Frauen als Bewahrerinnen der Kultur
Die zu ihrer Zeit berühmte Schriftstellerin Ida Boy-Ed reflektiert hier über die Rolle der Frau nach dem Kriegsende. Während des Krieges war Boy-Ed als prominente Befürworterin des kaiserlichen Kriegskurses aufgetreten. Ihre konservativ-nationalistische Grundhaltung wird auch in diesem Artikel deutlich.
Die Last der Frau.
Von Ida Boy-Ed.
Während der Kriegsjahre haben sie schwere Bürden getragen, die Frauen; die meisten mit starken Schultern und aufrechten Ganges. Die Klagenden, die Jammerbriefe hinaussandten an ihre Männer ins Feld, haben einen Teil der Mitschuld am Zusammenbruch. Jetzt aber beginnen auch die Tapfersten das Haupt zu neigen, denn allzu groß ist die Last, die ihnen auf den Rücken gepackt wurde und an deren Erleichterung nicht zu denken ist. Nirgend sieht man helfende oder gar rettende Hände, die uns ein wenig abnähmen von all dem, was uns am frischen Vorwärtsschreiten hindert. Die Mühen der Hauswirtschaft haben einen für den Männerstand von diesen Dingen gar nicht vorstellbaren Grad erreicht. Diese Mühen wechseln in einigen Teilerscheinungen wohl Form und Art., aber nur, um in den Veränderungen sich als noch schwieriger zu erweisen. Jahrelang konnte man nichts kaufen; nun könnte man kaufen, aber die Preise geben neue Rätsel auf, die nicht zu lösen sind; und fast jeder lebt über seine Verhältnisse.
In der echten Frau, sei sie noch so stark geistig gerichtet oder beruflich anderweit interessiert, steckt Freude an der eigenen Häuslichkeit, und selbst die ärmste sucht durch Sauberkeit, durch einen grünenden Efeu auf dem Fensterbrett, ein gehäkeltes Deckchen auf dem Tisch ihrer Stube Anmut zu geben. Und wenn nun anstatt der Freude eine gewisse Erbitterung und Empörung gegen die ständigen Anforderungen, die der Hausstand an uns stellt, das Gemüt der Frau erfüllt, so muss der Grund davon tiefer liegen als in der nackten Geld-, Rationierungs- und Mangelfrage.
Ich glaube, dieser Grund, von vielen deutlich gefühlt, von anderen erst dumpf empfunden, ist dieser: Die Hauswirtschaft in ihrer jetzigen Form bestiehlt uns alle um wichtigste Güter – um uns selbst, um die Möglichkeit unserer Eigenpersönlichkeit und ihrem Weiterwachsen zu leben! Wir, in unserer Bildung und unseren Interessen unendlich fortgeschritten seit den letzten dreißig, vierzig Jahren, sind wieder zurückgeschleudert in den engen, geistigen Rahmen, der die Frauenwelt einst umschloss. Wir haben kaum Zeit, an anderes zu denken, als an die Bewirtschaftung übermäßig teurer bezahlter Nahrungsmittel, als an die Erhaltung der Bestände von Wäsche aller Art., die durch ergänzende Neuanschaffungen auf guten Stand zu erhalten nur den Reichsten möglich; wir sind zu kühnsten Erfinderinnen geworden in der Kunst, aus alten Kleidern lediglich ansehnliche neue Gewandung herzustellen. Das ist ein fortwährender Diebstahl an unseren Gedanken! An unseren ethischen Pflichten gegen unsere Familie und uns selbst! Mütter, die ehedem mit Ernstem Eifer sich weiterbildeten, um ihren Kindern das Gewonnene erzieherisch zugute kommen zu lassen, haben kaum Zeit und gesammelte Nachdenkensmusse, sich mit dem eigenen seelischen Wachstum und dem ihrer Kinder zu beschäftigen. Frauen, deren Herzensglück und Stolz es war, ihren Gatten nicht nur tüchtige Hausverwalterinnen, sondern auch verständnisinnige Gefährtinnen zu sein, kommen über der Not des Wirtschaftens nicht mehr hinauf in die freie Zone, wo Geist sich dem Geist gesellt. – Erschwert ist uns dies Dasein noch durch die Dienstbotenverhältnisse; viele Hausstände können eine Hilfe nicht mehr bezahlen, andere leiden unter der schlechten Qualität der weiblichen Dienstboten, die auch teilweise politisch erhetzt sind; zuverlässige Leute, denen man vertrauen kann, die sich noch im einst so häufigen patriarchalischen Verhältnis zu ihrer Herrschaft wohl geborgen fühlen, sind höchst selten.
