100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Weimarer Schulkompromiss in der Kritik

Die Nationalversammlung in Weimar hatte sich den weitgehenden sozialistischen Forderungen nach einer grundlegenden Schulreform nicht anschließen können und die Fortexistenz von Konfessionsschulen ermöglicht. Mehr als ein Jahr nach Verabschiedung der Verfassung ist die Ernüchterung über den damals erzielten Schulkompromiss jedoch groß, wie die Weimarische Landeszeitung zu berichten weiß.

Die Hermann-Lietz-Schule in Haubinda bei Hildburghausen

Schulpolitische Ernüchterung.

Wenn man die Tagung des Reichsschulausschusses mit den Erwartungen vergleicht, die nach Ausbruch der Revolution in Lehrer- und Erzieherkreisen wach wurden, so muß man einen gewaltigen Umschwung der Stimmung feststellen. Damals erscholl sogleich der Ruf nach einer Reichsschulkonferenz. Damals glaubte man, nun würden sofort die bedeutendsten Pädagogen, die unter dem alten Regime künstlich zurückgehalten wurden, in Aktion treten können. Man hoffte, es würde wenigstens auf den Boden der Erziehung der sofortige Wiederaufbau beginnen können, der auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet noch lange auf sich warten lassen mußte. Die Schulreform war ja schon lange in Fluß: die Zeit erschien für eine ganze Reihe von pädagogischen Fortschritten durchaus reif. Man war überzeugt, daß das Reich nur mit einer Gebärde die bisherigen Schranken für beseitigt zu erklären brauchte, und daß dann in allen Ländern sofort neues Leben aus den Ruinen sprießen würde.

Es war schon die erste Enttäuschung, daß die Reichsschulkonferenz solange aufgeschoben werden mußte. Es war die zweite Enttäuschung, daß das Weimarer Schulkompromiß sich gerade auf die pädagogischen Fragen stürzte, die am allerwenigsten einen sofortigen Bearbeitung zugänglich waren: das religiöse Gebiet. Wenn man Deutschland zu all seinem sonstigen Unglück nicht auch noch einen Kulturkampf bescheren wollte, dann konnte man die pädagogischen Reformen an allen Ecken beginnen, nur nicht gerade an der religiösen Seite. Trotz aller Warnungen wurde der Fehler dennoch gemacht. Nun rächt er sich schwer. Denn jetzt ist die ganze Schulreformbewegung auf dieser Klippe festgefahren. Das Zentrum fordert dringend ein Ausführungsgesetz zu § 146 der Reichsverfassung. Es will die Erziehungsberechtigten mobil machen, um überall die Konfessionsschule durchsetzen zu können, wo sie nicht mehr besteht; und immer wieder müssen sich jetzt die Unterrichtsverwaltungen wochenlang mit dieser Materie befassen. Wenn nicht alles trügt, steht man nun doch am Eingang schwerer schulpolitischer Kämpfe, die man ursprünglich klugerweise hatte vermeiden wollen, und weil diese Materie alle Aufmerksamkeit der Schulmänner in Anspruch nimmt, bleiben die wichtigsten anderen Reformen stecken. Noch geschah nichts positiv zur Verbesserung der Lehrerausbildung. Noch setzte sich weder das technische noch das deutsche Gymnasium durch, das seit Jahrzehnten schon von den hervorragendsten Schulmännern gefordert wird. Noch weiß kein Land, ob es mit derartigen Reformen vorgeben kann, ohne die Anerkennung seiner Zeugnisse durch das Reich zu gefährden. Nicht einmal Kleinigkeiten, wie die Titulierung der Lehrer usw. sind in Angriff genommen. Von dem Problem der Selbstverwaltung der Schulen ganz zu schweigen.

Es scheint, als ob auch die am Reichsschulausschuß beteiligten Vertreter der Schulverwaltungen unter der Last der Enttäuschungen litten. Jedenfalls, von großzügigem Schaffensmut ist so gut wie nichts mehr zu spüren. Harte Gegensätze platzen aufeinander. In Weimar wurde seinerzeit die Schulfrage den Fachleuten entwunden und ganz der Parteipolitik ausgeliefert. Es gab Leute, die sich davon eine starke Förderung der Entwicklung versprachen. Sie werden jetzt eines Besseren belehrt sein. Bei den Schulfachleuten ist eine Fülle von pädagogischen Ideen lebendig, die in dem Gewirr der Parteipolitik erstickt werden. Das ist die jetzige, traurige Lage der deutschen Schulpolitik.

Quelle:

Weimarische Landeszeitung vom 4.11.1920

 

Bild:

https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann-Lietz-Schule_Haubinda#/media/Datei:Hermann-Lietz-Schule_Haubinda_7.jpg