100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Boykott gegen die Entente?

Wirtschaftssanktionen sind schon vor hundert Jahren ein erprobtes Mittel der internationalen Beziehungen. In Reaktion auf das Londoner Ultimatum fordern nationalistische Kräfte in Deutschland eine wirtschaftliche Form der Gegenwehr. Der ökonomische Sinn dieser Idee ist freilich ebenso fragwürdig wie das gesamte Konzept der Reparationen.

Karikatur des Simplicissimus

Kampf den Feindbundwaren!

Von J. Henningsen.

Deutschlands Waffen sind leider zerbrochen und abgeliefert worden, und mit dem geringen Restbestande unsres einst so schlagfertigen Heeres können wir uns der Feinde nicht erwehren. Trotzdem sind wir nicht wehrlos, und wenn die Feinde uns zum Weißbluten bringen und dauernd politisch und wirtschaftlich versklaven wollen, müssen wir uns zum wirtschaftlichen  Abwehrkampf aufraffen. Schon der Selbsterhaltungstrieb muß unser deutsches Volk dazu bringen, die Waren der Feinde abzulehnen und durch Unterstützung der eignen deutschen Wirtschaft die Erwerbslosigkeit vermindern zu helfen. Auch der einfältigste Mensch, der immer noch an die Großmut der Feinde glaubte und deren Einsicht erwartete, muß sich nach den Londoner Verhandlungen darüber klar geworden sein, daß unsere Feinde in blinder Rachgier uns nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich vernichten wollen. Auf die Weltwirtschaft sind mehr oder minder alle Völker der Erde eingestellt, und der Bankerott eines so großen Erzeuger- und Verbrauchervolkes, wie es unser deutsches Volk auch heute noch ist, wird weite Wellen schlagen und andere Völker in den vernichtenden Strudel mit hineinziehen. Vereinzelt beginnt den Feinden die Erkenntnis ihrer Selbstmordpolitik schon zu kommen. Unter andern bezweifeln „Morning Post“ und „Daily Herald“ die Wirksamkeit der feindlichen Maßnahmen, und „Daily Herald“ veröffentlicht sogar eine Zuschrift, in der es heißt.

„Es würde für England lohnender sein, den Deutschen elf Milliarden Pfund in Gold zu geben und sie zu bitten, uns Aufträge zu erteilen, als die Deutschen zahlen zu lassen.“

Unser Kampf gegen die Feindbundwaren wird an den feindlichen Ländern, die schon jetzt unter starker Erwerbslosigkeit leiden, die Einsicht wachsen lassen, daß sie gerade im gegenwärtigen Zeitpunkte Deutschland als Absatzgebiet nicht entbehren können. Schon 1913 hatte Deutschland aus den hauptsächlichsten feindlichen Ländern Belgien, Frankreich und England und deren Kolonien ohne Gold und Silber folgende Einfuhr:

Belgien

344,6 Mill. M.

Australien

296,1 Mill. M.

Britisch-Indien

541,8 Mill. M.

Britisch-Südafrika

69,6 Mill. M.

Aegypten

118,4 Mill. M.

Frankreich

584,2 Mill. M.

Großbritannien

876,1 Mill. M.

Kanada

64,1 Mill. M.

Neben Rohstoffen für Landwirtschaft und Industrie, die wir aber zum großen Teil auch aus andern Ländern beziehen können, kamen dabei wegen der gerade im deutschen Volke stark ausgeprägten Fremdtümelei Fertigerzeugnisse in Frage, die wir mindestens ebenso gut, teilweise gar besser und billiger herstellen konnten. Manchmal handelt es sich sogar um Waren, die in Deutschland erst abgesetzt werden konnten, nachdem sie von hier nach den jetzigen feindlichen Ländern gegangen waren, um, mit fremder Marke versehen, zu teuren Preisen wieder zurückkommen. Viele deutsche Fabriken mußten wegen der Fremdsucht dazu übergehen, ihre Waren mit ausländischen Bezeichnungen zu versehen, wenn sie dafür im eignen Lande Absatz finden wollten. Auch heute ist die Fremdtümelei leider noch nicht beseitigt, obgleich dadurch den eignen Volksgenossen Arbeit und Brot fortgenommen wird. Schokolade, Seife, Riechwässer, Zigaretten, Weine, Liköre, Seiden- und andere Stoffe, Schreibmaschinen, Papiere usw. überschwemmen den deutschen Markt, schädigen unsere Valuta und tragen dazu bei, daß uns manchmal das Geld für die nötigsten Nahrungsmittel und Rohstoffe, die wir dringend für den Wiederaufbau gebrauchen, fehlt. In allen Ständen ist leider die Sucht nach feindlichen Waren tief eingerissen. Jetzt, wo es um das nackte Leben geht, wo nach dem Willen der Feinde noch mindestens zehnmal soviel Deutsche, wie auf den Schlachtfeldern dahin gerafft worden sind, vernichtet werden sollen, ist jeder Mann und jede Frau, die nicht in den wirtschaftlichen Abwehrkampf eintreten, ein Verräter am eignen Volke.

[…] Sogar der Wurm krümmt sich, wenn er getreten wird, und auch ein 60 Millionen Volk darf nicht kampflos zugrunde gehen; es muß sich wehren und wird dann den Feinden die Ueberzeugung beibringen, daß Deutschlands Vernichtung und Katastrophe für alle Länder der Erde nach sich ziehen müßte. Wenn alle Volksgenossen ihre Pflicht tun, wird der Feindbund nicht aus Liebe zu uns, sondern aus Sorge für sich selbst, von seinen Vernichtungsplänen ablassen. Darum deutsche Männer und Frauen!

Wer das deutsche Wirtschaftsleben fördern,

Wer die Erwerbslosigkeit bekämpfen will,

Wer den Vernichtungswillen der Feinde brechen,

Wer 20 Millionen Deutsche vor dem Tode oder der Auswanderung bewahren will,

der sage mit uns:

Kampf den Feindbundwaren!

Quelle:

Der Deutsche vom 7.5.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00247701/SDH_19376538_1921_Der_Deutsche_0455.tif

 

Bild:

www.simplicissimus.info/uploads/tx_lombkswjournaldb/pdf/1/26/26_11.pdf