Wohin steuert die SPD?
Eine wichtige SPD-Parteiversammlung in Berlin hatte viele Themen abzuhandeln. Vor allem die Frage der direkten Regierungszusammenarbeit mit der DVP wird erhitzt debattiert und mehrheitlich abgelehnt.
Berliner Funktionäre zur politischen Lage
Neubildung der preußischen Regierung – Mehr Einfluß auf die Staatsverwaltung –
Erneute Absage an die Deutsche Volkspartei
(Drahtmeldung von unserem Berliner Bureau.)
Berlin, 13. Mai 1921.
Die sozialdemokratischen Funktionäre Groß-Berlins nahmen gestern abend zu dem Ultimatum und der Regierungsfrage Stellung. Genosse Hildenbrand vom Parteivorstand erinnerte in seinem Referat u. a. daran, daß wir die Forderungen der Entwaffnung ehrlich durchgeführt wissen wollen und daß auch die Aburteilung der Kriegsverbrecher durchaus erfüllbar sei. Der Referent kritisierte dann das diplomatische Vorgehen der vergangenen Regierung und wies bezüglich der 20 Milliarden Goldmark, die nach Angabe der Außenregierung bereits gezahlt seien, darauf hin ,daß der vergangene Minister in dieser Beziehung zum mindesten schlecht beraten sei. Den Eintritt der Sozialdemokratie begründete Hildenbrand mit der notwendigen Vermeidung der Besetzung des Ruhrgebietes, die uns vor allem eine maßlose Verteuerung und eine Steigerung der Arbeitslosigkeit gebracht hätte. Ueber das Verhalten der Deutschen Volkspartei sagte der Referent, daß diese anfangs bereit gewesen sei, das Ultimatum anzunehmen, daß sich aber die Stresemänner sofort zurückgezogen hätten, sobald bekannt wurde, daß Zentrum, SPD. und USPD. bereit waren, das Ultimatum anzunehmen. Nach dem Referat entwickelte sich eine sehr ausgiebige und lebhafte Debatte. Darauf wurde folgende Entschließung angenommen:
„Die Funktionäre der SPD. Groß-Berlins billigen den Beschluß der Sozialdemokratischen Reichstagsfraktion für die Annahme des Entente-Ultimatums zu stimmen, da unter den angedrohten Zwangsmaßnahmen die arbeitende Bevölkerung in erster Linie zu leiden gehabt hätte, ohne daß die Verpflichtungen Deutschlands aus dem Friedensvertrag dadurch beseitigt worden wären. Angesichts der Tatsache, daß Deutschnationale, Deutsche Volkspartei und Kommunisten im Interesse ihrer nationalistischen und parteiagitatorischen Hetze die Annahme des Ultimatums ablehnten, war die Sozialdemokratie gezwungen, in die Regierung einzutreten und mit die Verantwortung für die Durchführung unserer Verpflichtungen zu übernehmen.
Diese schwere Verantwortungslast kann die Sozialdemokratie nur tragen, wenn durch eine schleunige Neubildung der preußischen Regierung auf der Grundlage der alten Koalition ihr auch ein entsprechender Einfluß auf die Staatsverwaltung eingeräumt wird. Dabei kann nach der Stellungnahme der Deutschen Volkspartei zum Ultimatum und nach ihren grundsätzlichen Anschauungen eine gemeinsame Regierungsbildung mit dieser Partei weder im Reich noch in Preußen für uns in Betracht kommen.
Die Konferenz erwartet, daß die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder mit allem Nachdruck dafür eintreten werden, daß die Entwaffnung und die sofortige Aburteilung der Kriegsverbrecher ernsthaft durchgeführt wird. Bei der Aufbringung der finanziellen Leistungen ist in erster Linie die Belastung des Besitzes und des Unternehmergewinnes und der Produktion bis in die äußersten Grenzen durchzuführen. Es ist dafür zu sorgen, daß die kapitalistische Steuersabotage der letzten Zeit mit allen Mitteln gebrochen wird. Tatkräftige Demokratisierung der Verwaltung und die Reform der Rechtspflege sind hierfür und für den inneren Wiederaufbau unbedingte Voraussetzung. Aber durch Führung einer solchen Politik wird die gesamte Arbeiterschaft hinter der Regierung stehen.“
Quelle:
Das Volk vom 13.5.1921
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00226548/Das_Volk_1921_05_0803.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00192624