100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Wie umgehen mit Rechtsterrorismus?

Im Nachhall des Kapp-Putsches ändert die radikale Rechte die Strategie für einen Sturz der Republik. Die linkssozialistische Neue Zeitung erwartet jedoch keine effektive Bekämpfung des Rechtsterrorismus, da dieser ja ohnehin ein Instrument der „bürgerlichen Rechtsordnung“ zur Niederhaltung des revolutionären Proletariats sei. Einzig der wirtschaftliche Klassenkampf könne der Arbeiterschaft den Sieg bringen, womit das Blatt die polizeilichen Möglichkeiten des Staates unterschätzt.

Kapp-treue Truppen in Berlin, März 1920

Der Bürgerkrieg der Bourgeoisie.

Reichskanzler sprach im Reichstag von der „Bürgerlichen Rechtsordnung“. Er warnte die Kommunisten, den Boden der Gesetzlichkeit zu verlassen. Er drohte mit den schärfsten Maßnahmen, verzichtete jedoch auf Ausnahmezustand, da die bestehenden Gesetze ausreichen.

Eine grelle Illustration zu Fehrenbachs Rede bieten die neuesten Vorgänge in Ostpreußen, Sachsen und Bayern. Indessen Fehrenbach die Kommunisten warnt, den gesetzlichen Boden zu verlassen. Indes Fehrenbach verspricht, nur mit gesetzlichen Mitteln die proletarische Revolution niederzuwerfen, haben Junker und Kapitalisten die bewaffneten Organisationen, die Mörderzentralen, die „Schwarze Hundert“ geschaffen.

Die Regierung Fehrenbach, die das Aushängeschild ist derer um Stinnes, bedeutet die bürgerliche Gegenrevolution innerhalb der demokratischen Verfassung und Gesetzlichkeit. Als solche ist eine Halbheit und kann der entschiedenen Gegenrevolution nicht genügen. Die Interessen der Bourgeoisie, vor allem des Agrarkapitals, lassen sich heute nicht mehr vereinen mit der demokratischen Regierungsform, mit der Rücksicht auf Paragraphen und parlamentarische Komödien. Die Bourgeoisie kann sich heute nur noch halten durch die rücksichtsloseste, brutalste Unterjochung und Ausbeutung des Proletariats. Auch das kleine und mittlere Bürgertum, das bei den letzten Wahlen aus den Reihen der sozialen Demokratie hinüberflüchtete in den Schutz der Schwerindustrie, kann dort nicht stehen bleiben. Die wachsende Zersetzung des Kapitalismus treibt es notwendig weiter ins Lager der äußersten Rechten unter die Schutzherrschaft der eisernen Faust der Junker und Generäle. Die Demokratie ist bankrott, und die Diktatur des Militärs, der Bonapartismus, öffnet sich der Bourgeoisie als einzige Rettung.

Die Regierung Fehrenbach mit ihren schönen Worten und demokratischen Gebärden ist nur die Wegbereiterin der Diktatur Ludendorffs, genau so wie die Regierung Scheidemann-Noske nur Wegbereiterin war der Fehrenbach-Geßler. Die Demokratie hatte nur den Zweck, die Rüstungen der entschiedensten Gegenrevolution zu verschleiern und vorzubereiten.

Die Enthüllungen aus Ostpreußen, Sachsen und Bayern zeigen dem Proletariat im grellen Blitzlicht die furchtbare Nähe und Größe der Gefahr. Sie zeigen ihm die fieberhaften Rüstungen, die Brutalität und Bedenkenlosigkeit der militärisch-junkerlichen Terroristen. Vor allem die Vorkommnisse in Bayern, wie Landespolizeiamt, Einwohnerwehren und französische Agenten im trauten Verein eine Mörderzentrale organisieren und Mordversuche auch ausführen, zeigen ihm, daß Horthy-Ungarn nicht mehr jenseits von Wien ferne im Süden liegt, sondern handgreiflich nahe gerückt ist, mitten unter und über der deutschen Arbeiterklasse. Der Weiße Terror trat bisher in Deutschland nur an einzelnen Orten und in bestimmten hochgespannten Krisen auf, heute steht er wohlorganisiert und gerüstet, um ganz Deutschland dauernd in ein zweites Ungarn oder Finnland zu verwandeln.

