100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Fertighäuser für die Armen

Nach dem Ersten Weltkrieg herrscht eine enorme Mangelsituation auf dem Wohnungsmarkt. Zur Linderung der Lage entwickelte u.a. der Architekt Rudolf Ditmar eine möglichst billige Bauweise, wobei er sich von außereuropäischer Architektur inspirieren ließ.

Zeichnung von Heinrich Zille (1909)

Zur Bekämpfung der Wohnungsnot.

Eine neue Bauweise zur Bekämpfung der Wohnungsnot erklärt Dr. Rudolf Ditmar, Graz, in der „Umschau”, Nr. 37.

Die Kohlenverhältnisse, die Materialpreise und die Arbeitslöhne in Europa lassen ein billiges Bauen nach dem alten System in Ziegel oder Beton nicht mehr zu.

Angesichts dieser Tatsachen müssen wir mit dem alten System brechen, ob wir wollen oder nicht, wenn wir noch wohnen wollen. In der Kunst, im sozialen Leben, überall greift man heute auf die einfachste Form zurück. Warum soll man im Hausbau eine Ausnahme machen? Wenn wir daher ein Haus konstruieren, welches den drei Hauptanforderungen, die wir unbedingt an eine vollständige Wohnung stellen müssen, Genüge leistet, dann werden wir unserer Zeit gerecht. Diese drei Hauptanforderungen lauten:

  1. Schutz nach oben gegen Regen und Sonne durch das Dach.
  2. Schutz nach den Seiten gegen Wind und Kälte durch die Wände.
  3. Schutz nach unten gegen Feuchtigkeit und Kälte des Erdbodens durch den Boden.

Wir brauchen also bloß ein festes Gerüst aus imprägnierten Holz oder Eisenbeton und die schützenden Flächen. Wenn wir dieses Ziel noch in der Weise erreichen, dass unser zeitgemäßes Haus auch noch zeitbeständig ist, dann bedeutet dies einen Triumph in jeder Hinsicht.

Andere Völker bauen längst nach anderen Prinzipien als wir. Das chinesische Haus, dessen obere Dachfläche nach Art einer nicht straffgespannten Leinwand konkav gewölbt erscheint, hat ein Fundament. Man baut jede Mauer doppelt und füllt den Zwischenraum mit gesiebtem Sand und gebranntem Kalk aus, welche Mischung allmählich zu Stein erhärtet. Die Wände geringerer Häuser sind aus Wickeln konstruiert, d. h. aus einem Weidengeflecht, dessen Ritzen man durch Straßenkot und Lehm verstopft. Ein paar Pfosten tragen das Ziegeldach, dessen abgerundete Kanten auf die Zeltnatur des Hauses hinweisen. Weiter sei an die japanischen Häuser erinnert, deren schützende Flächen aus Papier hergestellt werden.

Wir werden natürlich nicht mit Weidengeflecht und mit Papier schützende Flächen herstellen. Aber der Gedanke, welcher mich bei meiner Konstruktion leitete, steckt bereits im chinesischen und japanischen Hause.

Ich fülle nach meinem österreichischen Patente Nr. 81.157 den Raum zwischen zwei gegenseitig durch Draht verbundenen Drahtgeweben gleichmäßig im Kies, der durch die Netzmaschen nicht durchgeht, worauf die Außenseiten der Drahtnetze mit festem Beton ausgeworfen werden, so dass der durch die Drahtnetze durchbringende Beton mit dem anliegenden Kies eine erhärtende Schicht bildet, in der das Drahtnetz eingebettet ist. Der zwischen den beiden Schichten verbleibende Kies kann auch nach dem Erhärten der Betonmasse entfernt und durch Asphalt, Teer, Cellon, Paraffin und dergleichen ersetzt werden. Dies kommt besonders in Betracht, wenn es sich um die Herstellung von Schiffswänden, Badewannen, Bassins, Fässern, Bojen, Karosserien, Möbeln usw. handelt.

Die Vorteile meines Systems sind folgende:

Ersparnis der ganzen teuren Bretterverschalung des Eisenbetonbaus. Ersparnis an Kohle zur Herstellung der sonst üblichen Ziegel oder des kompakten Zements. Ersparnis an Fuhrwerk. Herstellungsmöglichkeit von Häusern auf allen Punkten mit schwieriger Zufuhr (Gebirge). Leichte Abtragbarkeit ohne Sprengung. Leichte Isolation der Rohrleitungen. Dauerhaftigkeit (gegenüber den Lehmbauten). Ersparnis am Fundament. Ersparnis an Arbeitskräften. Ersparnis an Material. Leichte Beschaffenheit der geringen Materialmengen. Gute Isolation gegen Kälte und Wärme. Kein Schwitzen des Betons. Billigkeit. Vollständig hygienisch.

Quelle:

Jenaer Volksblatt vom 8.10.1920

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273709/JVB_19201008_237_167758667_B1_002.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371130

 

Bild:

https://de.wikipedia.org/wiki/Wohnraummangel#/media/Datei:Zille_Geburtstag_VII-68-168-W.jpg