Neues von der oberschlesischen Pressefront
Der dritte Aufstand in Oberschlesien ist mit Abstand der blutigste und wird schätzungsweise 3.000 Menschenleben fordern. In der Presse kommt es dabei zu verschiedenen Anschuldigungen und Drohungen, die das Kampfgeschehen unmittelbar beeinflussen können.
Der Lebenskampf um Oberschlesien.
Neue Verdächtigungen Deutschlands.
Briand erklärte als Antwort auf Lloyd Georges letzte Rede im Unterhause einem Vertreter des „Temps“, der Auszug aus der Rede des englischen Premierministers, den er besitze, sei zu unvollständig, als daß er ein endgültiges Urteil abgeben könne. Er sei nicht erstaunt gewesen, daß der französische Standpunkt von dem Lloyd Georges wesentlich abweiche. Der englische Standpunkt werde beeinflußt von der Ansicht des britischen Kommissars in Oberschlesien, die von der Ansicht des französischen Vertreters und auch in gewisser Beziehung von der des italienischen Kommissars abweiche. Es sei wünschenswert, daß man den drei Kommissaren die unbedingt nötige Zeit lasse, um ihre verschiedenen Ansichten auszugleichen und gemäß dem Vertrage einen einheitlichen Vorschlag hinsichtlich der Grenzlinie zu machen. Es seien drei verschiedene Berichte erstattet, die die Alliierten noch nicht gemeinsam hätten prüfen können. Das sei der Grund der Unruhen, aber auch die falsche deutsche (?) Nachricht über den endgültigen Charakter der Zusprechung des Industriegebiets an Deutschland entgegen dem Ergebnis der Volksabstimmung trage Schuld daran. Briand vertritt den Standpunkt, daß das Uebel noch vollständig wieder gutgemacht werden könne, denn die interalliierte Kommission habe ihre volle Pflicht getan, ohne in irgend einer Weise mit den Aufständischen zu paktieren (?!), noch einen Waffenstillstand mit ihnen abzuschließen, wie es die tendenziöse deutsche Propaganda, die die Welt überflute, gesagt habe. Die Ruhe sei beinahe wieder hergestellt (?); man habe einen direkten Kampf zwischen deutschen und polnischen Banden verhindert …
Ein italienischer Bericht über Oberschlesien.
Ein oberschlesischer Berichterstatter der „Idea Razionale“ meldet folgendes: „Unter der deutsche Bevölkerung wächst die Erregung. Die Bürgerschaft von Oppeln ist gegen die Franzosen erbittert. Ein französischer Soldat hat ohne irgendwelchen Grund einen Deutschen vor einem Oppelner Gasthofe mit der Pistole erschossen. Die Franzosen schickten ihre Frauen fort, da sie offenbar die Besetzung der Stadt durch die Polen erwarten. Auf dem rechten Oderufer widersteht nur noch Kreuzburg den Polen. Sieben Sturmangriffe der Aufständischen wurden abgewiesen. Die ohne Schutz gebliebenen italienischen Behörden werden von den Deutschen tatkräftig unterstützt, was sie gern tun, um die Italiener vor der Wut der Polen zu schützen. Im südlichen Landesteile werden die italienischen Besatzungen immer noch belagert. Die polnischen Angriffe auf das linke Oderufer werden immer drohender. Die Franzosen verboten die Verteidigung der Schleusen auf der Oder, über die die Polen vorzudringen versuchten. Ratibor steht vor der Umzingelung. In drei Tagen erwartet man den polnischen Angriff auf Oppeln. In Gleiwitz, Kattowitz und Hindenburg herrscht Hungersnot.“
Die Alliierten unfähig, die Ordnung wieder herzustellen.
In der letzten Botschafterkonferenz wurde mitgeteilt, daß 60.000 Mann für die Wiederherstellung der Ordnung in Oberschlesien notwendig seien. Aber keine der alliierten Mächte könne hierfür die Kosten tragen, es sei daher das beste, die Interalliierte Kommission gewähren zu lassen. Sie müsse zunächst durch Verhandlungen Zeit gewinnen. Es stehe fest, daß der Oberste Rat demnächst die Grenze festsetzen werde. Ursprünglich sollte die Botschafterkonferenz dies tun, aber dies ist nach der letzten Rede Lloyd Georges nicht mehr möglich, da es ausgeschlossen erscheint, daß sich die verschiedenen alliierten Vertreter innerhalb der Botschafterkonferenz über die Grenze einigen würden.
Neue Drohungen Korfantys.
Korfanty erklärte dem Sonderberichterstatter der „Chicago Tribune“, er habe die Möglichkeit und Verantwortlichkeit eines Krieges mit Deutschland wohl erwogen, bevor er den Aufstand der Polen in Oberschlesien ausführte. Korfanty drückte aufs neue seine Absicht aus, das von den Polen besetzte Gebiet nicht mehr freizugeben. Die Aufständischen zählten jetzt 100.000 Mann, die nötigenfalls auf 300.000 Mann erhöht werden könnten. Im Falle einer Niederlage würden sie sich nicht zurückziehen, ohne die Kohlengruben, Fabriken und Hochöfen vollständig zerstört zu haben. Die Vorbereitungen seien schon getroffen.
Quelle:
Allgemeine Thüringische Landeszeitung vom 12.5.1921
Bilder:
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