Oberschlesische Fake News
Die Volksabstimmung in Oberschlesien lief unter internationaler Beobachtung ab. Der polnische Abstimmungskommissar Korfanty streut jedoch Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens und rechnet das Ergebnis so um, dass eine Mehrheit für Polen herauskommt. Korfanty war bereits im Wahlkampf durch das falsche Versprechen aufgefallen, dass jeder Bauer im Falle eines polnischen Sieges eine Kuh geschenkt bekomme.
Korfantys Rechenkünste.
Von einem Oberschlesier und Kenner der polnischen Politik in Oberschlesien gehen uns die folgenden Betrachtungen zu:
Einmal, und vielleicht in nicht allzulanger Zeit, wird doch endlich die Konferenz des Obersten Rates stattfinden, die über Oberschlesiens Schicksal endgültig entscheiden wird. Und da werden sich die Herren, die sich an den grünen Tisch setzen werden, vor aller Welt den Anschein geben wollen, daß sie gerecht handeln und urteilen. Sie werden erstens die Oberschlesien betreffenden Paragraphen des Versailler Friedens in die Hand nehmen, die allerdings sehr knapp sind und durchaus nicht die Möglichkeit einer Teilung Oberschlesiens ausschließen, ja so abgefaßt sind, daß sie nach Auffassung unserer Feinde, besonders der Franzosen, einer irgend welchen Teilung Oberschlesiens einen Schein des Rechts zu geben vermögen. Und zweitens werden die Richter über Oberschlesiens Schicksal das Ergebnis der Abstimmung in Oberschlesien zur Hand nehmen. Aber das hat ein doppeltes Gesicht, ein deutsches und ein polnisches, je nachdem es von Freund oder Feind Deutschlands betrachtet wird. Wir und unsere Freunde – leider gibt es deren herzlich wenig in der Welt – vertreten einen unzweideutigen Standpunkt: Die Willenskundgebung der Oberschlesier ergab eine 62prozentige Majorität zu Gunsten Deutschlands, Oberschlesien ist wirtschaftlich und geographisch ein unteilbares Ganzes, also: Oberschlesien muß beim Deutschen Reich verbleiben. Die polnische Beurteilung der Abstimmung, und diese imponiert den Franzosen ungemein, ist selbstverständlich eine ganz andere.
Da hat sich besonders Korfanty in seinen Blättern als wahrer Rechenkünstler erwiesen. Er hat sich gesagt, mit Zahlen kann man schließlich alles beweisen, und da hat er sich das „wahre Ergebnis der Volksabstimmung“ folgendermaßen errechnet: Vier oberschlesische Kreise haben eine polnische Mehrheit, zwischen ihnen eingekeilt liegt das Industriegebiet, auf das es den Polen ganz besonders ankommt. Die großen Städte im Industriegebiet haben mit überwiegender Mehrheit deutsch gewählt, die kleinen Landgemeinden aber polnisch. Diese vier polnischen Kreise und das Industriegebiet mit seinen polnischen Landgemeinden faßt nun Korfanty zu einem Block zusammen, den er von dem übrigen Abstimmungsgebiet loslöst, und hat ausgerechnet, daß in diesem „polnischen Mehrheitsgebiet“ 51,6 Prozent der Stimmen für Polen waren. Zieht man, so meint er, die Stimmen der „Emigranten“ – das sind die außerhalb Oberschlesiens wohnenden abstimmungsberechtigten Oberschlesier, die am 20. März nach Oberschlesien zur Wahlurne gereist sind – ab, sowohl die deutschen als auch die polnischen, so beträgt nach ihm die Mehrheit sogar 56,8 Prozent in diesem Block, der zwei Drittel Oberschlesiens umfaßt und das rechts der Oder gelegene Land, fast bis an Oppeln reichend, und den größten südöstlichen Teil Oberschlesiens in sich einschließt.
