100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

„Fair play“ in Oberschlesien

Die britische Regierung unter Lloyd George versucht eine vermittelnde Position in Oberschlesien einzunehmen. Die Thüringische Landeszeitung zweifelt jedoch an der Ehrlichkeit der britischen Absichten.

David Lloyd George (1863-1945)

Ehrlich Spiel.

„Fair play“, ehrliches Spiel, soll bei der Entscheidung über das Schicksal Oberschlesiens gespielt werden. Lloyd George hat es feierlich im Parlament verkündet. Deutschtum und Polentum sind in Oberschlesien so sehr aufeinander angewiesen, daß auch vernünftigen Polen die Unentbehrlichkeit des deutschen Elementes kein Geheimnis blieb und daß sie heute lieber als morgen den Schritt zur Verständigung tun möchten. Ihnen diesen Schritt zu erleichtern und damit die Wunden, die der Abstimmungskampf und der Korfanty-Aufstand geschlagen hat, zum Schließen zu bringen, wird jetzt die Aufgabe weiser deutscher Staatskunst sein. Das Autonomiegesetz ist zwar gegeben, aber ob man es mit allen Konsequenzen zur Durchführung bringen wird, begegnet in Oberschlesien sogar in maßvollen deutschen Kreisen manchen Zweifeln. Um so eher ist das Mißtrauen der Polen zu verstehen, die ihr Volkstum nicht aufgeben wollen und auch nicht aufgeben sollen. Nur ehrlich verbürgter gegenseitiger Schutz der nationalen Minderheiten schafft hier die Quellen der Zwietracht aus der Luft. Ehrliches Spiel, das ist das, was jetzt die deutsche Regierung gegen die Polen in Oberschlesien spielen muß.

Es wäre vermessen zu glauben, daß daraus nun zwangsläufig auch das von Lloyd George geforderte ehrliche Spiel der Entente folgen muß. Lloyd Georges subjektive Ehrlichkeit in Ehren, aber ob das, was er für ehrliches Spiel hält, auch von den Deutschen so empfunden werden wird, ist noch die Frage. Einstweilen steht ihm noch die Auseinandersetzung mit Briand hervor, und wenn diese zu einem Kompromiß führen wird, so kann man füglich schon heute bezweifeln, daß dieser Kompromiß von Deutschland als ehrliches Spiel anerkannt werden wird. Englands Interesse daran, daß die Entente keine Risse erhält, ist erheblich größer als sein Interesse an ehrlichem Spiel, an Oberschlesien und sonst noch einigem, was Deutschland lieb und wert ist.

Freilich, die Situation für Deutschland ist, wenn der Korfanty-Aufstand zusammenbricht, so günstig, wie nie zuvor. Nur darf den Franzosen keine Gelegenheit gegeben werden, etwa nachträglich zu behaupten, daß ihre Methode des Hinauszögerns daran schuld sei, daß die Bewegung sich totgelaufen habe. Das ist nicht der Fall, und deutsche Staatskunst muß alle Beweismittel aufbringen, um diese Behauptung von vornherein zu widerlegen. Gewiß kann man glauben, daß den Franzosen die Entwicklung der Dinge, wie sie jetzt kamen, willkommen ist, nachdem die Voraussetzung ihrer Begünstigung, die Nichtannahme des Ultimatums durch Deutschland, fortgefallen ist. Man darf den Franzosen keine Zeit zu einem Frontwechsel lassen. Der Reichskanzler Wirth hat jetzt Gelegenheit, die erste Probe seines Könnens abzulegen, wenn es ihm gelingt, die Entente dahin zu bringen, daß sie in Oberschlesien nicht nur ehrliches Spiel spielen zu wollen erklärt, sondern daß sie wirklich ehrliches Spiel spielen muß.

Quelle:

Allgemeine Thüringische Landeszeitung vom 19.5.1921

 

Bild:

David Lloyd George, 1st Earl Lloyd-George of Dwyfor - Detail - David Lloyd George – Wikipedia