Chinesische Kultur in Jena
In einer Vortragsreihe im Jenaer Volkshaus wird über die Kunst und Kultur Chinas aufgeklärt. Das Reich der Mitte ist vor 100 Jahren nicht so weit entfernt, wie man annehmen könnte. Von 1897 bis 1914 hatte sich das Kaiserreich einen kleinen Landstrich um die heutige Stadt Qingdao angeeignet, wo bis heute Spuren der deutschen Kolonialzeit (wie eine weltbekannte Brauerei) zu finden sind.
China und das Abendland
Drei Vorträge von Dr. Wilhelm-Tsingtau. 28., 29. u. 30. April im kl. Volkshaussaal Jena.
I.
Das Interesse für die Kunst und Philosophie des fernen Ostens ist heute bei uns mit Macht rege geworden. Man wäre versucht von einer ostasiatischen Mode zu sprechen, wenn man die Fülle der Publikationen indischer, chinesischer und japanischer Kunst, die zahlreichen Uebersetzungen der Dichter und Philosophen dieses Kulturkreises betrachtet, die in den letzten Jahren erschienen sind. Wenn man sieht, wie heute die Sammeltätigkeit auf diesem Gebiete neu auflebt und die große Frankfurter Frühjahrskunstmesse dieses Jahres eine auserlesene Ausstellung asiatischer Kunst aus dem Besitze der deutschen Museen und Sammlungen vereinigt. – Aber die Gründe für diese Erscheinungen liegen heute doch wohl tiefer und es war eine höchst dankenswerte Tat, daß es gelungen ist, einen Redner wie Herrn Dr. Wilhelm für Jena zu gewinnen, einen der besten Kenner chinesischer Sprache und Kultur, dessen Uebersetzungen chinesischer Dichtung und Philosophie in Deutschland lange bekannt waren. Dr. Wilhelm, der 20 Jahre lang in Tsingtau als Missionar und Lehrer an einer deutschen Schule für Chinesen tätig war und mit allen Kreisen der Bevölkerung in engste Berührung kam, mag wohl als berufener Interpret chinesischen Wesens gelten.
Seine Ausführungen, die sich in drei Abschnitte gliederten: „Kultur und Religion“, „Chinesische Kunst“ und „China und das Abendland“, gaben wertvolle Ausschüsse und Anregungen zu den Fragen, die heute uns und den fernen Osten angehen; denn das Interesse ist keineswegs einseitig. Auch die gebildeten Kreise und die studierende Jugend Chinas sind seit Jahren von lebhaftestem Drang nach der Bekanntschaft mit europäischer Technik und Wissenschaft erfüllt, nicht zuletzt auch nach deutscher Philosophie und Dichtung – Kant und Goethe beginnen dort sogar in weiteren Kreisen bekannt zu werden. Die Chinesen sind nicht der exotische Volksstamm, von dessen Grausamkeit man sich bei uns Schauermärchen erzählt und die man ähnlich wie Neger, Indianer, Buschmänner usw. durch Gewalt und zweifelhafte Segnungen der Zivilisation zermürben und sich unterwerfen zu können glaubte. Bis heute ist das noch nicht gelungen und wird auch, wie Wilhelm meint, niemals gelingen. Der Weiße hat hier mit einer ihm geistig völlig gleichstehenden, wenn nicht überlegenen Rasse zu rechnen und eine kriegerische Auseinandersetzung, wie wir sie für die nächste Zukunft gerne zwischen Amerika und Japan voraussagen, kann niemals diese Probleme lösen. Die Auseinandersetzung wird und muß auf wirtschaftlichem Gebiet mit geistigen Waffen erfolgen.
Die Bekanntheit mit China ist bis vor kurzem eine recht äußerliche geblieben. Berührungen haben schon im Altertum, im Mittelalter und z. Zt. der Renaissance stattgefunden. Im 16. und 17. Jahrhundert gelang es zum ersten mal und zwar durch die Jesuiten (Franz Xaver) China näher kennen zu lernen. Fast wäre damals die christliche Religion in ihrer katholischen Ausprägung in China zur Staatsreligion geworden. Engere kaufmännische Beziehungen bestanden damals natürlich auch (Holland) und als Folgeerscheinung hatten wir die erste ausgesprochene Chinamode, am ausgeprägtesten z. B. des Rokoko. Man denke nur an Porzellane, Lackmöbel, Stickereien und Gebrauchsgegenstände aller Art, die in ganz Europa Verbreitung und Nachahmung fanden. Auch in der Literatur ist der Niederschlag dieser Ereignisse bis in die klassische Zeit hinein spürbar. Durch das Aufblühen der Romantik erlosch das Interesse für diese Kunst- und Geistesrichtung jäh, man besann sich auf die deutsche Vergangenheit. Aehnlich lagen die Dinge in China. Man fühlte sich von den Eindringlingen zu stark belästigt und schloß sich ganz plötzlich gegen alle westlichen Einflüsse ab. Erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts rückten politische Ereignisse China wieder mehr in den Vordergrund des Interesses. Die Engländer führten ihren Opiumkrieg und versuchten mit Macht sich den Osten zu unterjochen. Man importierte mit der europäischen Zivilisation die europäischen Laster und suchte dadurch seinem Ziel näher zu kommen. Aber die ungeheure Ausdehnung des Reiches mit seinen weit über 300 Millionen Einwohnern, die ungeheure Lebenskraft und die starken geistigen Fähigkeiten des chinesischen Volkes verhinderten seine Unterwerfung und seinen Untergang. Der Weltkrieg vollends ließ den Chinesen. Der Weltkrieg vollends ließ den Chinesen die Schwächen der europäischen Zivilisation nur zu deutlich erkennen. Heute besinnt sich Chinas Jugend auf ihren eigenen Kulturbesitz. Wenn auch die europäischen Lebensformen, die Errungenschaften der Wissenschaft und Technik immer mehr dort Eingang finden, ist der Chinese doch auf seiner Hut und nimmt mit Konsequenz nur das für ihn Brauchbare an.
So wird China, das heute in einer politischen Zerrissenheit lebt, die höchstens im Deutschland des 30jährigen Krieges und im Italien des Mittelalters ihr Analogon findet, allmählich wieder zur Ordnung und Macht kommen. Wilhelm erzählte in sehr interessanter Weise, wie dort jede Stadt, ja jedes Dorf, jede Handelsgesellschaft sich selbst regiert. Eine Zentralgewalt besteht in dieser „Republik“ nur mehr dem Namen nach. Aber jeder dieser kleinen Komplexe bemüht sich, soweit seine Macht reicht, alles möglichst gut zu machen, getreu den Lehren des Konfuzius, auf die im weiteren ausführlich eingegangen werden soll. Dazu wird China sich von europäischer Staatsordnung und systematischem Denken manche wertvolle Hilfe holen können. So kann durch eine friedliche Durchdringung der örtlichen Kultur mit westlicher Wissenschaft ein neuer Aufstieg des chinesischen Volkes erfolgen und nur so kann ein Kampf beider Kulturen vermieden werden, der nach Wilhelms Meinung bei der gleichen Stärke der beiden Gegner nur mit der Vernichtung beider enden könnte.
Quelle:
Das Volk vom 6.5.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_05_0764.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00192617