Rote Socken-Kampagne in Sondershausen
Nach den Landtagswahlen im Juni stehen im November 1920 Gemeinde- und Bürgermeisterwahlen an. In Sondershausen versucht die Rechtspresse die Furcht vor einem sozialistischen Bürgermeister anzustacheln und warnt vor einer Zersplitterung des bürgerlichen Lagers.
Bürger Sondershausens seid auf der Hut!
Demnächst Bürgermeisterwahl.
Für die allernächste Zeit sieht Sondershausen vor folgenschweren Entschließungen. Es soll bekanntlich in unmittelbarer Wahl von der gesamten wahlberechtigten Einwohnerschaft ein neuer erster Bürgermeister gewählt werden. Es ist anerkennenswert, daß die deutschnationale Volkspartei, Bezirksgruppe Sondershausen, sich in ihrer gestrigen Mitgliederversammlung mit dieser Frage eingehend beschäftigte, denn es handelt sich um eine Angelegenheit von größter Bedeutung für jeden einzelnen von uns, dem seine Vaterstaft und ihr Gedeihen am Herzen liegt. Bankprokurist Wenzel, der als Vorsitzender des Gemeinderates die gesamte Wahlhandlung zu leiten hat, machte wissenswerte Mitteilungen über den derzeitigen Stand der Angelegenheit. Vielleicht schon in der kommenden Woche sollen in einer großen öffentlichen Wählerversammlung die Namen der sämtlichen Bewerber mitgeteilt werden. Außerdem wird der zur Auswahl geeigneter Kandidaten bestimmte Ausschuß des Gemeinderats die Auserwählten namhaft machen, worauf es den Wählern zusteht, aber auch, eigene Vorschläge zu machen. Hier tut sich nun eine
große Gefahr für die bürgerlichen Wähler
auf, indem nämlich die Unabhängigen oder Neukommunisten Sondershausens, wie wohl richtiger zu sagen ist, erklärt haben, sie würden einen eigenen Kandidaten aufstellen. Herr Wenzel machte den sehr einleuchtenden Vorschlag, die Bürgerschaft müsse sich unbedingt auf einen Kandidaten einigen, damit nicht etwa ein bürgerlicher Kandidat schließlich mit einem neukommunistischen in die Stichwahl komme oder sogar der Neukommunist gewählt werde. Man einigte sich in der deutschnationalen Mitgliederversammlung dahin, daß mehrere Mitglieder der Partei mit Herren der deutschen Volkspartei und des Wirtschaftsverbandes zu einem Ausschuß zusammentreten, der sich zunächst grundsätzlich für die Aufstellung eines gemeinsamen Kandidaten erklärt, um diesen Herrn dann, sobald Namen und Persönlichkeiten bekannt sind, endgültig für die Wahl vorzuschlagen. Der Ausschuß bekommt von der Partei vollste Freiheit der Entschlüsse zugesichert. Seine Beschlüsse sollen unbedingt als bindend gelten.
Es mag auf den ersten Blick natürlich verwunderlich erscheinen, daß der Ausschuß von einer Beteiligung der Demokraten nichts verlauten ließ. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß man nach den Erfahrungen der letzten Tage in Weimar kaum Hoffnung haben kann, die Demokraten für die Teilnahme an einer gemeinsamen bürgerlichen Liste zu erwärmen. Vielleicht täuscht man sich, aber die Herren dürfen es den rechts von ihnen Stehenden wahrlich nicht verübeln, wenn sie des Glaubens sind, daß ihre Neigungen mehr dem unabhängig kommunistischen Kandidaten gelten werden als dem bürgerlichen. Für solchen Fall, der sehr wohl möglich, wenn nicht wahrscheinlich ist, muß die Bürgerschaft doppelt wachsam dastehen. Es wäre höchst bedauerlich, wenn es überhaupt nötig würde, einen bürgerlichen mit einem neukommunistischen Kandidaten in die Stichwahl zu schicken, aber
es wäre ein Skandal für Sondershausen
wenn es einen unabhängig-kommunistischen ersten Bürgermeister bekäme. Wollen die Bürger, deren es hier in Sondershausen neben den Unabhängigen immer noch eine ganze Reihe geben soll, das verhüten, so dürfen sie die Angelegenheit nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es gilt vorzubeugen, es gilt den Brunnen zuzudecken, ehe das gesamte Bürgertum hineinplumpst, wenn es womöglich eines Tages vor der vollendeten Tatsache steht: der neue kommunistische 1. Bürgermeister ist da. Es hat sich schon öfter im Reich und in Städten und Gemeinden ereignet, daß das Bürgertum mit staunend offenem Munde vor der Tatsache stand, daß seine politischen Gegner links rühriger und wachsamer gewesen waren und ihr Ziel erreicht hatten. Dann ging das Schimpfen und Krakehlen los. Es ist schwerer zu heilen als vorzubeugen. So viel für heute. Zum Schluß sei der Sondershäuser Bürgerschaft nochmals zugerufen: Sei wachsam, sei rührig, wecke die Lauen und Schlaftrunkenen, bleib am Tage der Wahl nicht zu Hause! Dann braucht Dir um das Ergebnis der Wahl nicht bange zu sein.
G. Schüren.
Unter den rund 32 Kandidaten befinden sich u.a. Rechtsanwalt Joedecke, Greußen, ein Sondershäuser Kind und Kommerzienrat Becherer von hier. Außerdem hat sich noch ein Regierungsrat Dr. Höser aus Bremen gemeldet, der auch Thüringer ist, sich in den großstädtischen Verhältnissen nicht wohl fühlt und nach Thüringen zurückmöchte. Wahlberechtigt ist übrigens jeder Sondershäuser, der mindestens 6 Monate hier ansässig ist.
Quelle:
Der Deutsche vom 12.11.1920
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00246778/SDH_19376538_1920_Der_Deutsche_1141.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00307410
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rathaus_(Sondershausen)#/media/Datei:V2_pg33_Sondershausen_Markt.jpg