100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Ein Ultimatum an Deutschland bevorstehend?

Der erste Geburtstag des Landes Thüringen findet in der Presse wenig Beachtung, was angesichts der innen- wie außenpolitisch hochdramatischen Lage des Reiches nicht verwundert. Mehrere Meldungen zur Außenpolitik verdeutlichen die prekäre Lage kurz vor dem Londoner Ultimatum.

Karikatur des Simplicissimus

Meinungsverschiedenheiten zwischen den Alliierten.

London, 1. Mai. Das Reuterbureau meldet, daß die Sachverständigen der Alliierten mit Bestimmtheit darauf rechnen, zu einem Abkommen zu gelangen, durch das die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Alliierten beigelegt werden. Anstatt daß die Alliierten sofort ins Ruhrgebiet einmarschieren, soll Deutschland ein kurzes Ultimatum gestellt werden, nach dessen Ablauf sollen Zwangsmaßnahmen in Kraft treten, falls Deutschland das Ultimatum ablehnt.

Die Sitzung des Obersten Rats.

London, 30. April. Nachdem er viereinhalb Stunden beraten hatte, vertagte sich der Oberste Rat um 7 Uhr 30 Minuten abends auf morgen Vormittag 11 Uhr.

Paris, 30. April. Havas berichtet aus London: Die erste Besprechung von heute vormittag 12 Uhr 30 Minuten zwischen Lloyd George und Briand dauerte knapp eine halbe Stunde und war sehr freundschaftlich. Die beiden Ministerpräsidenten prüften die Reparationsfrage in ihren großen Zügen. Lloyd George gab zu erkennen, daß er den Gesamtplan des Vorgehens der Verbandsregierungen im Ruhrgebiet infolge des deutschen Verzuges am 1. Mai gutheiße, jedoch wurden einige Einwendungen gegen gewisse Einzelheiten der Durchführung dieses Planes erhoben, in erster Linie hinsichtlich einer Abgabe auf die Ruhrkohle.

In der Nachmittagssitzung des Obersten Rates wird die durch die Haltung Deutschlands  geschaffene Lage eingehend geprüft werden und ebenso wie alle möglichen Folgeerscheinungen. Die verbündeten Sachverständigen werden sodann den Aktionsplan in allen Einzelheiten prüfen.

London, 30. April, abends. Wie bereits gemeldet, trat der Oberste Rat heute nachmittag 3 Uhr zusammen, um die Maßnahmen zu beraten, die getroffen werden sollen, um Deutschland zu zwingen, den Forderungen der Alliierten stattzugeben. „Star“ zufolge werden die Beratungen vielleicht bis Mittwoch dauern. Vor der Sitzung des Obersten Rates fand eine Reihe von Vorbesprechungen statt, bei denen Versuche gemacht wurden, eine wichtige Meinungsverschiedenheit, die zwischen den Alliierten entstanden ist, zu regeln. Die Frage, über die den Blättern zufolge die Alliierten bisher keine Uebereinstimmung erzielt haben, lautet: Soll Deutschland ein Ultimatum übersandt werden, oder soll ihm eine neue Gelegenheit gegeben werden, bevor das Ruhrgebiet besetzt wird. Großbritannien schlägt vor, Berlin eine Note zu übersenden, in der der deutschen Regierung eine Frist von sieben Tagen gewährt wird, um den Forderungen der Alliierten stattzugeben, oder ein annehmbares Angebot zu unterbreiten. Frankreich widersetzte sich diesem Vorschlag und erklärte, Deutschland sei durch Verpflichtung der fälligen 12 Milliarden Goldmark seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen. Eine sofortige militärische Aktion müsse deshalb eingeleitet werden.

London, 30. April. (Reuter.) Nach dem amtlichen Kommunique beriet der Oberste Rat in seiner heutigen Sitzung über die Lage, die sich daraus ergeben hat, daß Deutschland den Vertrag von Versailles hinsichtlich der Entwaffnung, der Bestrafung der Kriegsschuldigen und der Reparationen nicht vollständig ausgeführt hat. Vor Vertagung der Besprechung beschloß man eine sofortige Untersuchung der Modalitäten und Garantien durch die Sachverständigen.

Deutsche Sachlieferungen an Frankreich

Vor einer endgültigen Entscheidung.

Paris, 1. Mai. Der Sonderberichterstatter der Havasagentur meldet über die Nachmittagssitzung des Obersten Rates, sie habe nur eine Stunde gedauert und es sei in ihr ein erneuter Fortschritt gemacht worden. Lloyd George habe sich dem Vermittlungsvorschlage des belgischen Ministers Jasper angeschlossen. Da dieser Vorschlag jedoch den Beginn der Ausführungen von Zwangsmaßnahmen in sich schließe, habe er geblaubt, aufs neue sich mit seinem Ministern beraten zu müssen. Der Sonderberichterstatter der Havasagentur glaubt, es sei wahrscheinlich, daß Lloyd George die Zustimmung seiner Ministerkollegen zu dem eingebrachten letzten Vorschlage erhalten werde. In diesem Falle soll Deutschland während der unerläßlichen Vorbereitungszeit für das Vorgehen im Ruhrgebiete die Bedingungen der Alliierten annehmen. Wenn es jedoch bei seiner intransigenten Haltung bleibe, dann werde England seinen militärischen und maritimen Beistand für die ins Auge gefaßten Maßnahmen geben. Eine endgültige Entschließung wird morgen früh gefaßt werden.

Amerika will seine Vermittlertätigkeit fortsetzen.

Paris, 1. Mai. Nach einem Telegramm der „Chicago Tribune“ aus Washington will die Regierung der Vereinigten Staaten dem Obersten Rate ernste Einwendungen gegen die wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen in Deutschland übergeben. Nach einer offenbar inspirierten Nachricht hatte die Regierung gestern abend erklärt, daß sie ihre Vermittlertätigkeit auch dann nicht aufgeben werden, wenn die Besetzung durchgeführt wird.

Deutschland schuldet 12 Milliarden bis 1. Mai.

Paris, 1. Mai. Die Reparationskommission hat der Kriegslastenkommission mitgeteilt, ohne der in Kürze fertigzustellenden Aufstellung vorzugreifen, schulde die deutsche Regierung für die Schäden, deren Reparation ihr nach dem Versailler Vertrage obliege, den Vertrag von 12 Milliarden Goldmark, der am 1. Mai fällig ist.

Die Resolution Knox vom Senat angenommen.

Washington, 30. April. Der Senat hat die Friedensentschließung des Senators Knox mit 49 gegen 23 Stimmen angenommen. Senator Lodge, der in einer Rede die Entschließung befürwortete, kündigte an, daß wahrscheinlich ein Vertrag mit Deutschland folgen würde, sobald sie Gesetzeskraft erlangt haben würde. Im Anschluß an den Vertrag mit Deutschland würden auch Verträge mit den übrigen feindlichen Staaten abgeschlossen werden. Der Präsident und der Vertreter des Staatsdeparements erklärten, Senator Lodge habe es klar ausgesprochen, daß die Vereinigten Staaten nicht die Absicht hätten, die Alliierten im Stich zu lassen.

Quelle:

Jenaer Volksblatt vom 2.5.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273880/JVB_19210502_101_167758667_B1_001.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371323

 

Bilder:

www.simplicissimus.info/uploads/tx_lombkswjournaldb/pdf/1/26/26_10.pdf

Bundesarchiv Bild 183-R02190, Deutsche Reparationslieferungen - Deutsche Reparationen nach dem Ersten Weltkrieg – Wikipedia