100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Amerika als Deutschlands Beschützer?

Die US-Wahlen sind vorbei und die rechtsgerichtete Thüringer Tageszeitung macht sich Gedanken über die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Das Blatt versucht die Argumente zu widerlegen, die für eine gedeihliche Partnerschaft sprechen würden.

Flagge der USA

Deutschland und Amerika.

Die Neuordnung der Dinge in Amerika, die sich in den nächsten vier Monaten allmählich vollziehen wird, wird selbstverständlich auch eine genaue Regelung der Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten bringen. Welcher Art das künftige Verhältnis zwischen Deutschland und Amerika sein wird, das genauer feststellen zu können, ist heute vollkommen unmöglich, denn es muß betont werden, daß noch ungeheure Schwierigkeiten bestehen, die hinweggeräumt werden müssen, wenn wieder einmal ein enger wirtschaftlicher Verkehr zwischen den beiden Ländern eintreten soll.

In Deutschland ist man seit Beginn des Waffenstillstandes geneigt gewesen, zu glauben, daß Amerika der Beschützer Deutschlands in Zukunft sein werde und nichts unversucht lassen würde, um Deutschland vor dem Untergang zu retten. Als die amerikanische Hilfe ausblieb, vertiefte sich in Deutschland die Meinung, daß hieran kein anderer als Wilson und seine ententefreundliche Anhängerschaft schuld sei. Und heute, wo ein Republikaner das Staatsruder zu ergreifen im Begriffe steht, ist es für viele politisierenden Bürger in Deutschland eine ausgemachte Sache, daß nunmehr sich die amerikanische Hilfe für Deutschland betätigen wird. Es wird niemand in der Lage sein, jetzt etwa das Gegenteil hiervon behaupten zu wollen, aber für den ernsthaften Politiker steht es ohne weiteres fest, daß auch nicht die geringste Tatsache besteht, die geeignet wäre, diesen sehr optimistischen Hoffnungen auch nur einen kleinen Schein der Berechtigung zu verleihen. Man darf gewiß sein, daß für die künftigen Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika nichts anderes maßgebend sein kann als die Herstellung einer Interessengemeinschaft zwischen den beiden Ländern. Da gilt es zunächst, die Frage zu untersuchen, welche Möglichkeiten – wenigstens in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht – bestehen, eine Gemeinsamkeit der Interessen zwischen den beiden Ländern herzustellen. Politisch betrachtet haben wir nicht die geringsten Unterlagen für eine Annäherung an Amerika, weil wir durch den Versailler Friedensvertrag derart in Abhängigkeit von der Entente geraten sind, daß auch nicht die geringste reale Unterlage für deutsche politische Interessenverknüpfungen bestehen. Erstens ist die Vernichtung der deutschen Flotte eine Tatsache, die jedwede direkte Verbindung zwischen Amerika und Deutschland abschneidet, indem im Falle eines Krieges England in der Lage sein würde, Deutschland erheblich von Amerika abzuschließen. Da es außerdem Deutschland auf Grund des Versailler Friedensvertrages nicht gestattet ist, politische Verträge mit anderen Mächten abzuschließen, so würden die Amerikaner sich garnicht auf bestimmte Abmachungen mit Deutschland einlassen können, weil derartige Verträge außerhalb des Schutzes des Völkerrechtes stehen. Rechnet man noch die Wehrlosigkeit Deutschlands hinzu, so wird man unbedingt zu dem Schluß kommen müssen, daß die praktischen Unterlagen für eine politische Annäherung an Amerika betrifft, so würde Deutschland zweifellos Gelegenheit haben können, in enge Beziehungen mit Amerika einzutreten, wenn die deutsche Wirtschaftspolitik sich Mühe gegeben hätte, sich auf gegebene Möglichkeiten einzustellen. Hierin hat sie jedoch ganz besonders gefehlt, und merkwürdigerweise ist nichts anderes an den mißlichen und ungünstigen Verhältnissen schuld als die moralische Entwertung der deutschen Wirtschaft überhaupt. Seit dem Inkrafttreten des Versailler Friedensvertrages hat sich die deutsche Wirtschaft so sehr darauf eingestellt, infolge des Tiefstandes der deutschen Valuta Geschäfte mit dem Auslande zu machen, daß dadurch der Ruf des deutschen Kaufmannes außerordentlich ungünstig beeinflußt wurde. Wer die amerikanischen Zeitungen genau verfolgte, der wird feststellen können, daß in Amerika großer Mißbehagen wegen der auftretenden deutschen „Schmutzkonkurrenz“ auf dem Weltmarkt aufgetreten war. Die deutsche Industrie hatte sich in der Erschließung der Ausfuhrmöglichkeiten besonders darauf eingestellt, so billig als irgend möglich zu verkaufen, eine Tatsache, die umso schwerer ins Gewicht gefallen war, als das ausländische Geld in Deutschland an sich schon eine ungemein hohe Kaufkraft besitzt. Hierdurch ist selbstverständlich das Interesse in Amerika abgeschwächt worden, mit Deutschland in enge Beziehungen einzutreten, weil es davon keinen Vorteil für seine eigene Industrie erwartet. Noch ernster ist aber folgende Erwägung, die in Amerika besonders schwer ins Gewicht fallen muß. Auf Grund der Wiederherstellungsbedingungen des Friedensvertrages wird Deutschland wirtschaftliche Riesenleistungen an die Ententeländer zu entrichten haben, die Deutschland zum Arbeiter der Ententeländer zu entrichten haben, welche die als Wiedergutmachung gelieferten wirtschaftlichen Werte auf den Weltmarkt bringen wird. Hierdurch werden die Ausfuhrmöglichkeiten Amerikas auf vielen Gebieten der Industrie außerordentlich geschwächt, und wenn nun Amerika Deutschland noch durch Rohstoffkredite oder Handelsanleihen unterstützen würde, so fürchtet es, in einem solchen Falle zugunsten der Ueberschwemmung des Weltmarktes mit deutschen Waren den eigenen Interessen ins Gesicht zu schlagen. Alle diese Erwägungen sind doch so schwerer Natur, daß man in Deutschland allen Grund hat, sie genau und ernsthaft zu prüfen und nach Möglichkeit aus dem Wege zu räumen. Hofft man in Deutschland auf die amerikanische Hilfe wie ein Ertrinkender auf einen zufällig vorbeigehenden Lebensretter, so wird man fürchterliche Enttäuschungen erleben, vor denen nicht ernsthaft genug gewarnt werden kann.

  1. D.

Quelle:

Thüringer Tageszeitung vom 14.11.1920

 

Bild:

https://de.wikipedia.org/wiki/Vereinigte_Staaten#/media/Datei:Flag_of_the_United_States.svg