Steuerstreit in Weimar
Die rechtsgerichtete Thüringer Tageszeitung kommentiert die kürzlich stattgefundene Gemeinderatswahl in der Landeshauptstadt. Besonders die Frage neuer Steuern sieht das Blatt kritisch und verdächtigt die sozialistische Opposition alles sozialisieren zu wollen.
Ein Nachwort zur Gemeinderatswahl in Weimar
Die jetzige Gemeinderatswahl fand unter merkwürdigen Umständen statt. Der Gemeindevorstand hatte kurz zuvor ein Steuerbukett überreicht, das reichlich groß und überaus drückend war. Es war begründet mit der Not der Stadt, die im Steuerjahre 1920 mit einem Fehlbetrage im ordentlichen Etat von über 3 Millionen Mark und daneben im außerordentlichen Etat trotz einer Anleihe von 10 Millionen Mark mit einem Fehlbetrage von wenigstens 1 Million Mark zu rechnen hat. Daneben mußte trotz der bereits aufgenommenen Anleihe von 10 Millionen Mark eine weitere Anleihe von 2 ½ Millionen Mark bewilligt werden. Also 12 ½ Millionen Mark Anleihe in einem Jahre! Das sind trostlose Aussichten für die Zukunft. Die Bedürfnisse der Gemeinde sind eben, teils unabwendbar, teils durch Bewilligungsfreudigkeit im Gemeinderat, insbesondere von der linken Seite, außerordentlich gestiegen, und man kann es begreifen, daß den Gemeindevorstand ein Grauen überkommt und er krampfhaft nach neuen Einnahmen sucht. Das ist aber ein schweres, ja fast unmögliches Beginnen. Das Reich hat alle Steuerquellen an sich gezogen, gibt nur Teile davon an die Gemeinden ab, und hat eigentlich nur drei neue Steuerquellen von einiger Bedeutung den Gemeinden überlassen, nämlich die Grundsteuer, die Gewerbesteuer und die Steuer vom reichseinkommensteuerfreien Teile des Einkommens. Trotz alles Suchens hatte der Gemeindevorstand offenbar andere Steuerquellen nicht gefunden und brachte diese drei Steuerarten, die allein noch wesentliche Einnahmen erhoffen ließen, kurz vor der Gemeinderatswahl in Vorschlag, freilich in einer Form, die Härten und Ungerechtigkeiten nicht vermieden hatte.
Es war klar, daß diese neu vorgeschlagenen Steuern gerade in diesem Momente manchem sehr unbequem erscheinen mußten, und daß diese Stimmung auch im Gemeinderate Einflüsse haben möchte. Dabei ergab sich folgendes Bild: die Vertreter der rechtsstehenden Parteien, deren Mitglieder in vielen Fällen die Leidtragenden waren, verschlossen sich trotzdem nicht der Notwendigkeit, die Stadtfinanzen zu sanieren, da es einfach eine andere Art der Abhilfe nicht gab und man die Stadt doch nicht rettungslos in ihrer finanziellen Misere lassen konnte, die die unheilvollsten Folgen für die Stadt und die gesamte Bürgerschaft herbeiführen mußte. Von der rechten Seite im Gemeinderat war ja auch der jetzige unheilvolle Zustand der städtischen Finanzen längst vorausgesagt und vor der allzu großen Bewilligungsfreudigkeit gewarnt worden. Aber jetzt, wo die Not vorlag, glaubte die Rechte es nicht verantworten zu können, alles zu versagen. Sie war also bereit, mitzuarbeiten unter tunlichster Beseitigung der Härten und Ungerechtigkeiten der neuen Steuervorschläge, zumal ja nicht geleugnet werden konnte, daß die vorgeschlagene Grundsteuer und Gewerbesteuer fast im ganzen übrigen Deutschland zugunsten der Gemeinden bereits seit langen Jahrzehnten bestehen. Aehnliche Erklärungen gab die Demokratische Fraktion des Gemeinderates ab, die ihre Erklärungen aber nachher etwas einschränken zu müssen glaubte. Die Sozialdemokraten lehnten die neuen Steuern ab. Die Ausgaben hatten sie samt und sonders bewilligt, für die Einnahmen ließen sie andere sorgen. Allerdings einen Vorschlag machten sie zur Deckung des Fehlbetrages, den Vorschlag alles zu sozialisieren.
