Kriegsleuchten in Ostasien
Japan gehört zwar offiziell zur Entente und damit den Siegern des Ersten Weltkrieges, aber das Kaiserreich verfolgt dennoch eine revisionistische Politik. Die Schwächung der größten Nachbarn – China und Sowjetrussland – nimmt Nippon zum Anlass für eine expansive Politik, die Japan zur Weltmacht erheben soll. Die Konflikte mit den USA als pazifischer Macht lassen nicht auf sich warten, wie der Deutsche aus Sondershausen zu berichten weiß.
Die japanische Ausdehnungspolitik.
Von Kurt Kühns-Berlin.
„Mögen andere Kriege führen, du, glückliches Oesterreich, heirate!“ hieß es einstmals. Heute werden Länder nicht mehr durch Heiraten errungen, sondern durch festes Zugreifen. Und dies Zugreifen verstehen die Staatsmänner des Verbands [gemeint ist die Entente, Anm.] glänzend, nicht zuletzt Japan, das, ohne großes Aufhebens zu machen, von dem prachtvollen sibirischen wie von dem ebenso leckeren chinesischen Schinken sich ein Stück nach dem anderen abschneidet. Jetzt aber erschallen, und zwar aus dem eigenen Lager, Stimmen: Haltet den Dieb! In Nikolajewsk sind 700 Japaner niedergemacht worden, und dies gab der japanischen Regierung Veranlassung, den nördlichen Teil der Insel Sachalin, ein Land reich an Gold, Silber, Kohlen wie Oel, außerdem ergiebig durch Forstwirtschaft und Fischerei, zu besetzen. Das veranlaßte Amerika, eine scharfe Note an Japan zu senden, die das „Jap. Weekly Chronicle“ wiedergibt, des Inhalts, daß eine solche Besitzergreifung nur mit Genehmigung des Verbandes hätte erfolgen dürfen, an sich überhaupt ungerechtfertigt sei, ebenso wie die Schaffung eines Pufferstaates auf russischem Boden und die Besetzung von Wladiwostok und des südlichen Sachalin, die als ein Uebergriff der japanischen Militärpartei erscheine. All das sei ungerechtfertigt, auch wenn versichert werde, daß die Besetzung nur vorübergehend sei und keine Absicht vorliege, den Grundsatz der offenen Tür zu verleugnen.
Obwohl die Streitfrage amtlich bis nach der Präsidentenwahl vertagt wurde, ist die öffentliche Meinung in beiden Ländern erregt. Die „Newyork World“ schildert das Vergehen Japans und meint, daß Japan die Errichtung eines Pufferstaates gegen die Bolschewisten nur betriebe, um sein militärisches Besatzungsgebiet bis 150 Meilen westlich des Baikalsees vorzuschieben. Endzweck sei, die chinesische Ostbahn in die Hand zu bekommen! – Die „Nation“ faßt Japans Absichten dahin zusammen: Oberaufsicht über die chinesische Ostbahn und möglichst auch über die transsibirische Bahn und Schaffung eines Pufferstaates, um seiner überschüssigen Bevölkerung ein reiches und fruchtbares Land zur Siedlung zu eröffnen. Ersteres sei eine Bedrohung des Weltfriedens, letzteres sei wohl gerechtfertigt und wohl angängig, wenn es unter politischer Oberaufsicht geschähe. Die Einsprüche der amerikanischen Regierung würden leider wenig nützen; Japan wisse, was es wolle, und es würde sich durch keine Wilsonschen Ermahnungen gegen das Abreißen sibirischen Landes oder das Errichten von einem oder zwei Pufferstaaten von seinen Zielen abdrängen lassen.
Darauf antwortet die japanische Zeitung „Hochi“, das Blatt Marquis Okumas, kurz und scharf: Die Besetzung sei mit Billigung des ganzen Landes durchgeführt worden und müsse durchgehalten werden. Japan könne sich nicht durch das Stirnrunzeln oder Lächeln anderer Länder abhalten lassen; es könne keinem Widerspruche stattgeben, der seine Interessen bedrohe und auf unbegründetem Verdacht und einer Einbildung beruhe. Es seien viele schwierige Streitfragen zwischen Japan und den Vereinigten Staaten zu lösen; man hoffe dies freundschaftlich tun zu können. Aber es gebe eine Grenze, auch für die Geduld. Sollte Amerika diese zu sehr in Anspruch nehmen – der japanische Geduldsfaden ist wohl in dieser Hinsicht nicht sehr lang! –, würden die Folgen nicht nur für die beiden Länder, auch für den Weltfrieden beklagenswert sein. – Die „Yorodzu“ dagegen wirft Amerika vor, daß es alle Konzessionen im fernen Osten monopolisieren wolle. Daß es zu diesem Zweck Hunderte von Millionen Dollar angelegt habe. Das einzige Hindernis für Amerika sei Japan. Amerika rufe in China und Korea antijapanische Bewegungen hervor und habe sich bemüht, die Erneuerung des englisch-japanischen Bündnisses zu verhindern. Ja, es gehe darauf aus, Japan zu zwingen, seine Vorrechte in der Mandschurei und Mongolei aufzugeben und die Oberaufsicht Japans über die chinesische Ostbahn und die Besetzung von Sachalin zu hindern.
Auch China mischt sich in den Streit. Das „Journal de Pekin“ gibt Japan die Schuld an dem Bürgerkrieg in China. Japans Vorgehen in China und Ostsibirien sei eine Gefahr für die Interessen der Alliierten. Die Verantwortung für den Bruderkrieg, für die Hungersnot in Peking, die Unordnung und Anarchie in China trage Japan. Alle Randgebiete, alle Häfen, die ganze pazifische Küste von Kamtschatka bis Tsindao seien in der Hand Japans. Auch für die östlichen russischen Seeprovinzen erklärt in der „Pour la Russie“ Iwan Yakushew, der frühere Präsident der sibirischen Duma, sich gegen das Vorgehen Japans und betont, daß die Seeprovinzen eine demokratische Regierung auf allgemeinen Volkswillen eingesetzt hätten und durchaus antibolschewistisch seien; er beschuldigt Japan, daß es keine offene oder ehrenhafte Politik im fernen Osten treibe. – Man darf gespannt sein, ob Amerika seinen Einspruch durchführen oder auf halbem Wege stehenbleiben wird. Jedenfalls ist der politische Himmel des Verbandes auch im fernen Osten nicht ganz ungetrübt.
Quelle:
Der Deutsche vom 20.11.1920
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00246778/SDH_19376538_1920_Der_Deutsche_1169.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00307416
Bild:
https://en.wikipedia.org/wiki/Japanese_intervention_in_Siberia#/media/File:Khabarovsk_intervention.jpg