100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

„Weimar ist noch so, wie es war“

Der Kulturteil der Thüringischen Landeszeitung „Deutschland“ ist Gegenstand eines Pressestreits. Das Blatt behauptete dramatisierend, dass unter der sozialistisch geprägten Landesregierung das Kulturleben der Landeshauptstadt zusammenbreche. Die sozialdemokratische Presse reagiert erwartungsgemäß empört.

Weimarer Nationaltheater, 1923

Das doppelte Gesicht der Zeitung „Deutschland“

Die letzte Sonnabendnummer bringt eine Besprechung der Festaufführung im Nationaltheater in Weimar zu Ehren der Goethe-Gesellschaft aus der Feder Bernhard Schrickels, des Hauptmitarbeiters der „Deutschland“, desselben Schrickel, der in der „Täglichen Rundschau“ der staunenden Welt verkündete, wie Weimars Tradition mit Riesenschritten zu Grabe getragen würde, sintemalen ein ehemaliger Maschinenschlosser (Staatsrat Rudolph!!), „der die Nase unter dem Daumen zu schneuzen gewohnt sei und dem Stift von einer Ecke zur andern schiebe“, zum Hüter des klassischen Erbes in Dichtung, Musik und Malerei berufen sei. Alle ehrlichen Kunstsachverständigen mußten, daß das Nationaltheater zu Weimar seit der Revolution als eins der wenigen ehemaligen Hoftheater einen geradezu glänzenden Aufstieg ohne militärischen Leiter in Generalsuniform genommen hatte. Auch Herr Schrickel wußte das; aber keine Lüge ist zu dumm, sie findet doch ihr Publikum, besonders außerhalb Thüringens, das die Person unseres Genossen Rudolph nicht kennt. In derselben Nummer bringt nun die „Deutschland“ eine Zuschrift „von hochgeschätzter Seite“, des Geheimrats Prof. Dr. W., eines hervorragenden Mitgliedes der Goethe-Gesellschaft, mit der Ueberschrift: „Weimar ist noch so, wie es war“ und bürstet seinem Mitarbeiter endlich einmal die Motten aus dem filzigen Rock mit der ehrlichen Nachschrift der Redaktion: „Bravo! Jeder Besucher Weimars wird sich dem anschließen können, um auch seinerseits zu finden, wie falsch und entstellt gar oft die auswärtigen Schreibereien sind.“ Wir wollen hoffen, daß sich die Ztg. „Deutschland“ die weitere Mitarbeit des Geheimrats Prof. Dr. W. nicht entgehen läßt, und ihn gegen die Weimars Ruf absichtlich aus sehr durchsichtigen Gründen untergrabenden Mitarbeiter möglichst rasch austauscht. Unseren Lesern wollen wir den Aufsatz nicht vorenthalten, bringt er doch von einer unparteiischen und „hervorragenden“ fachmännischen Seite eine volle Rechtfertigung der zielbewußten und Weimars würdigen Tätigkeit unserer Genossen in der Regierung.

Der Aufsatz lautet wörtlich:

„Weimar ist noch so, wie es war“,

„Im auswärtigen Blättern leisten sich“, heißt es in dieser Zuschrift von hochgeschätzter Seite, „Tendenzartikelschreiber tolle Sachen über Weimar und auch Thüringen, so daß man aufs angenehmste enttäuscht ist, wenn man nach Thüringen und Weimar kommt und sieht, mit welcher Liebe zur Heimat und zur Tradition nach wie vor alles gepflegt und behütet wird. Nach dem krassen Zeug, was ich neulich in Berliner Blättern über Weimar gelesen habe, mußte ich auf allerlei gefaßt sein. Ich fand es aber, Gott sei Dank, anders: alles Geschriebene stellte sich als böswillige Entstellung gewissenloser Schreiber heraus, die gar nicht ahnen, was sie mit ihren Tendenznachrichten anrichten. Hier in Weimar, an Ort und Stelle, habe ich Gelegenheit gehabt, zu sehen, wie wohl behütet alles ist. Das Nationaltheater, das im Niedergang sein soll, ist im Gegenteil im Aufstieg; es bringt geradezu vollendete Aufführungen heraus, die sich denen der ersten Berliner, Münchener und Dresdener Theater würdig zur Seite stellen können. Ich sah des großen Russen Tolstoi „Macht der Finsternis“, von Ernst Hardt meisterhaft inszeniert in einer äußerst glanzvollen Aufführung. In ihr konstatierte ich Leistungen, wie beispielsweise diejenigen Erika Kristens, Marie v. Szpingers und Bernhard Vollmers, die einfach hinreißend und Meisterleistungen in des Wortes echtester Bedeutung waren. Marie von Szpinger war ganz groß in ihrer Rolle; ihre hohe Charakterisierungskunst, die virtuos und treffsicher alle Feinheiten herauszuarbeiten versteht, trat hier besonders hervor. Erika Kristen zeigte in ihrer Rolle ebenfalls ein großes Können und eine gereifte und echte Künstlerschaft. Ebenso Bernhard Vollmer. Ueber alle anderen Mitwirkenden kann man gleichfalls nur Worte der Anerkennung sagen. – […] Weimar verfällt nicht, man sieht neben gutem Alten sogar viel aufbauendes Neues, viele Männer, die mit Energie und Freude im Sinne des Aufbaues schaffen und wirken. Ich empfinde große Genugtuung darüber und kann nicht umhin, andererseits mein schärfstes Mißfallen denen gegenüber zum Ausdruck zu bringen, die in der auswärtigen Presse herabsetzend über Weimar und seine Kulturstätten, die staatlichen Einrichtungen des neuen Thüringen usw. schreiben.“

Quelle:

Das Volk vom 24.5.1921

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_05_0867.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00194079

 

Bild:

Bundesarchiv Bild 102-00667, Weimar, Nationaltheater - Deutsches Nationaltheater und Staatskapelle Weimar – Wikipedia