100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Die Thüringer Regierung steht!

Fast fünf Monate sind seit den Landtagswahlen vergangen und unter der Führung von Arnold Paulssen tritt nun ein Minderheitenkabinett von MSPD und DDP die Arbeit an. Entgegen dem Klischee von der Regierungsunfähigkeit der Weimarer Demokratie werden Regierungsbildungen in der Regel innerhalb weniger Tage abgeschlossen. Der Thüringer Fall ist eine starke Ausnahme, was mit der starren Blockbildung zu erklären ist, die nur schwierig aufgelockert werden konnte.

Wappen Thüringens

Die Uebernahme der Regierungsgeschäfte im Lande Thüringen.

Verabschiedung des Staatsrats.

Die Uebernahme der Regierungsgeschäfte im Lande Thüringen erfolgte am Freitag, den 12. November, nachmittags. Staatsminister Dr. Paulssen stellte in seiner kurzen Ansprache fest, daß der Staatsrat von Thüringen in 75 Sitzungstagen in etwa 200 Sitzungen die Geschäfte des neuen Landes Thüringen bis zur Wahl der Landesregierung erledigt habe. In dem Bemühen, den Verschmelzungsprozeß der früheren thüringischen Freistaaten möglichst rasch durchzuführen, hätten Staatsrat und Volksrat sich glücklich ergänzt. Der Staatsrat von Thüringen habe in seiner Geschäftsführung unverbrüchlich festgehalten an der republikanischen Verfassung des Reiches und des Landes Thüringen. Nachdem der bisherige Vorsitzende des Staatsrats von Thüringen den nunmehr ausscheidenden Mitgliedern der provisorischen Landesregierung den herzlichsten Dank für die treue aufopfernde Mitarbeit ausgesprochen hatte, übergab er die Geschäfte an die neugewählte Landesregierung. Staatsrat Hofmann dankte im Namen der ausscheidenden Mitglieder Staatsminister Dr. Paulssen mit dem Wunsch, daß auch die neue Landesregierung in der gleichen Kollegialität und gewissenhaften Zusammenarbeit wie im Staatsrat die Geschäfte des Landes führen möge. Danach trat die neue Landesregierung zu ihrer 1. Sitzung zusammen. Sie wählte zum Vorsitzenden Staatsminister Dr. Paulssen, zum Stellvertreter den Wirtschaftsminister Frölich.

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August Frölich (1877-1966)

Die neuen Männer.

Zum Amtsantritt der Landesregierung von Thüringen schreibt unser Parteifreund, der bisherige Staatsrat Kühner, in seiner „Eisenacher Tagespost“:

Die Landesregierung von Thüringen ist den Vorschriften der Verfassung entsprechend vom Präsidenten des Landtags vereidigt worden. Am 12. November nachmittags fand eine nochmalige Sitzung des Staatsrats von Thüringen statt, in welcher dieser formell die Geschäfte des Landes an die neue Regierung übergab. Damit war der Amtsantritt der Landesregierung vollzogen. In weitesten Kreisen, auch in jenen, denen „die ganze Richtung nicht paßt“, wird die Tatsache des Vorhandenseins einer Thüringer Landesregierung mit unverkennbarer Genugtuung begrüßt. Man ist allseitig darüber klar, daß Thüringen endlich eine Regierung bekommen mußte, sollte nicht eine wüste Agitation gegen den Staat Thüringen als solchen erfolgreich einsetzen können. Die vergangenen Monate haben ja gezeigt, wessen ebenso anspruchsvolle, wie unkluge Politiker der Rechtsparteien fähig sind. Der nun beginnende staatsrechtliche innere Ausbau des Landes Thüringen wird dafür sorgen, daß Agitationen gegen den neuen Staat diesen in seinem Bestand nicht mehr zu erschüttern vermögen.