Die Enthüllungen in Sachsen, Bayern und Ostpreußen zeigen die Größe der Gefahr und zugleich die Größe der Schuld. Die Größe der Schuld aller jener, die dem Proletariat weis machten, man könne die Gegenrevolution vernichten auf legalem, demokratischem Wege. Die Sozialdemokratie und die rechten Unabhängigen schlagen jetzt gewaltig Lärm. Aber war es nicht das System Noske, daß den Generälen ihre Machtgrundlage erst schuf? Waren es nicht gewisse unabhängige Führer, die die Bewaffnung des revolutionären Proletariats in den Kapptagen vereitelten. Ihr Geschrei ist nur ein Manöver, um den Zorn des erwachenden und enttäuschten Proletariats von seinen Verrätern abzulenken, um noch einmal sein Vertrauen zu gewinnen.

Sozialdemokraten und Rechtsunabhängige gebärden sich als die Retter des Proletariats. Aber was haben sie bisher getan, um die wachsende Macht der Gegenrevolution zu vernichten? Was tun sie heute, um in letzter Stunde den furchtbaren Feind unschädlich zu machen. Nichts wissen sie als die Interpellation in einem bankrotten Parlament. Sie wagen es nicht, an das Proletariat zu appellieren, sie appellieren an bürgerliche Institutionen.

Selbstverständlich sagt ihnen die bürgerliche Regierung strengste Untersuchung und Bestrafung der Schuldigen zu. Aber diese Regierung weiß genau, daß sie den weißen Terroristen weder an den Hals gehen kann noch will. Ihre Waffen wenden sich nur gegen den angeblichen „Roten Terror“. An den Schein zu wahren, muß sie so tun, als ob sie gegen Terroristen und Mörderzentralen der Orgesch vorginge. Aber sie existiert ja nur von ihren Gnaden. Schon kommen die amtlichen Dementis. Polizeipräsidenten und Reichswehrkommandos erhalten den Auftrag, Untersuchung einzuleiten. Das alte Spiel beginnt wieder. Gerichtskomödien! Kameradengerichte. Vielleicht wird man den einen oder anderen Sündenbock in die Wüste schicken. Die Orgesch wird trotzdem weiter rüsten, die Mörderzentralen werden trotzdem oder desto besser weiter arbeiten. Die Sozialdemokraten und Rechtsunabhängigen aber wecken mit ihren Geschrei das Proletariat nicht auf, sie schläfern die Massen ein.

Demgegenüber muß das revolutionäre Proletariat den Kampf auf jenem Felde aufnehmen, wo es dem Gegner gewachsen, nein, überlegen ist. Die Niederringung des Weißen Terrors wird nicht geschehen in den Parlamenten nicht durch bürgerliche Gerichte, nicht mit Hilfe bürgerlicher Beamten und Entwaffnungsaktionen. Man kann den Teufel nicht austreiben durch Beelzebub. Der Kampf muß aufgenommen werden durch die Massen selbst in den Betrieben, auf der Straße. Wo immer die harte Faust der Bourgeoisie auf dem Proletariate lastet, dort muß die Abwehraktion einsetzen. Die Arbeitslosigkeit nimmt überhand. Die Wirtschaftsanarchie verwandelt Deutschland in einen Ausverkauf. Die Kohlenmagnaten gehen daran, die Ausbeutung des gesamten Proletariats zu monopolisieren. Demgegenüber muß das Proletariat den Kampf aufnehmen für die Kontrolle der Produktion, für den Aufbau der Wirtschaft nach proletarischen Bedürfnissen und unter proletarischer Leitung. Dadurch allein wird es auch die bewaffnete Macht der weißen Terroristen aus ihrem Hinterhalte hervorlocken, dadurch wird es sie zwingen, den Kampf aufzunehmen nach den Bedingungen und unter den Umständen, die das Proletariat diktiert. Die Entwaffnung der Orgesch, die Aufhebung der Mörderzentralen kommt entweder als Glied im allgemeinen revolutionären Massenkampf oder sie kommt nicht. Heute gilt es, diesen Kampf einzuleiten.

Quelle:

Neue Zeitung vom 3.11.1920

 

Bild:

https://de.wikipedia.org/wiki/Marine-Brigade_Ehrhardt#/media/Datei:Bundesarchiv_Bild_119-1983-0012,_Kapp-Putsch,_Marienbrigade_Erhardt_in_Berlin.jpg