So lautete wörtlich die Erklärung des sozialistischen Wortführers. Was eine Durchführung dieses Vorschlages bedeuten würde, ist klar, die Vernichtung jeder selbstständigen Existenz. Dann gäbe es nur noch Arbeiter und Beamte und – Millionen von Arbeitslosen auf Staats- oder Gemeindekosten. Wahrlich eine verheißungsvolle Zukunft für jede bisher selbständige Existenz, die Beseitigung jedes Anspornes für eigenen Erwerb, die Unterdrückung jeder Arbeitslust und Arbeitsfreudigkeit im eigenen Betriebe! Ob und inwieweit bei dieser Stellungnahme der Sozialdemokraten Rücksicht auf die bevorstehenden Gemeinderatswahlen maßgebend war, was mehrfach behauptet wurde, kann hier nicht untersucht werden. In das Herz sehen kann man dem Menschen nicht und Sozialisierung ist ja von jeher das Allheilmittel der Sozialdemokratie gewesen, von dem sie nicht einmal durch die schlechten Erfahrungen der bereits sozialisierten Betriebe und deren Milliardenfehlbeträge bekehrt worden ist. Die Fehlbeträge der Stadt auf Anleihen zu verrechnen, was auch verschämt angedeutet wurde, heißt nur den Teufel mit Beelzebub austreiben; denn Anleihen müssen verzinst und zurückgezahlt werden, und 12 ½ Millionen Anleihe in einem Jahr ist für Weimar schon weit mehr als genug. Wenn das so weiter geht, ist das Ende mit Schrecken in kürzester Frist zu erwarten. Blieb so im Interesse unserer Stadt nichts anderes übrig, als bei den neuen Steuervorlagen mitzuarbeiten, so kann doch offen zugestanden werden, daß dadurch die Stellung der mitarbeitenden Parteien im Wahlkampfe selbst nicht gerade erleichtert wurde. Manchem mochte doch grauen vor der neuen steuerlichen Belastung, mancher mochte denken, zwischen dem Vorschlag der Sozialisierung und der Sozialisierung selbst wird noch recht viel Zeit liegen und die Suppe wird nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht wird. Da ist es nun eine Freude, zu sehen, daß das Bürgertum Weimars sein eigenes Interesse dem allgemeinen Interesse untergeordnet und gewählt hat, wie es im Interesse der Stadt mußte. Es ist dies ein Zeichen des Erwachens des Bürgertums, das sich nicht mehr durch Redensarten, Versprechungen oder Drohungen fangen oder einschüchtern läßt, sondern so handelt, wie es zum Besten der Stadt dient. Auch in anderen Stellen unseres Vaterlandes, in- und außerhalb unserer Landesgrenzen tritt die gleiche Erscheinung zutage, so bei den Gemeinderatswahlen in Jena, bei den Landtagswahlen im Königreich Sachsen usw. Die Sozialdemokratie sitzt auf dem absteigenden Ast, nicht lange mehr kann sie sich halten. Es bedarf nur eines leisen Anstoßes durch weitere Ernüchterung und Besinnen des Bürgertumes auf seine eigene Kraft. Dann ist es aus mit der sozialistischen Herrschaft, aus mit dem so viel gepriesenen und so überaus schädlichen Sozialisieren. Dann wird unser Volk wieder gesunden und vorwärtskommen. Die Anzeichen dafür sind da und mehren sich. Jeder möge das Seine tun, den Erfolg zu beschleunigen!
Quelle:
Thüringer Tageszeitung vom 21.11.1920
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Weimar#/media/Datei:Wappen_Weimar.svg