100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Frauenpower im Parlament

Rund drei Jahre nach der Einführung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts zieht Anna Blos, die die SPD in der Weimarer Nationalversammlung vertrat, eine positive, aber nüchterne Bilanz der bisherigen Arbeit von weiblichen Parlamentarierinnen. Gemessen daran, dass es nur sehr wenige von ihnen gebe, hätten die Politikerinnen bereits viel geleistet.

Anna Blos (1866-1933)

Was deutsche Parlamentarierinnen leisten.

Von Anna Blos, Stuttgart.

Es ist nicht ganz leicht, heute schon über positive Leistungen der deutschen Parlamentarierinnen zu sprechen. Die Frauen kamen erst seit dem 5. Februar 1919 im Parlament in Betracht, und sie traten dort zu einer denkbar ungünstigen Zeit ein. Das tragische Schicksal des besiegten Deutschland lastete auf der Nationalversammlung. Die Beratungen standen unter dem Druck des Waffenstillstandes, der im Grunde eine Fortsetzung des Krieges ohne Waffen war. Es wurde fieberhaft an der Verfassung der jungen deutschen Republik gearbeitet. Aber es galt auch, die so unsäglich schweren Friedensbedingungen zu prüfen, Entschlüsse zu fassen, wie sie wohl früher nie ein Parlament zu fassen brauche. All das stellte unerhörte Forderungen an die Nerven- und Arbeitskräfte aller Abgeordneten, insonderheit aber der Frauen, trotzdem sie mit viel gutem Willen und Hoffnungsfreudigkeit an ihre Arbeit gegangen waren.

Als der jetzige Reichspräsident bei der Eröffnung der Nationalversammlung die Mitarbeit der Frauen besonders herzlich willkommen hieß, da glaubten wohl die weiblichen Abgeordneten, daß sie vor allem berufen wären, einen Frieden des Rechts und der Gerechtigkeit mit schließen helfen zu können. Daß statt dessen ein Gewaltfrieden geschlossen werden mußte, war die grausamste Enttäuschung für die meisten. Sie mußten aber auch empfinden, daß fast alle Pläne, die sie für ihr Geschlecht und für die heranwachsende Generation auszuführen gedachten, an der Tatsache scheitern mußten, daß Deutschland ein armes, ausgepreßtes Land geworden ist, in dem leider gerade die Mittel für Kulturarbeiten, welche die Frauen zu leisten gedachten, immer wieder beschnitten werden mußten. Für die früheren Gegner des Frauenstimmrechtes waren die Parlamentarierinnen wohl im allgemeinen eine angenehme Enttäuschung. Gleich die erste Rednerin im deutschen Parlament, die Sozialdemokratin Juchacz, betonte, daß die Frauen auch als Abgeordnete ihre Frauenart nicht verleugnen wollten, und bis auf Frau Zietz ist wohl auch keine Frau als abstoßend unweiblich bezeichnet worden. Im Gegensatz zu Frau Zietz wird z. B. ihre Kollegin bei den Unabhängigen, Frau Lore Agnes, immer besonders gerühmt, ihres ruhigen bescheidenen Auftretens wegen.

Auch die Befürchtung, daß die Frauen durch vieles und unnötig langes Reden die Verhandlungen stören würden, ist nicht eingetreten. Meist haben die Frauen sich sehr kurz gefaßt und nur da geredet, wob besondere Frauen- oder Erziehungsinteressen zur Debatte standen. Verweiblicht ist das Parlament dadurch nicht worden, denn die Frauen traten kaum einmal männerfeindlich auf. Sie betonten stets nur das Recht des weiblichen Menschen, wo ihnen dieses durch ihre männlichen Kollegen gefährdet schien.

Die Zahl der weiblichen Abgeordneten, 41, bei 423 Abgeordneten, war ja auch sehr klein. Aufgestellt waren insgesamt 310 Frauen als Kandidatinnen, aber meist an aussichtslosen Stellen. Auffallend ist es, daß sich die weiblichen Abgeordneten als Frauen nur ein einziges Mal wirklich solidarisch fühlten. Das war bei der ersten Adresse an die Frauen und Mütter aller Länder, in denen trotz Waffenstillstandes noch Tausende von Deutschen in Gefangenschaft schmachteten. Sonst vertraten die Frauen durchweg den Standpunkt der Fraktion, der sie angehörten. In vereinzelten Fällen nur nahmen sie sich das Recht, anders zu stimmen, oder sie fehlten bei der Abstimmung.

Die gewählten Frauen waren fast alle berufstätig, meist Lehrerinnen. Verheiratete Frauen waren fast ausschließlich bei den linksstehenden Parteien. Die übrigen Parteien hatten unverheiratete Frauen, in einem Fall eine Witwe aufgestellt. Es zeigt sich aber hier die große Schwierigkeit, den Beruf der Hausfrau und Mutter mit den Pflichten der Abgeordneten zu verbinden. Erst die kommende Zeit wird diesen Konflikt lösen können.

