Ein „treuer“ Vater der Nation?
Als ehemaliger Generalfeldmarschall und Chef der Obersten Heeresleitung war Paul von Hindenburg maßgeblich für die deutsche Kriegsführung verantwortlich. Neben dem Sieg bei Tannenberg, der seinen Mythos als „Retter Ostpreußens“ begründete, ist Hindenburg vor allem für die deutsche Kapitulation bekannt. Er bemühte sich jedoch darum die Verantwortung für die Kriegsniederlage abzustreifen, indem er die Dolchstoßlegende verbreitete. In Jena ist Hindenburg bis heute Ehrenbürger der Stadt.
Hindenburgs 73. Geburtstag in Jena.
Den „Treuesten der Treuen” zu ehren, dazu hatte eine Anzahl Vereine die Einwohnerschaft für den 2. Oktober nach den Rosensälen eingeladen, um gemeinsam an seinem 73. Geburtstage unseres Hindenburg zu gedenken. Es war vorauszusehen, dass der Saal all die Verehrer des Generalfeldmarschalls nicht aufnehmen konnte. Schlicht, wie der große Mann immer selbst aufgetreten, war auch die Feier gedacht. Inmitten von Grün stand die Büste des Gefeierten und dahinter hatten sich Vertreter der militärischen Vereine eingefunden, die mit ihren zehn Fahnen und Standarten im Halbkreis das Bild einrahmten. Wenn sonst brausend das Lied vom großen Deutschland unsere Säle durchrauschte, so klang es jetzt, in meisterhafter Weise von einem Quartett vorgetragen, fast zaghaft leise, als ob wir das Recht darauf verloren hätten.
Dann trat der Festredner an das Pult: Generalleutnant von Schoch aus München, ein Soldat vom Scheitel bis zur Sohle aus der altpreußischen Schule und zugleich ein Redner mit selten schöner Aussprache. Und doch hielt er sich für zu schwach einen Mann zu feiern, vor dem Millionen der Feinde gezittert und dem Millionen Feldgrauer zugejubelt haben. Einen Homer möchte er aus dem Hades hervorholen, einen Minnesänger aus dem Mittelalter als den Sänger der Nibelungentreue und Nibelungennot unseres Vaterlandes. In glänzender Sprache schilderte der General den Werdegang des Gefeierten, für den Soldat zu werden kein Entschluss, sondern Selbstverständlichkeit war. Als Leutnant stürmte er 1866 an der Spitze seines Zuges eine österreichische Batterie von 5 Geschützen, und dann folgen seine Taten 1870 bei St. Privat. Nachdem er durch die hohe Schule des Großen Generalstabes gegangen, wird er 1904-11 Korpskommandeur, nimmt 1911 seinen Abschied, „um jüngeren Kräften Platz zu machen”. Am 22. August 1914 erreicht ihn die Anfrage seines Kriegsherrn, ob er bereit sei, das Oberkommando im Osten zu übernehmen. Soldatisch antwortet er: „Ich bin bereit!” Dann folgt in fesselnder Schilderung eine seiner schönsten Taten, das Meisterstück Hindenburgischer Feldherrnkunst: die Schlacht bei Tannenberg, wo 210.000 Deutschen mit 600 Geschützen 800.000 Russen mit 1.700 Geschützen unter [Paul von] Rennenkampff gegenüberstehen. Hier kann nur das Moment der Ueberraschung ausschlaggebend werden, der Anfang der bewährten Hindenburgischen Kriegführung, ein Feldherrenkunststück, das uns den herrlichen Sieg bei Tannenberg brachte. Angriff musste hier die Lösung sein, denn Verteidigung allein hieß sich erdrücken lassen. Es war der Sieg im Angriff gegen riesenhafte Ueberlegenheit, das höchste Ziel, das in allen Generalstabsübungen als erstrebenswert hingestellt wurde. Vom militärischen Standpunkte besehen ist der Vortragende feinfühlig genug, um den Namen Hindenburg immer in Verbindung mit der anderen Feldherrengrösse Ludendorff zu nennen, und 1916 treten beide Männer an die Spitze der gesamten vereinigten Streitkräfte im Westen […]. Weiterhin schilderte der Redner auch Hindenburgs Verhältnis zur Politik (Königreich Polen, Ubootkrieg). Der deutsche Vorstoß im Westen 1918 machte alles Vorhergegangene zu Kleinigkeiten.
Dann kam das Ende. Aber nicht der Feind von außen war es, der uns bezwang: der Hunger; die deutschen Nerven waren erschöpft; von allen waren wir verlassen. „Erlassen Sie es mir, was Sie alle bewegt.” Aber in dieser Nacht strahlt Hindenburgs Stern. Der Held erweist sich im Unglück. Er hat in jenen Tagen sich selbst bezwungen. „Wenn etwas gewaltiger ist als das Schicksal, so ist es der Mut, der es unerschüttert trägt. Damit lassen Sie mich den Vorhang ziehen vor das größte Trauerspiel der Weltgeschichte.”
Nun lässt der Redner Hindenburg sprechen: „Ich habe das Heldenringen meines Volkes gesehen, aber ich glaube nicht, dass es das Todesringen gewesen ist.” Unerschüttert ist sein Glaube an den Wiederaufbau und an die Jugend. „Und mit dieser Hoffnung steige ich ins Grab”, sagt Hindenburg.
Erhebend und feierlich gleichzeitig war der Treuschwur des Vortragenden: Hindenburg, Du vielgetreuer Mann! Wir wollen Deinen Glauben nicht zuschanden werden lassen. An Dir wollen wir uns aufrichten, wenn Zweifel uns überkommen, deutsch zu fühlen und zu denken und zu handeln wie Du. Deutsche Treue soll kein leerer Wahn sein. Dankbar gedenken wir Deiner. Hindenburg, dem besten Deutschen der Gegenwart, Heil! was die Versammlung durch dreifachen Ruf bekräftigte.
Lebhaft dankte der volle Saal dem Redner. Das gemeinsame Lied: „Eine feste Burg ist unser Gott” schloss die Feier. Während sich der Saal leerte, verlas der Redner einen Huldigungsgruss an den Gefeierten, der mit den Worten schloss, dass wir am Wiederaufbau Deutschlands im Hindenburgschen Sinne mitarbeiten wollen.
Quelle:
Jenaer Volksblatt vom 4.10.1920
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273705/JVB_19201004_233_167758667_Be_001.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371126
Bild:
http://www.simplicissimus.info/uploads/tx_lombkswjournaldb/pdf/1/22/22_40.pdf