Deutschland unterschreibt
Das Londoner Ultimatum wird im letzten Moment vom Reichstag angenommen. Reichskanzler Fehrenbach tritt jedoch als Konsequenz zurück und gibt den Weg frei für seinen Parteikollegen Joseph Wirth, der in derselben Parteikonstellation ein Kabinett bilden wird.
Annahme des Ultimatums.
Berlin, 11. Mai, 12 Uhr 25 Minuten nachts. Der Reichstag hat das Entente-Ultimatum mit 221 gegen 175 Stimmen bei einer Stimmenenthaltung angenommen.
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Die Regierungsbildung.
Nachdem Montag nacht die Frage der Annahme des Entente-Ultimatums dadurch entschieden worden war, daß im Reichstage eine sichere Mehrheit für die Annahme des Entente-Ultimatums besteht, vereinigte sich gestern alles Interesse auf die Zusammensetzung der neuen Regierung. Bei den ungeheuren Schwierigkeiten war es klar, daß auch Auswege erwogen wurden, die nicht bedenkenfrei sind. So war der Vorschlag gemacht worden, der Reichstag sollte zunächst über das Ultimatum abstimmen und dann sollte die Regierung Fehrenbach den Beschluß des Reichstages der Entente übermitteln. Es wurde gesagt, daß es durchaus noch im Rahmen einer die Geschäfte führenden Regierung liege, wenn sie einen Beschluß des Parlaments ausführt. Gegen diese Lösung war vor allen Dingen der Reichspräsident Ebert, der seinerseits den Finanzminister Wirth mit der Kabinettsbildung betraute. Die etwas plötzliche Uebertragung dieser Mission an Herrn Wirth hatte leider zur Folge, daß eine Anregung des demokratischen Parteiführers Petersen stark beeinträchtigt wurde, die zum Ziele hatte, ein Kabinett der großen Koalition von der Deutschen Volkspartei bis zur Mehrheitssozialdemokratie zu bilden. Die Sozialdemokratie hat schließlich mit 56 gegen 20 Stimmen beschlossen, sich an der Bildung einer Regierung zu beteiligen oder unter Umständen die Bildung einer Regierung selbst zu übernehmen, die das von der Entente gestellte Ultimatum annimmt. Auch der Parteiausschuß trat diesem Beschlusse bei, und zwar mit 28 gegen 13 Stimmen. Die Sozialisten haben mit diesem Beschluß zu erkennen gegeben, daß sie auch mit der Deutschen Volkspartei in eine Koalition gehen würden, sofern diese für die Annahme des Ultimatums sein würde. Leider hat dann die Fraktionssitzung der Deutschen Volkspartei rundweg jede Beteiligung an einer Regierung abgelehnt. Damit ist der Deutschen demokratischen Partei ihre einzunehmende Haltung außerordentlich erschwert worden. Bis zur Stunde steht die Entscheidung der demokratischen Fraktion darüber, ob sie in eine Regierung Wirth oder etwa Bauer eintreten soll, noch aus. Der Reichstag wird um 7 Uhr abends zusammentreten.
Quelle:
Jenaer Volksblatt vom 11.5.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273887/JVB_19210511_108_167758667_B1_001.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371330
Bild:
Bundesarchiv Bild 146III-105, Joseph Wirth - Joseph Wirth – Wikipedia