100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

„Das Lied von der Erde“ in Sondershausen

Die berühmte Sinfonie des österreichischen Komponisten Gustav Mahlers wird auf einem Musikfestes in Sondershausen aufgeführt. Dies ist Anlass für das kurze Porträt über Mahler im „Deutschen“.

Fotographie von 1898

Mahlers Grab bei Wien

Aus Anlaß des Sondershäuser Musikfestes, bei dem Gustav Mahler mit seinem großartigen „Lieb von der Erde“ zu Wort kommt, veröffentlichen wir einen Aufsatz von Erich Böhlke, einem begeisterten Anhänger Mahlers, geschrieben aus Anlaß des 10 jährigen Todestages Mahlers am 18. Mai 1921.

Ostermontag. Mit der Straßenbahn geht es in 20 Minuten nach Grinzing. Durch diese Gassen ist melodiensummend Arm in Arm mit seinen Freunden einst Schubert gegangen. Und die Melodien waren sicher um so schöner, je besser der „Heurige“ geschmeckt hatte. – Von der kleinen Kirche, aus der die Klänge einer verstimmten Orgel den Weg ins Freie suchen, führt ein schmaler Pfad bergauf. Die Sonne bricht durch die Wolken, als ich die Höhe erreiche und die Großstadt zu meinen Füßen finde: das ganze turmreiche Wien von einem blaugrauen Schleier überzogen; ein unirdisches Bild, eine Vision. Im Tale schlägt die Kirchenuhr zehnmal an. Heller Vormittag hier oben. Zur Rechten das schmale Tor eines Friedhofes. Dieser Friedhof ist das Ziel meiner Wallfahrt. Ein breiter Hügel, ganz von Efeu überdeckt; dahinter ein von Lebensbäumen umgebener schmuckloser Stein, an dem eine einzige Efeuranke hinaufsteigt bis über die beiden Worte: Gustav Mahler. Kein Kranz, keine Blume. Der Wind, der oben noch sangeslustig durch das frische Laub der alten Bäume fuhr, schweigt plötzlich. Eine Amsel stolziert bedächtig über den besonnten Weg. Und nun scheint nichts Lebendes mehr in der Nähe zu sein.

Wer hätte diese Ruhe mehr verdient als der von seinem mit Arbeit so reich angefüllten Leben hier ausruhende Meister. Das von ihm inbrünstig geliebte Wien dort unten hat schlecht gedankt für seine Aufopferung. Das ganze Dezennium hindurch, in dem er als Direktor an der Spitze der Hofoper wirkte, beschenkte er die Wiener in verschwenderischer Weise mit Aufführungen, die auf denkbar höchster Stufe standen. Diese launenhafte Stadt, die ihn zunächst schnell auf den Schild ihrer höchsten Huld erhob, bereitete ihm später die größten Bitternisse seines Lebens. Mahler war ein „Fanatiker der Arbeit“. Es gab im Theater Proben ohne Ende, und manchem harten unbedachten Wort gegen stillose oder mangelhafte Leistungen folgten Intrigen über Intrigen. Ihn ergriff der Ekel über solch Verhalten so stark, daß er seinen Abschied nahm. Die tiefe Depression Mahlers drückt sich in seinem Abschiedsschreiben an die Mitglieder der Hofoper aus: „Statt eines Ganzen, Abgeschlossenen, wie ich geträumt, hinterlasse ich Stückwerk, Unvollendetes, wie es den Menschen bestimmt ist.“ – Hinterließ er wirklich Stückwerk, Unvollendetes? Wer sich einmal ganz der Schönheit des Liedes von der Erde hingegeben hat, dem wird vielleicht wie mir der Gedanke gekommen sein, daß noch viele Generationen kommen werden, die erschüttert und dann wieder aufgerichtet unter dem Eindruck solcher Schöpfungen stehen müssen, vielleicht so wie die heutige unter Beethoven. Aber wer kennt Mahlers neun Symphonien, wem ist das Lied von der Erde Erlebnis geworden? Chauvinismus bösester Art sucht dieses Schaffen zu verdecken oder gar zu entehren.

Grab Mahlers auf dem Grinzinger Friedhof

Anderen ist der Name Mahler Streitsache und Mode. Aber auch diese Zeit wird vergehen und ich bin fest davon überzeugt: es werden einmal sehr viele sein, die diese Symphonien lieben: alle vielleicht, die eine so inbrünstige Liebe zur Natur in sich tragen, wie der heimgegangene Meister sie besaß. Er hat selber einmal geäußert: Wie man Mozart als den Sänger der Liebe bezeichnet, so wird man mich einmal den „Sänger der Natur“ nennen. Ich sah schon mehr als einen Musiker weinen, wenn der Mittelteil des ersten Satzes aus dem Lied von der Erde mit überströmender und unsagbar trauriger Innigkeit ausklang: „Das Firmament blaut ewig und die Erde wird lange feststehen und aufblühen im Lenz.“

[…]

Sein Grab liegt einsam, wie der Mensch es im Leben war. Dreimal pilgerte ich hinaus; keine einzige Seele näherte sich dieser Stätte. In einem Jahrhundert wird es anders sein; denn auch für seine Werke wird der große Ostertag anbrechen.

Quelle:

Der Deutsche vom 14.5.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00247701/SDH_19376538_1921_Der_Deutsche_0485.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00307597

 

Bilder:

Mahler Foto 22 - Gustav Mahler – Wikipedia

Grinzinger Friedhof - Gustav Mahler - Gustav Mahler – Wikipedia