Wie umgehen mit Frankreich?
Das Jenaer Volksblatt beschäftigt sich mit der Lage am besetzten Rhein und gibt die Reden des Reichskanzlers und des Außenministers wieder. Doch welche politischen Mittel bleiben dem besiegten Deutschen Reich?
Reden am Rhein
Es ist entschieden ein Vorzug unserer Verfassungsverhältnisse, daß jetzt Kanzler und Minister in die Volksversammlungen gehen und auch dort für ihre Politik werben. Nachdem vor kurzem der demokratische Innenminister Koch im besetzten Gebiete geweilt, haben jetzt auch der Reichskanzler und der Außenminister in Düsseldorf gesprochen das zwar nicht besetzten Gebiet gehört, aber von wo aus Reden bis in die entferntesten Winkel des Rheinlandes wirken. Der Kanzler hat den Geist der deutschen Treue in Rheinland gefeiert und daran anschließend die politischen Probleme der Gegenwart gestreift. Aus den Worten des Außenministers klingt etwas mehr heraus. Einmal hat Dr. Simons festgestellt, daß wir durch andere finanzielle Verpflichtungen des Friedensvertrages die fünf Goldmark für die Tonne gelieferter Kohlen nicht zu einer Besserung der Lebensmittelversorgung für die Bergarbeiter verwenden können, zum anderen gab er einige grundsätzliche Bemerkungen zur Wiedergutmachungsfrage. Besonders wertvoll sind seine drei Voraussetzungen für eine Wiedergutmachung, keine weiter Verstümmelung von Deutschlands Wirtschaftskörper, besonders durch Wegnahme Oberschlesiens, keine fernere wirtschaftliche Fesselung in der Welt und schließlich Verringerung der ungeheuren Besatzungskosten. Dabei sagte Dr. Simons noch, daß Deutschland lieber eine fortdauernde Unsicherheit als eine Bindung für Verpflichtungen unmöglicher Leistungen auf sich nehmen wolle. Vielleicht wäre es zweckmäßiger gewesen, auf die Festsetzung einer normalen Wiedergutmachungssumme zu drängen. Aber man kann dem Außenminister zugestehen, daß die Geistesverfassung der Franzosen noch recht wenig Hoffnung auf Vernunft und Besinnung aufkommen läßt. Der Kanzler wie der Außenminister besprachen auch die Drohung mit dem Einmarsch in das Ruhrgebiet. Dr. Simons bezeichnete einen weiteren Einmarsch in deutsches Land als feindliche Handlung, und er wies es vor allen Dingen auf die geradezu unerhörten Leistungen Deutschlands durch Innehaltung des Spaa-Abkommens und der Durchführung unserer Entwaffnung hin.
Quelle:
Jenaer Volksblatt vom 16.11.1920
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273742/JVB_19201116_270_167758667_B1_001.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371163
Bild:
http://www.simplicissimus.info/uploads/tx_lombkswjournaldb/pdf/1/25/25_34.pdf