Hedwig Dransfeld (1871-1925)

Das Regierungsprogramm enthielt die Forderung: „Heranziehung der Frauen zum öffentlichen Dienst, entsprechend den auf allen Gebieten vermehrten Frauenaufgaben.“ Dementsprechend forderten die ersten Rednerinnen die sofortige Inangriffnahme aller sozialen und sozialpolitischen Maßnahmen, wie die Fürsorge für Hilfsbedürftige, für Kinder und Mütter, für Kriegshinterbliebene, Wohnungsfürsorge, Bevölkerungspolitik, Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, die nicht nur eine medizinische, sondern auch eine moralische Angelegenheit ist, das Schulwesen, den Aufbau des Wirtschaftslebens.

Daß die weiblichen Abgeordneten stellenweise auf den Ton einzuwirken suchten, in dem besonders ernste, die Frauen angehende Angelegenheiten behandelt wurden, zeigen die Proteste, die sie erhoben, als die Fragen der Prostitution und die der Stellung des unehelichen Kindes erörtert werden.

Interessant war die Stellung der Frauen zu dem Antrag auf Abschaffung der Todesstrafe. Dafür stimmten die Frauen der sozialistischen Parteien und Frau Dransfeld vom Zentrum. Einige Frauen der nichtsozialistischen Parteien „fehlten“ bei dieser namentlichen Abstimmung. Die übrigen Frauen stimmten mit ihren Fraktionen für Beibehaltung der Todesstrafe.

Dem Antrag der sozialistischen Frauen, Ehe und Mutterschaft stehen unter dem Schutz der Verfassung und haben Anspruch auf die Fürsorge des Staates, stand der Antrag der übrigen Parteien, Ehe und Mutterschaft nicht in einem Satz vom gleichen Gesichtspunkt aus zu behandeln gegenüber. Die sozialistische Rednerin wünschte, „daß mit der Annahme ihres Antrages das Unrecht gegenüber dem unschuldigen unehelichen Kind aus der Welt geschafft wird, damit aber auch das Unrecht gegen den weiblichen Menschen.“ Dieser Anschauung trat die demokratische Rednerin bei, die im übrigen den Antrag ihrer Fraktion vertrat. „Die Ehe steht unter dem Schutz der Verfassung. Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staates.“ In dieser Fassung ging der Antrag durch und damit wohl der erste Paragraph in einer Verfassung, welcher der Mutterschaft in ihrer großen Bedeutung gerecht wird.

Zum ersten Male wurde, auch wieder durch Fraueneinfluß, die Gesetzgebung dem unehelichen Kind gerecht. Wenn auch der Antrag der Linken auf völlige Gleichstellung der unehelichen mit den ehelichen Kindern nicht durchging, so wurde doch die Forderung durchgesetzt: „Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern.“

[…]

Grab von Anna Blos in Stuttgart

Es würde zu weit führen, die Anträge, Anfragen usw. aller weiblichen Abgeordneten hier zu besprechen. Das Hauptinteresse aller politischen Frauen liegt auf dem Gebiet der sozialen Fürsorge. In besonderen Frauenfragen waren die Meinungsverschiedenheiten der Frauen oft groß, z. B. in dem Kampf um das Wort „grundsätzlich“, des Paragraphen, der den Frauen gleiche Rechte und Pflichten wie den Männern geben soll. Ferner in der Stellungnahme zum unehelichen Kind, zur Frage der verheirateten Beamtin. Das zeigt, daß die Frauen keineswegs so sehr ihre „frauenrechtlerischen“ Interessen im Parlament vertraten, sondern daß sie sich der Verfassung gemäß als „Vertreter des ganzen Volkes“ fühlten. Aber sie sind auch Vertreter weiblicher Wähler und mußten leider als solche manche Wünsche zurückstellen. So blieb ihnen manche Enttäuschung nicht erspart, so wenig wie den Frauen, die gewählt hatten. Und trotzdem, die 15 Monate der Arbeit in der Nationalversammlung waren Höhepunkte für die, die mitarbeiten konnten.

Die Zahl der weiblichen Abgeordneten im Reichstag ist kleiner, ihre Aufgaben stellenweise noch schwerer. Die ganze deutsche Frauenwelt aber muß begreifen, daß das Wahlrecht, das ihnen die Revolution brachte, zu den Gütern gehört, die man erwerben muß, um sie zu besitzen. Das heißt: sie müssen sich nicht begnügen, ihre Wahlzettel abzugeben, sondern ihre Pflicht erfassen, daß jede einzelne Frau heute in ganz anderer Weise als früher berufen ist zum Wiederaufbau an unserem schwer geprüften Vaterland.

Quelle:

Allgemeine Thüringische Landeszeitung vom 24.5.1921

 

Bilder:

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