Fleisch für alle
Die während des Krieges eingeführte Zwangsbewirtschaftung von Gütern des alltäglichen Bedarfs wird langsam zurückgefahren. In Thüringen wird der Handel mit Fleisch freigegeben. Als Haupteffekt erhofft man hiervon eine Senkung der Preise.
Zur Aufhebung der Fleischzwangswirtschaft.
Vom Thüringischen Ernährungsamt wird uns geschrieben:
Der Staatsrat von Thüringen hat durch Bekanntmachung vom 28. September 1920 den Viehhandelsverband Thüringen aufgelöst. Der bisherige Vorstand ist mit der Liquidation des Verbandes beauftragt. Auch das Landesfleischamt wird seine Tätigkeit einstellen. Die Durchführung der Massnahmen, die nach der neuen Reichsverordnung über die Sicherung der Fleischversorgung in der Uebergangszeit vom 19. September 1920 vorgesehen sind, ist dem Thüringischen Ernährungsamt übertragen.
Mit der Aufhebung der Zwangswirtschaft von Vieh und Fleisch wird der Landwirt von allen Beengungen hinsichtlich der Viehbewirtschaftung frei. Der gewerbsmäßige Ankauf von Zucht-, Nutz- und Schlachtvieh bleibt jedoch nach wie vor von einer Zulassung abhängig, die vom Ernährungsamt ausgesprochen wird und sich im allgemeinen auf ganz Thüringen erstreckt. Die bisher geltenden Zulassungkarten des Viehhandelsverbandes werden bis zum 31. Dezember ds. Js. gegen neue Karten eingetauscht. Die bisherigen Karteninhaber werden einzeln zum Austausch aufgefordert.
Nach der neuen Reichsverordnung und der hierzu erlassenen Ausführungsverordnung des Ernährungsamtes ist der gewerbsmäßige Ankauf von Vieh nur gegen Ausstellung eines Schlussscheines erlaubt. Diese Vorschrift stellt den Viehverkauf auf eine sichere Rechtsgrundlage und ermöglicht eine Ueberwachung der Preise. Die Landwirte werden in ihrem eigenen Interesse stets Vieh nur gegen Aushändigung eines Schlussscheines abgeben. Schlussscheinzwang ist nicht vorgesehen für den Verkauf von Ferkeln bis zu 25 Kilogramm Lebendgewicht, Kälbern unter 3 Monaten und Schafen. Der Handel mit Schlachtvieh ist nur nach Lebendgewicht erlaubt. Bei Notschlachtungen, bei denen eine Feststellung des Lebendgewichtes nicht möglich war, kann die Bezahlung auch auf Grund des Schlachtgewichts vereinbart werden. Zuchtvieh kann dem allgemein üblichen Brauch entsprechend nach Stück gehandelt werden.
Der Verkauf von Frischfleisch ist im allgemeinen nur den zur Führung des Meistertitels berechtigten Fleischern gestattet. Ausnahmen können in besonderen Fällen durch die unteren Verwaltungsbehörden (Bezirksdirektion, Landratsamt, kreisfreien Städte) auf besonderen Antrag zugelassen werden. Der Verkauf von Frischfleisch durch andere Personen, , z. B. Gastwirte, Landwirte und Viehhändler, ist demnach nicht erlaubt. – Die Hausschlachtungen können künftig ohne besondere Genehmigung vorgenommen werden. Die Vorschriften über die Fleischbeschau bleiben dagegen selbstverständlich in Kraft. Ebenso ist die Einstellung von Tieren zur späteren Schlachtung nicht mehr von einer Erlaubnis abhängig. – Die Kleinhandelspreise für die einzelnen Fleischsorten müssen in den Verkaufsräumen der Fleischer angeschlagen, die so angekündigten Preise dürfen nicht überschritten werden.
Diese neuen Bestimmungen über den Verkehr mit Vieh und Fleisch sind getroffen, um die Ehrlichkeit unberufener Elemente während der Zwangswirtschaft sehr gelitten hat, wieder herzustellen. Es liegt im Interesse der beteiligten Kreise (besonders der Viehhändler und Fleischer), die neuen Vorschriften, die einen Schutz des ehrlichen Handels und Handwerks bedeuten, genau zu beobachten und die Behörden bei der Durchführung der Neuregelung zu unterstützen. Vor allem muss an Viehhandel und Fleischerhandwerk die dringende Mahnung gerichtet werden, durch Einhaltung angemessener Preise die Verbraucher zu schützen und so der Wiedereinführung einer verschärften Zwangswirtschaft vorzubeugen. Unter allen Umständen ist die Fleischversorgung der einheimischen Zivilbevölkerung zu mäßigen Preisen sicherzustellen.
Die Ueberwachung der Vieh- und Fleischpreise erfolgt, da die Höchstpreise in Wegfall kommen, durch die Preisprüfungsstellen. Gegen Wucherpreise wird schärfstens eingeschritten werden. Dringend erforderlich ist, dass sich die Fleischerinnungen und Viehhändlervereinigungen mit den landwirtschaftlichen Organisationen, die sich dazu bereit erklärt haben, über angemessene Preise verständigen. Sie werden dabei in der Abwehr gegen solche Elemente, die aus der weiterbestehenden Fleisch- und Viehknappheit unberechtigte Wuchergewinne erzielen wollen, der Unterstützung der Behörden sicher sein. Besonders ist beabsichtigt, solchen Personen, die durch Preiswucher sich gegen die Allgemeinheit versündigen, die Erlaubnis zum Gewerbebetrieb zu entziehen.
Quelle:
Jenaer Volksblatt vom 1.10.1920
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273703/JVB_19201001_231_167758667_B1_001.tif
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Vieh#/media/Datei:Edward_Hicks_001.jpg