100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Rufmord an einem Polizeimajor

Die Anschuldigungen gegen Major Hermann Müller-Brandenburg wegen vermeintlicher Unterstützung Linksradikaler in der Thüringer Polizei beschäftigt weiter die Presse. Nun ist immerhin der Anklagepunkt des Hochverrates vom Tisch. Solche konstruierten Prozesse sind auch in späteren Jahren üblich, um linke Aktivisten oder Politiker einzuschüchtern.

Übung in einer preußischen Polizeischule

Der Fall Müller-Brandenburg

Kein Hochverratsverfahren

Weimar, 20. Mai 1921.

Gewisse Leute haben aus den „Volk“-Artikeln zum Fall Müller-Brandenburg herauslesen wollen, daß wir uns von vornherein auf die Unschuld des Majors festgelegt hätten. Wenn wir allerdings nach dem „Kreuzige, kreuzige!“ der reaktionären Kloaken in und außerhalb Thüringens gegangen wären, so hätte unsere Stellung nach reinpolitischen Momenten gerichtet entsprechend der Orgeschpresse ein Hosianna auf Müller-Brandenburg sein müssen. Was der Major gegen die Reaktion bedeutet, sollen uns die Stinnes-Organe, wenn es nötig gewesen wäre, gelehrt haben. Aber wir haben mit voller Absicht aus der Angelegenheit

bisher keine politische Frage gemacht

und tun das auch heute noch nicht. Wir haben uns nur mit Empörung gegen die Absendung des hochreaktionären Generalstabsoffiziers Wagner, der die Zeit der Monarchie halbamtlich für gekommen betrachtete, gewandt, und mit Entrüstung haben wir uns gegen die unerhörte Barbarei dieses Herrn und seiner Kumpanei gewandt, die den um die Republik, den Aufbau der Thür. Landespolizei und die unblutige Aufrechterhaltung der Ruhe in allen Lagen hochverdienten Major auf die verbrecherische und idiotische Denunziation eines Neurasthenikers hin dem reaktionären Geschmeiß auslieferte, ohne ihn auch nur dem „Belastungszeugen“ gegenüberzustellen. Diese dem elementarsten Rechtsgefühl hohnsprechende monarchistische und feudale Justiz richtet sich jetzt selbst. Denn der saubere Herr Lampel, Denunziant und Offizier d. Kaisers, ist seitdem verschwunden. Er drückte sich bisher, seine aus den Fingern gesogenen „Behauptungen“ verantwortlich, d. h. durch den Eid, zu bekräftigen.

Die Rechts-Presse, Mitteldeutsche, Erfurter Allgemeine, Leipziger Neueste, Reaktionäre und Lampel, Konkurrent des kaiserlichen Ausreißers, sind einander wert. Die Voruntersuchung ist noch nicht zu Ende; denn noch haben die Akten nicht der Verteidigung des Majors zur Aeußerung vorgelegen und noch hat das Staatsministerium nicht gesprochen, was geschehen soll.

Die reaktionäre Presse aber schreibt, daß „die Voruntersuchung genügendes Material zutage gefördert zu haben scheint, der Reichsanwalt Anklage wegen Hochverrats erhoben habe und Müller-Brandenburg nach Berlin beordert (!) sei.“

An amtlicher Stelle in Weimar war gestern nachmittag nichts von einem Hochverratsverfahren bekannt. Sollte es zutreffen, so würde es uns im Interesse der Durchführung des Ultimatums freuen. Denn wäre es nicht ein Beweis dafür, daß die berechtigte Forderung der Entente nach beschleunigter Bestrafung der Kriegsverbrecher von seiten des Reichsanwalts voll erfüllt ist?!? Nachdem die Kappverbrecher vom Reichsanwalt außer Verfolgung gesetzt worden sind, herrscht anscheinend Arbeitslosigkeit in Leipzig. Wenn Müller-Brandenburg da Zeitvertreib sein kann, wird er es gern tun. Wir aber fragen allen Ernstes, ob die Durchführung des Ultimatums, die Bestrafung der Kriegsverbrecher, nicht das deutsche Volk mehr interessiert, als die Befriedigung reaktionären Rachedurstes an einem Republikaner. Will man damit bei der Entente Eindruck schinden?

Unseres Wissens hat Major Müller-Brandenburg „keine Order“ nach Berlin erhalten. So sehr es auch reizen würde, die „Ergebnisse“ der bisherigen Verhandlungen der Oeffentlichkeit zu unterbreiten, unterlassen wir es, ehe die Voruntersuchung nicht ganz zu Ende geführt worden ist.

Quelle:

Das Volk vom 20.5.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_05_0841.tif

 

Bild:

Bundesarchiv Bild 102-12319, Brandenburg an der Havel, Polizeischule - Sicherheitspolizei (Weimarer Republik) – Wikipedia