Dies alles sind Zwangsmassregeln gegen die Kultur! Anders kann man die Zustände nicht bezeichnen! Sie lasten vor allem auf den Frauen des gebildeten Mittelstandes, der so recht eigentlich der Kulturbewahrer Deutschlands war. Am schlimmsten davon sind natürlich alle Berufsfrauen, ob sie nun Kopf- oder Handarbeiterinnen seien; deren Los es schon fast immer gewesen ist, alle Aufgaben des Mannes und alle Aufgaben der Frau zugleich zu erfüllen, d. h. Ernährerin, Verwalterin und Erhalterin eines Hausstandes in einer Person zu sein. Indem sie nun mit dem Verwalten und Erhalten bis zur Abgehetztheit in Anspruch genommen sind, werden sie zugleich am Verdienen behindert, während sie doch gerade infolge des Notstandes mehr als früher verdienen müssten, um durchzukommen, und befinden sich demnach in einem Zirkel wirtschaftlicher Unmöglichkeiten.
Und nicht nur im Ethischen, auch im Aesthetischen werden wir durch die Teuernis und Nahrungsmittelnot bestohlen. Es ist eine Plumpheit, wenn das Essen nur noch den Zweck der derben Sättigung hat. Die Essensstunde soll ausruhenden und erfrischenden Gehalt haben, die Zierlichkeit des Anrichtens den Appetit beleben; die Abwechslung in den Speisen eine Erquickung für angespannte Nerven sein. Dass auch das Essen seinem Gehalt und seiner Aufmachung nach zur Kultur gehört, war uns Deutschen für den Alltagsgebrauch leider auch noch vor dem Kriege nicht genug sicheres Wissen geworden. Nun drohen die für Kinder wichtigen Formen völlig unterzugehen. Die primitive und doch wichtigste aller Fragen: „Wie ernähre ich heute die Meinen, ohne mein Budget umzuwerfen?” nimmt alle Gedanken in Anspruch und fordert jeden Morgen neue Antwort.
Viel sittliche Kraft gehört dazu für jede deutsche Frau aufrecht zu bleiben und hellen Blick zu behalten. Im Kriege hat es den meisten nicht daran gefehlt, vielerlei wirtschaftliche Not ertrugen wir freudig – es war ja für das Vaterland! Wofür aber sollen wir dies alles jetzt ertragen? Nun – – auch für das Vaterland! Wir müssen uns sagen: es ist krank! Und liegt es nicht im tiefsten Wesen der Frauen, rührende Geduld aufwenden zu können, um eines teuren Kranken willen – für ihn auf Schlaf, auf Freude, auf geordneten Tageslauf zu verzichten? Nur um ihn wieder gesunden zu sehen? Welche Gesundung dann der herrlichste Lohn ist.
Versuchen wir also unsere Last weiter zu bezwingen; kämpfen wir aber, jede zäh und still für sich, um unseren Besitz an häuslicher Kultur – ja dennoch und trotz allem sogar um einen Fortschritt in ihr. Denn sie ist ein Teil des Vaterlandes, und zu seiner Gesundung tragen wir durch tapfere Wacht auf unseren Hausfrauenposten viel bei.
Quelle:
Der Deutsche vom 2.10.1920
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00246778/SDH_19376538_1920_Der_Deutsche_0991.tif
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ida_Boy-Ed#/media/Datei:Ida_Boy-Ed.jpg