Bemerkenswert ist auch, was einige polnische Blätter vor einiger Zeit schrieben, und was auch in dem „amtlichen Warschauer Teilungsvorschlag“ zum Ausdruck kam: Die Einreise der 83.000 Emigranten in dieses Mehrheitsgebiet, die doch größtenteils deutschgesinnt waren, hätte eine solche Beeinflussung der Wahl zu Gunsten Deutschlands gehabt, daß man wohl annehmen könne, daß jeder dieser 83.000 doch wenigstens eine Stimme für Deutschland gewonnen hätte, besonders in den großen Städten. Also müßte man von den gesamten deutschen Stimmen diese beeinflußten 83.000 Stimmen, die im Grunde genommen von polnisch Gesinnten abgegeben wurden, abziehen.
Ferner rechnete der Lemberger Statistiker Professor Romer aus, daß 100 stimmberechtigte Deutsche 180 Personen der polnischen Bevölkerung verträten, da die abstimmungsberechtigten Polen bedeutend zahlreichere Familien hätten als die Deutschen. Käme hinzu, daß die Emigranten nur für ihre Person allein abgestimmt hätten, da ja ihre Familienangehörigen, die ja auch keine Oberschlesier sind, ganz wo anders säßen. Und so rechnet er schließlich eine polnische Mehrheit von 61 Prozent in diesem Mehrheitsgebiet aus. Ein nettes Rechenexempel. Aber die in jeder Beziehung für Deutschland äußerst ungünstigen Abstimmungsregeln – ich greife nur eine heraus: Alle nach 1904 nach Oberschlesien zugezogenen Personen, und das sind viele Tausende, waren nicht abstimmungsberechtigt – und den polnischen Terror in vielen kleineren, mehr polnisch gesinnten Ortschaften am Wahltage, dies beides vergißt der Herr Professor ganz oder übergeht es stillschweigend.
[…]
Natürlich fanden sich auch polnische Zeitungen, die den lächerlichen Versuch machten, dieses künstliche Mehrheitsgebiet als ein einheitliches Ganzes zu schildern, sowohl in wirtschaftlicher, als auch in geologischer, geographischer und ethnographischer Beziehung. Die Mindestforderung der polnischen Regierung, mit der sie an die kommende Konferenz herantreten wird, ist also die Abtretung dieses Mehrheitsgebietes. Und von größter Bedeutung ist es nun, daß Frankreich den polnischen Betrug mitmacht und die Forderung seines „polnischen Freundes“ unterstützen wird, darüber dürfen wir uns nicht im Zweifel sein, und daß es Italien und besonders England für sich zu gewinnen suchen wird. Der Putsch Korfantys in Oberschlesien hat der französisch-polnischen Politik allerdings schwer geschadet. Letzten Endes wird die Entscheidung wohl bei England liegen. Wir wollen aber hoffen, daß die Engländer bei der Einsicht bleiben, daß man nicht nach Belieben einen Teil aus Oberschlesien herausnehmen und herausrechnen kann, der auf dem Papier eine polnische Mehrheit ergibt, daß man nicht die deutsche Mehrheit des Industriegebietes einfach zum Verschwinden bringen kann, indem man es mit polnischen Mehrheitsbezirken zusammenfaßt. Dasselbe Mehrheitsgebiet könnten wir für uns noch viel leichter herausrechnen, indem wir das Industriegebiet, das an und für sich als Ganzes schon eine deutsche Mehrheit hat, mit fast rein deutschen Kreisen wie Kreuzburg, Rosenberg, Oppeln, Ratibor usw. zusammenfassen.
Hoffen wir, daß die Engländer auf der kommenden Konferenz bei dem Standpunkt bleiben werden: Oberschlesien als Ganzes hat eine überwiegende Mehrheit, sowohl an Stimmen, als auch an Gemeinden. Und daher verbleibt es nach dem Friedensvertrag ganz bei Deutschland.
Hans Perls, cand. med. aus Kattowitz O.-S.,
zurzeit Jena (Talstraße 26 II).
Quelle:
Jenaer Volksblatt vom 23.5.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273896/JVB_19210523_117_167758667_Be_001.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371339