Germania ist knapp bei Kasse
Der Haushaltsplan der Regierung Fehrenbach stößt insbesondere im bürgerlichen Milieu auf scharfe Kritik. Im Vergleich zur Vorkriegssituation ist der Etat enorm gewachsen und durch die mangelnde Gegenfinanzierung durch neue Steuern entsteht ein großes Haushaltsdefizit. Das Bürgertum verteidigt seinen Geldbeutel verbissen, wie dieser Artikel zeigt.
Das „trübe Bild” unserer Reichsfinanzen.
91,5 Milliarden Ausgaben, 67,7 Milliarden Fehlbetrag. – Der Reichsrat für strengste Sparsamkeit.
Im Reichsrat sprach Ministerialdirektor Sachs über den Entwurf des Haushaltsplans und führte etwa folgendes aus:
Der Entwurf bietet ein überaus trübes und ernstes Bild. Von dem Versprechen der neuen Regierung, bei dem im Herbst vorzulegenden Etat rücksichtslose Zurückschraubung der Ausgaben walten zu lassen, ist nichts zu bemerken. Die Zweifel, ob sich das Gleichgewicht zwischen Ausgaben und Einnahmen tatsächlich wird herstellen lassen, scheinen nicht unbegründet, insbesondere der Zweifel, ob nicht die Einnahmen aus den neuen Steuern zu hoch veranschlagt sind. Jedenfalls ist von der Finanzverwaltung bereits eingeräumt worden, dass eine Reihe der veranschlagten Milliardeneinnahmen im Rechnungsjahr 1920 nicht eingehen werden. Die Postverwaltung stellt einen Fehlbetrag von 2 Milliarden, die Eisenbahn einen solchen von 16 Milliarden in Aussicht.
Der gesamte Fehlbetrag beträgt hiernach 67 Milliarden.
Diese ungeheuerliche Summe geht über jedes Maß einer erträglichen Finanzwirtschaft hinaus. Der Ertrag des Reichsnotopfers wird von der Finanzverwaltung auf 45 Milliarden geschätzt. Lohnt es sich zu diesem schweren Eingriff in die Wirtschaft zu schreiten, wenn dadurch doch keine grundsätzliche Besserung der Finanzlage erzielt wird, ja nicht einmal der Fehlbetrag eines einzelnen Haushaltsjahres gedeckt werden kann? Fragt man sich, woher diese riesenhaften Ausgaben kommen, so ist zunächst an die ungeheuren Ausgaben des Friedensvertrages zu erinnern, und wir kennen noch nicht einmal alle Wiedergutmachungsforderungen. Einstweilen sind bei der allgemeinen Finanzverwaltung 25 Milliarden für diese Zwecke eingestellt, und eine ganze Reihe von Forderungen erscheinen noch bei anderen Verwaltungen. Es ist unmöglich, dass unsere Finanzkraft das weiter tragen kann.
Gegenüber solchen Lasten war es selbstverständlich, die Ausgaben, die für die laufende Reichsverwaltung in Betracht kommen, in engen Grenzen zu halten. Auch hier erscheinen jedoch stetig steigende, gewaltige Forderungen. An Stelle von sechs Reichsministerien vor dem Kriege haben wir jetzt 12. Dass diese nicht durchweg sachlichen Notwendigkeiten ihr Entstehen verdanken, brauche ich nicht zu betonen. Ein jedes hat die Tendenz der Ausdehnung. Es arbeitet mit einem gewaltigen Stab von Beamten und Hilfskräften. Durch Uebernahme immer neuer Aufgaben und Schaffung neuer Behörden erlebten wir eine wahre Sturmflut der Gesetzemacherei. Diesem Strom der Gesetze, deren Tragweite auch finanziell bei der Hast der Verabschiedung gar nicht übersehen werden kann, ein Ende zu machen, wäre höchste Zeit. Der Haushalt für 1920 enthält allein 24.852 neue Beamtenstellen. Die neue Besoldungsordnung bringt uns Milliardenlasten. Immer neue Hilfskräfte werden eingestellt. Auch sind immer noch Kriegsorganisationen und Abwicklungsstellen vorhanden, deren Aufhebung dringend notwendig ist.
Quelle:
Der Deutsche vom 9.10.1920
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00246778/SDH_19376538_1920_Der_Deutsche_1013.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00307376
Bild:
http://www.simplicissimus.info/uploads/tx_lombkswjournaldb/pdf/1/25/25_04.pdf