100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Geldausgeben ohne parlamentarische Mehrheit

Der deutschnationale Kunstprofessor Paul Stade aus Sondershausen kritisiert die Finanzpolitik der Landesregierung heftig. Unkontrolliert würden Unsummen ausgegeben und so ehemals schuldenfreie Länder wie Schwarzburg-Sondershausen in den finanziellen Abgrund gerissen, so die dramatisierte Kritik.

Der Schlosspark in Sondershausen

Was geht in Thüringen vor?

Von Professor Paul Stade.

Als der Zusammenschluss der sieben thüringer Staaten – wider den Willen der bürgerlichen Einwohner – erfolgt war, da erließ der Staatsrat das „Sperrgesetz”, mit dem verhindert werden sollte, dass die Einzelstaaten größere Ausgaben zu ihren eigenen Gunsten machen könnten. Ist dieser Zweck erreicht worden? Haben die Regierungen sich an die Bestimmungen gebunden? Zum Mindesten nicht alle taten es. Weimar, beispielsweise, hat nach Erlass des Gesetzes für sein Theater einen jährlichen Staatszuschuss von nur 1 ½ Millionen Mark bewilligt, das vielgenannte Brauhaus, eine Gründung des Großherzogs, glatt übernommen und nebenbei noch 40 neue Gerichtsschreiberstellen geschaffen. Ebenso hat sich Altenburg zu sichern gewusst, indem es für eine noch nicht fertig gestellte Schule vier Oberlehrerstellen in den Haushalt einstellte und für ein anzulegendes Altertumsmuseum einige hunderttausend Mark bewilligte. Das sind einige Proben, die sich bei einer Rundfrage in den Ländern leicht vermehren ließen, und seltsamer Weise sind es zumeist die finanziell schlecht gestellten Länder, die in der sichern Zuversicht, dass „Großthüringen” die Zeche bezahlen muss, nun wacker drauf los wirtschaften, ohne sich um das Sperrgesetz auch nur einen Deut zu kümmern. Es ist also vollkommen richtig, wenn Staatsminister Bauer sagt: „Das Sperrgesetz ist nur für die Dummen.”

Wer aber bezahlt diese eigenmächtigen Streiche? Meiningen, dessen Finanzen trotz aller Not der Zeit noch wohlgeordnet sind, und Schwarzburg-Sondershausen mit seinen reichen Kaligruben. Obwohl wir nicht rechtliche Verhältnisse haben (denn der Staatsrat, der die Geschäfte führt, ist dazu nach parlamentarisch-demokratischen Brauche nicht mehr befugt), wird auch von der Regierung munter darauf los verschwendet. Den Beamten in Weimar stehen für Dienstreisen zwei Autos zur Verfügung, und weil das noch nicht ausreicht, soll für den famosen Herrn von Brandenstein noch ein drittes eingestellt werden. Wozu die Aufregung, das kostet ja nichts oder so gut wie nichts, was sind denn 6–8 Mark für den Kilometer, das summt doch nicht auf; wer spricht überhaupt noch von solchen Kleinigkeiten, wo es sich um das Wohl des Landes handelt? Die einzelstaatlichen Finanzen sind durch die Wirtschaft seit der Revolution bereits im höchsten Masse zerrüttet und da die Anforderungen immer grösser werden, dürfte der Zeitpunkt nicht allzu fern liegen, der das Land Thüringen zwingt, den Bankerott anzusagen und sich nach einem Retter umzuschauen, der den Mut aufbringt, es samt seinen Schulden zu übernehmen. Die finanziellen Lasten und die Anforderungen des Reiches wachsen mit unheimlicher Schnelligkeit, während die Einnahmequellen der Länder immer geringer werden. Erschwerend tritt weiter dazu, dass mehrere Staaten sich mit ihren Fürsten noch nicht abgefunden haben. Gotha und Weimar beispielsweise haben eine Einigung noch nicht erzielt und leicht kann es da zu Prozessen langwierigster Art kommen, in denen das Millionenvermögen sich allmählich verkrümelt. Trotz dieser trüben Aussichten aber wird im „Staatsrate” lustig weiter darauf los gewirtschaftet. Die Krippenwirtschaft ist im vollen Gange und immer neue Ausgaben verfügt der „provisorische Staatsrat”, obwohl sein Mandat längst erloschen ist und er keinesfalls eine parlamentarische Mehrheit hinter sich hat.

(Schluss folgt.)

Quelle:

Der Deutsche vom 19.10.1920

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00246778/SDH_19376538_1920_Der_Deutsche_1051.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00307384

 

Bild:

https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Sondershausen#/media/Datei:Schlosspark_SDH_Gro%C3%9Fer_Parkteich.JPG