Der Staatsrat von Thüringen, der mit großem Eifer unter erschwerenden Umständen bisher die Geschäfte des werdenden Thüringen unter der Führung des Herrn Staatsministers Dr. Paulssen erfolgreich leitete, hat aufgehört zu existieren. Sein Wirken, dem die reich verdiente Anerkennung nicht fehlen kann und nicht fehlen wird, gehört der Geschichte an. Dieser Staatsrat war in tausend Fragen, in unzähligen Regierungsmaßnahmen eine Notwendigkeit; er war aber nur ein Ersatz für die fehlende, ordnungsmäßig von Landtag zu wählende Landesregierung, die wir nunmehr haben.

Von den neuen Männern, die mit nur zwei Ausnahmen in Thüringer Regierungsstellen schon tätig waren, kann erwartet werden, daß sie zum Besten des Landes regieren und für ihre Maßnahmen sicherlich das Vertrauen des Landtages finden werden. An der Spitze der Regierung steht der bisherige weimarische Staatsminister Dr. Paulssen, der auch Vorsitzender des Staatsrates von Thüringen war. Er hat die größten Verdienste um die Einheit Thüringens sich erworben und ist darum wohl auch der von allen Seiten anerkannte berufenste Führer des neuen Ministeriums. Dr. Benz, der Finanzminister Thüringens, hat in seiner bisherigen Tätigkeit im Staatsrat bewiesen, daß gerade er der Fachminister ist, der für diesen Posten sich vorzüglich eignet. Er ist ein Mann, der mit sich reden läßt, von freundlichen Formen, der aber mit um so kühlerer Sicherheit jene Forderungen abschlagen wird, die nach seiner wohlerwogenen Anschauung Thüringens Finanzen in Gefahr bringen können. Von Herrn v. Brandenstein ist so viel in diesen Tagen geredet worden, daß nur wenig zu sagen bleibt. Er ist zweifellos ein tüchtiger Verwaltungsbeamter und ein Mann von großer Energie. Er wird den inneren Aufbau des Landes vorwärts bringen, wenn er einsichtsvoll gegenteiligen Meinungen als den seinigen, gebührend Gehör gibt. Seinen Gegnern, und deren hat er vorerst viele, mag gesagt sein: er ist besser als sein Ruf. v. Brandenstein ist übrigens ebenso wie Dr. Paulssen und Dr. Benz Jurist. Er war Assessor in Danzig und Hannover und preußischer Landrat, ehe er Minister in Gera wurde. Dr. Benz war Landrat in Meiningen, ehe er Staatsrat wurde. Der neue Staatsminister Frölich, von Geburt Pfälzer, ist aus dem Arbeiterstand hervorgegangen. Er war Maschinenbauer und nahm lange im Kreise seiner Fachgenossen eine führende Stelle ein. Seit der Revolution ist der Staatsrat in Altenburg und war dort seit März 1919 der Vorsitzende der Staatsregierung. Er wird in der neuen Landesregierung das Wirtschaftsministerium leiten. In diesem Sinne vorbereitend, hat er seit Monaten schon in Weimar gewirkt. Das neue Ministerium wird an ihm einen klugen, besonnenen und überaus gewandten und arbeitsfreudigen Chef erhalten.

Politisch ist Dr. Paulssen Demokrat, Frölich Mehrheitssozialist. Dr. Benz und v. Brandenstein sind als parteilos bezeichnet worden, weil sie bei keiner Partei organisiert sind. Kenner der Verhältnisse aber wissen, daß Dr. Benz den Demokraten und v. Brandenstein den Mehrheitssozialisten zugezählt werden könnten. Von den neuen Staatsräten ist zu sagen, daß Hartmann-Rudolstaft Mehrheitssozialist ist. Dr. Bielfeld, der vortreffliche Oberbürgermeister Arnstadts, und der liebenswürdige Schriftsteller Prof. Krüger-Gotha sind beide gute Demokraten. Mögen die neuen Männer lang und erfolgreich wirken.

Quelle:

Jenaer Volksblatt vom 15.11.1920

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273741/JVB_19201115_269_167758667_B1_001.tif

 

Bilder:

https://de.wikipedia.org/wiki/Land_Th%C3%BCringen_(1920%E2%80%931952)#/media/Datei:Wappen_Land_Th%C3%BCringen.svg

https://de.wikipedia.org/wiki/August_Fr%C3%B6lich#/media/Datei:Fr%C3%B6lichAugust.jpg