Reform der Kreiseinteilung bleibt umstritten
Eine Neueinteilung der Landkreise ist unumgänglich, aber gehen wirtschaftliche, historische oder rein verwaltungstechnische Erwägungen vor. Die Meinungen darüber gehen auseinander, wie dieser Artikel in der Weimarischen Landes-Zeitung zeigt.
Die Kreiseinteilung im Lande Thüringen.
Vom Thüringer Presseamt wird uns mitgeteilt: Bei der Kritik über die Vorschläge und Anregungen, die bisher über die zukünftige Kreiseinteilung Thüringens gemacht wurden, werden zwei Punkte überhaupt nicht oder nicht genügend gewürdigt. Der erste Gesichtspunkt ist allgemeiner Art und muß auch für Thüringen gelten als ein unumstößlicher Leitsatz jeder Organisation. Entweder man macht die Kreise möglichst klein, um mit Rücksicht auf die bestehenden und historisch gewordenen Verhältnisse möglichst viele Mittelpunkte für Wirtschaft und Verwaltung zu schaffen. Dann braucht man unbedingt Zwischeninstanzen zwischen diesen zahlreichen kleineren Gebilde und der Zentral in Weimar, d. h. Bezirksregierungen. Und diese Bezirksregierungen müssen auch zugleich kommunale Verwaltungsbehörden sein, für den Bezirk, den man dann mit einer kleinen Provinz vergleichen könnte. Was die kleinen Gebilde, Städte und Kreise nicht leisten können, das hätte der Bezirk in kommunaler Beziehung zu leisten.
Oder man macht die Kreise möglichst groß, dann sind die Bezirksregierungen zu entbehren; denn die Zentralverwaltung kann bei einer geringen Anzahl von Kreisen überall unmittelbar eingreifen und bedarf nicht der Vermittlung einer Zwischenbehörde. Auch in ihrem kommunalen Wesen werden größere Kreise in den Hauptzweigen der Verwaltung so leistungsfähig sein, daß sie nicht zu einer Provinz vereinigt zu werden brauchen, wenn auch die Möglichkeit einer Bildung von Zweckverbänden offen gehalten werden muß für große, über das Gebiet mehrerer Kreise hinausreichende Unternehmungen und Beziehungen.
Der augenblicklich der allgemeinen Prüfung unterliegende Entwurf des Staatsrats zeigt den letzteren Weg, gibt aber die Möglichkeit einer Abänderung, wenn die Verhältnisse (wie z. B. in Meiningen) dazu drängen sollten, daß eine Verbindung unserer Kreise über das Niveau der Zweckverbände hinaus geschaffen werden muß. D. h. er will zulassen, daß sich Land- und Stadtkreise miteinander verbinden zu dem Zweck einer gemeinsamen Verwaltung von mehr oder weniger das gesamte kommunale Gebiet durchdringender Art. In solchen Fälle soll der Staat in der Lage sein, solchen gemeinsamen Verwaltungsbehörden auch staatliche Zwischenzentrale oder zentrale Aufgaben zu übertragen und damit in Bedarfsfalle eine Art Zwischenregierung oder abgesonderte Unterabteilung der Zentralregierung zu schaffen.
Der andere Gesichtspunkt entspringt aus dem Wesen der bisherigen Thüringischen Verwaltung. Nur in Meiningen ist ein vollentwickeltes kreiskommunales Leben vorhanden. Die meiningsche Kreisordnung ist älter als die preußische. In den übrigen Kleinstaaten ist, abgesehen von einem gewissen Anfang, den man seit 1917 in Reuß gemacht hat, ein kommunales Leben in den Bezirken und Kreisen erst durch die Kriegswirtschaft erlischt in allen diesen Bezirken die kommunale Wirtschaft überhaupt. Diese Bezirke und Kreise bleiben im allgemeinen dann nur staatliche Verwaltungsbezirke mit einer losen, durch die Bildung von Kreis- und Bezirksausschüssen hergestellten Verbindung staatsorganischer Art.
Für die neue Kreiseinteilung in Thüringen ist von diesem Gesichtspunkte aus zu bemerken, daß man Kreise mit voll entwickeltem kommunalen Leben, mit einer in fünfzigjährigem Aufbau errungenen wirtschaftlichen Einheit, mit einer Fülle von Kreiseinrichtungen, mit Kreisschulden und Kreisvermögen nicht ohne schwierige Auseinandersetzung zerlegen und umbauen kann. Viel leichter dagegen ist ein Umbau, eine Teilung der mehr oder weniger rein staatlichen Verwaltungsbezirke möglich. Sie sind schon oft im Laufe der Geschichte, und zwar oft nur aus äußerlichen Gründen umgestellt und umorganisiert worden. Und wo sie wirklich schon längere Zeit bestehen, muß das Zusammengehörigkeitsgefühl, soweit es mehr aus dem Boden staatlicher Verwaltung als aus wirtschaftlichen Beziehungen erwachsen ist, letzten Endes zurückstehen vor dem großen Gesichtspunkte der so lange erstrebten Einheit Thüringens und seines neuen wirtschaftlichen und kulturellen Aufbaues.
Quelle:
Weimarische Landes-Zeitung vom 10.11.1920
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Th%C3%BCringische_Staaten#/media/Datei:Thueringen_1910.svg