Thüringen bekommt endlich eine Regierung
Nach langem Hin und Her ist es geschafft. Die Regierungsbildung ist abgeschlossen, nachdem die DDP als Königsmacherin für die linke Option entschieden hat. Die USPD, die ihrerseits eine Parteispaltung hinter sich hat, wird das Minderheitenkabinett unter der Führung von Arnold Paulssen tolerieren und nicht personell im Kabinett vertreten sein. Umstritten ist aber auch die Personalie v. Brandenstein, der auch aufgrund seiner prominenten Rolle bei der anstehenden Kreisreform zum Feindbild der Rechten wurde.
Die Regierungsbildung in Thüringen.
(Stimmungsbild aus dem Landtag.)
Ls. Weimar, 10. November 1920.
Niemals wurde wohl der Eröffnung des Landtages mit solcher Spannung entgegengesehen wie dieses mal, denn nie vorher waren die Folgen einer Regierungsbildung so inhaltschwer.
Und nun haben wir sie, die Regierung. Sie besteht aus Paulssen, Benz, Brandenstein und Frölich. Als Staatsräte sind Krüger-Gotha, Bielfeld-Arnstadt, Hartmann-Rudolstadt in Aussicht genommen. Es ist die Liste, die von den Mehrheitssozialisten vorgebracht und von Leber begründet wurde.
Neumann (Deutsche Volkspartei) hält diese Regierung nicht für dauerhaft. Nur die Koalition könne von Nutzen sein und die Rechte sei zu allen Opfern bereit gewesen; sie habe auch auseinandergehen wollen, falls dieses die Regierungsbildung erleichtere. Die Sozialdemokratie aber halte sich an die Beschlüsse des Kasseler Parteitages gebunden und wolle nicht mit Parteien zusammenarbeiten, die über die Demokratie hinausgehen. Er wendet sich dann besonders gegen die Person des Herrn v. Brandenstein, dem er Selbstherrlichkeit und allzu selbständiges Vorgehen vorwirft. Immerhin verspricht er, der Regierung nicht prinzipielle Opposition zu machen.
Mehnert-Altenburg (Demokrat) bedauert in leider recht langer Rede und mit vielen Wiederholungen auch, daß eine Koalitionsregierung nicht zu erreichen gewesen sei. Die Auflösung des Landtages sei aber eine noch unmöglichere Lösung der Frage. Auf den Vorwurf, daß die Demokraten überhaupt nie wüßten, ob sie ihre Hand nach links oder nach rechts reichen sollten, entgegnet er, daß die Demokraten eben gerade die Pflicht in sich fühlten, Rechts und Links am Schlafittchen zu nehmen, um das Ganze nur einigermaßen zusammenzuhalten. Sie haben es dadurch erreicht, daß nun wenigstens die Sozialdemokratie und Demokratie an die Arbeit gehen können und die Zusammensetzung wesentlich besser sei als im Juli, als die Unabhängigen sich auch beteiligen wollten und den Standpunkt dabei vertraten: Eine Regierung, an der die Unabhängigen beteiligt sind, muß unseren Stempel tragen. Auch die Rechte wird sich nun nicht verpflichtet fühlen, fortdauernd in Kampfstellung zu stehen und auch die Linke braucht sich nicht immer zur Opposition verpflichtet zu fühlen. Wird uns die Regierung nicht über Arbeitslosigkeit, Hungersnot und anderes so einfach hinweghelfen können – ungünstige Verhältnisse, die von außen kommen –, so hoffen wir doch, daß sie mancherlei Schwierigkeiten beseitigen wird. Jedenfalls war die Zusammensetzung die einzige Möglichkeit, die Sozialdemokratie mit zur Arbeit heranzuziehen. Das Arbeitsfeld ist nun wenigstens geschaffen, fester Boden unter den Füßen. Ob darauf glücklich gearbeitet werden kann, weiß man nicht, aber den Versuch wollen wir machen. Eine Regierung ist jedenfalls besser als keine Regierung.
Der Unabhängige Tenner fühlt sich dann gedrungen, eine Philippika gegen den Kapitalismus zu halten und den Rechtsparteien wieder einmal die Schuld am Kriege und allem Elend vorzuwerfen. Er hofft, daß der Thüringer Landtag dazu beitragen werde, die sozialistische Organisation vorzubereiten. Er hätte es lieber gesehen, wenn die Regierung zustande gekommen wäre auf einer Grundlage, auf der auch seine Partei einflußreich hätte mitarbeiten können, aber da dies nicht möglich gewesen sei, wollen auch die Unabhängigen nicht grundsätzlich Opposition machen.
Eichel-Streiber (Deutschnational) will vor allen Dingen feststellen, daß es seiner Gruppe ein Opfer ist, an der Regierung nicht mitzuarbeiten. Dann verwahrt er sich dagegen, daß man Benz zur Rechten zähle und überhaupt diese Regierung als eine auf der Mittellinie bezeichne. Er bezweifelt überhaupt die Möglichkeit einer Koalitionsregierung, da die Rechte ja nicht über die Demokratie hinaus – nach Ansicht der Sozialdemokratie wenigstens – beteiligt werden könne. Es gehöre ein großer Optimismus dazu, meint er, wenn man annehme, es werde von nun an eine Politik der Mitte gemacht, es werde nicht einmal eine als „maßvoll demokratisch“ zu bezeichnende werden. Um Ruhe und Frieden zu haben, werde die Regierung der Sozialdemokratie mehr und mehr nachgeben. Herr Bielingk erwarte ja jetzt schon die Einführung der sozialistischen Wirtschaftsordnung durch den Landtag. „Wir haben ein Mißtrauen, und ob dieses Mißtrauen eine greifbare Form annimmt, das wird uns die nächste Zeit lehren.“
[…]
Der Kommunist Tenner erklärt den vollkommenen Bankerott der Demokratie und des Parlamentarismus. Die Zusammensetzung der Regierung beweise es. Es sei eine Mehrheit unterdrückt, und da sie sich unterdrücken lasse, verdiene sie es auch. Seine Partei könne auch kein Regierungspöstchen verlocken, an der Arbeit teilzunehmen. Der Fechtboden für seine Partei sei ganz wo anders. Die Diktatur des Proletariats werde nicht auf parlamentarischer Wege erreicht.
Weniger blutrünstig, aber mit großem Stimmenaufwand äußerte sich dann gegen die Rechtsparteien der Sozialist Rennert. Er zog ganz gewaltig ins Feld gegen Höser und seine Bestrebungen, Großthüringen wieder zu sprengen. Leider werden auch Wahrheiten, die immer wiederholt werden, dadurch nicht interessanter, und die Reihe der Zuhörer lichten sich stark.
Gegen 7 Uhr war dann aber die Regierung endgültig in die Welt gesetzt und das Haus vertagte sich auf Donnerstag vormittag.
Quelle:
Jenaer Volksblatt vom 11.11.1920
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273738/JVB_19201111_266_167758667_B1_001.tif
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Land_Th%C3%BCringen_(1920%E2%80%931952)#/media/Datei:Wappen_Land_Th%C3%BCringen.svg