Hurra, Hurra das „Sowjetwappen“ ist da
Das Rot-Weiß der neuen Thüringer Landesflagge und die Sterne des Landeswappens erinnern nicht alle an Franken oder Stars & Stripes. „Der Deutsche“ aus Sondershausen mokiert sich über das „ochsenblutrote“ Wappen mit den Sowjetsternen und fragt ironisch warum man in Thüringen die polnischen Flagge hisse.
Das Sowjetwappen Thüringens.
Der Dorfzeitung wird geschrieben: „Hurra! Es ist da! Das neue Wappen Thüringens! In der am 25. April 1921 in Weimar ausgegebenen Nummer 15 der Gesetzsammlung von Thüringen wird es dem erstaunten Volk bekannt gegeben. Wie aber schaut’s aus? Erzeugt in der demokratisch-sozialdemokratischen Ehe des Thüringer Regierungsblocks, kann seine Grundfarbe gar nicht anders sein als rot, blutrot, oder um mich der Ausdrucksweise eines hochmodernen Schriftstellers anzuschließen: ochsenblutrot. Und an diesem roten Himmel prangen sieben Sowjetsterne! Fein, gelle? Ja, ja, was lange währt, wird gut! Und lange hat’s wirklich gedauert, bis dies Kind zur Welt kam. Vom 18. Januar bis 7. April lag der Landtag – oder war es die Regierung? – in Geburtswehen! Die allererste Vorlage war dies Gesetz über das Wappen und die Landesfarben Thüringens, das die Regierung dem Landtag bei seinem diesjährigen Zusammentritt übergab, und als eins der letzten ist es endlich, wenige Tage vor dem Auseinandergehen des Landtags verabschiedet worden. Und dabei drängte die Regierung wiederholt auf Erledigung. Es war aber auch eine ganz fürchterliche Verwirrung, die in dieser Beziehung in dem notdürftig zusammengeflickten Land Thüringen herrschte. Alle Behörden mußten bei Ausstellung von Bescheinigungen, Pässen, Urkunden aller Art laut Anweisung des Thüringer Staatsministeriums sich bei der Unterschrift als „Thüringische“ Behörde (also: Thüringisches Amtsgericht, Thüringischer Bezirksdirektor, Thüringischer Oberförster usw.) bezeichnen und konnten als Siegel nur die alten Stempel, z. B. Sachsen-Meiningisches Amtsgericht, Sachsen-Weimarischer Bezirksdirektor, Schwarzburgischer Oberförster mit den alten Wappen benutzen, wobei dann das Wappen vielfach noch die Herzogliche oder Fürstliche Krone zeigte und es – schrecklich, schrecklich! – sogar noch passieren konnte, daß im Drang der Geschäfte ein Gericht oder ein Landrat es übersah, die Bezeichnung „Herzogl.“ oder „Fürstl.“ in der Umschrift wegzustreichen. Denn aus altgewohnter Sparsamkeit hatten die meisten thüringischen Staaten die alten Stempel und Siegelmarken noch beibehalten, und Herrn Hänisch’s drakonische Maßregel, der kürzlich einen Beamten im preußischen Kultusministerium mit einer Strafe von 300 M. belegt haben soll, weil er das Wort „Königlich“ im alten Vordruck nicht fortgestrichen hatte, war damals noch nicht bekannt, konnte also noch keine Nachahmung finden, obwohl Herr Abg. Kieß-Jena schon damals gegen das furchtbare Verbrechen des Jenenser Universitätsrektors, der im Vorlesungsverzeichnis noch den Großherzog von Sachsen als rector magnificentissimus aufgeführt hatte, mit allen Waffen seines spärlichen Witzes und mit der ihm für solche Fälle zu Gebot stehenden sittlichen Empürung zu Feld gezogen war. Von den thüringischen Staaten hatte sich nur der Volksstaat Reuß in bekannter Großzügigkeit – Kosten spielen ja bekanntlich in Reuß keine Rolle, denn „Thüringen bezahlt alles“ – ein ganz neues Wappen geleistet, das wir heraldisch als ein sogenanntes „redendes“ Wappen bezeichnen möchten: um ein großes lateinisches R baumelt lose die schief hängende Wage der Gerechtigkeit, schief hängt sie gewiß deshalb, weil die eine Waagschale zu sehr von dem berüchtigten reußischen Disziplinargesetz belastet wird, diesem Gesetz, das bekanntlich für am Kappputsch beteiligte reußische Beamte ein besonderes Ausnahmedisziplinargericht schuf, dessen Zusammensetzung derart war, „daß eine Beurteilung in einem bestimmten Sinn von vornherein gesichert erschien“, ein Vorgehen, von dem selbst der demokratische Reichsminister des Innern Koch bezweifelte, „ob es mit dem Grundgedanken eines Rechtsstaates noch zu vereinigen sei.“ So erfüllte denn allein das reußische Wappen die Erfordernisse, die von sozialdemokratischer Seite als notwendige Erfordernisse eines modernen Wappens bezeichnet wurden: klare Schrift und klare Symbolik. Denn wir deuten das Wappen so: In der Reußischen Republik ist’s mit den Grundlagen des Rechts schief bestellt.
Doch zurück zum thüringischen Wappen! Der Entwurf der rosaroten Regierung hatte wenigstens noch Anklänge an das alte thüringische Stammeszeichen aufrecht erhalten wollen: der altthüringer weiß und rot gestreifte Löwe war als Wappenkopf gedacht. Das uralte Stammeszeichen der Thüringer, das man bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen kann, war der aufrechte silberne Löwe auf blauem Grund. […] So sollte dann der alte Löwe wenigstens im Wappenkopf erhalten bleiben. Aber auch das verwarf die herrschende Sozialdemokratie. Fort mit der „kriegerischen Bestie“! Nur friedliche Sowjetsterne dürfen am blutroten Himmel des „roten“ Thüringen kreisen! […] Weiß-rot sollen die Fahnen künftig von Thüringens Häusern herab wehen. Ob’s viele sein werden? Die „Unentwegten“ flaggen doch auch künftig nur rot, und die Mitglieder der Rechtsparteien? Ob sie sich zur Kompromißflagge entschließen werden, die schon äußerlich versinnbildlicht, daß die eine Hälfte von Thüringens Bewohnern rot gesinnt ist, die andere zur weißen Farbe schwört? Ach, wenn es doch erst so weit wäre! Wenn wir doch erst – wie in England – nur zwei Parteien im Land hätten! Es würde vieles besser sein. Das eine aber ist sicher: von den amtlichen Gebäuden Thüringens werden von jetzt ab bei festlichen Anlässen die polnischen Farben wehen, denn weiß-rot sind Polens Farben. Mein stets symbolische Anspielungen witternder Bekannte meinte sarkastisch: Also polnische Wirtschaft! Einen Trost aber haben wir dabei doch: Bei den Hauptfesten des roten Thüringen, dem 1. Mai und den 9. November, wird in Zukunft amtlich nicht mehr lediglich und allein rot geflaggt werden, selbst in Reuß nicht!“
Quelle:
Der Deutsche vom 2.5.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00247701/SDH_19376538_1921_Der_Deutsche_0439.tif
Bild:
Wappen Land Thüringen - Land Thüringen (1920–1952) – Wikipedia