtungen haben an den Internationalen Gewerkschaftsbund in Amsterdam ein Protesttelegramm geschickt, in dem sie sich auf das schärfste gegen den Generalstreik wenden, der gegen den Willen des größten Teils der Arbeiter proklamiert wurde. Sie bitten die Gewerkschaftsinternationale, nichts zu unterlassen, um das polnische Täuschungsmanöver zu vereiteln.

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Belagerungszustand in Oberschlesien.

Oppeln, 3. Mai, 11 Uhr 30 Min. Die Interalliierte Kommission hat den Belagerungszustand über die vom Aufruhr betroffenen Kreise verhängt. Sie wird vor keinem Mittel zurückschrecken, um die Achtung vor den Gesetzen sicherzustellen.

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Der Umfang der Aufstandsbewegung.

Kattowitz, 3. Mai. Heute früh rückten in Beuthen bewaffnete polnische Insurgenten ein und besetzten die öffentlichen Plätze. Französische Tanks besetzten die Straßenkreuzungen. Auf dem Lomnitzhotel weht die weiß-rote Flagge. Insurgenten, darunter Hallersoldaten, besetzten die Apo-Baracken im Wildpark und zerstörten die Redaktion des „Volkswillen“. Um 8 Uhr eröffneten die Insurgenten, unbekümmert um die aufgestellten Tanks, eine wilde Schießerei in der Stadt Kattowitz, die trotz Verhängung des Belagerungszustandes fortdauert. Bei Ober-Glogau sind zwei Eisenbahnbrücken gesprengt worden. In der Umgebung von Kandrzin sind 3.000 kriegsmäßig ausgerüstete Insurgenten versammelt. Mit Pleß und Rybnik besteht keine Verbindung mehr. Auch Sorau soll in der Hand von Insurgenten sein.

Beuthen, 3. Mai. Gegen 5 Uhr früh waren sämtliche Ausgänge der Stadt durch starke Insurgentenposten mit Maschinengewehren besetzt. Trotz des Alarms der Franzosen konnten sie sich fast eine Stunde lang behaupten, zogen aber, als die Franzosen durchgriffen, ab.

Mittags hielt vor dem Lomnitzhotel ein Auto der Interalliierten Kommission, das mehrere höhere Offiziere nach dem Hotel brachte. Kurze Zeit darauf bemerkte man, wie die gehißte polnische Flagge eingezogen wurde.

Oppeln, 3. Mai. Die Aufstandsbewegung ergibt nach den bis heute abend vorliegenden Meldungen folgendes Bild: Mit Ausnahme einiger Großstädte sind fast sämtliche Ortschaften im Zentralrevier in der Hand der bewaffneten polnischen Aufständischen, ebenso die Ortschaften Lublinitz, Groß-Strelitz, Tarnowitz. Der Bahnverkehr ruht vollkommen. Es wird nur ein Pendelverkehr in den nördlichen Kreisen notdürftig aufrecht erhalten. In den Kreisen Rybnik, Pleß, Lublinitz, Königshütte und Gleiwitz ist die Lage sehr ernst. Nach dem Vorbehalt wiedergegebenen Meldungen haben die italienischen Truppen bei ihrem Vorgehen gegen die Insurgenten in den Kreisen Rybnik und Pleß große Verluste erlitten. Aus dem Landkreise Tarnowitz sind mehrfach deutschgesinnte Leute verschleppt worden. Der Kreis Razionkau sowie Teile der Stadt Hindenburg sind in der Hand der Polen. Die Abstimmungspolizei in Hindenburg wurde entwaffnet. Die Städte Kattowitz, Beuthen und Tarnowitz sind frei von Aufständischen. Man befürchtet ein Einrücken der regulären polnischen Truppen in Oberschlesien. Die Truppen der interalliierten Kommission haben im Laufe des Tages Streifen unternommen. Die Aufständischen, meist jüngere Leute, führen auch Lastkraftwagen, schwere Maschinengewehre und Minenwerfer mit sich.

Quelle:

Jenaer Volksblatt vom 4.5.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273882/JVB_19210504_103_167758667_B1_001.tif

 

Bild:

26_11.pdf (simplicissimus.info)