100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Im Bunde mit einem Literaturnobelpreisträger

In Jena wirkte Rudolf Eucken über 45 Jahre als Professor für Philosophie. Fachlich stand er dabei stets mit seinem Jenaer Kollegen Ernst Haeckel in Konkurrenz. Dieser konnte wissenschaftlich eine größere Anerkennung finden, aber es war Eucken, der 1908 den Literaturnobelpreis erhielt. Die Gründung eines nach ihm benannten Vereins illustriert Euckens christlich-lebensreformerische Position.

Euckens Grabstein in Aurich

Was will der Euckenbund?

Auf der Tagung des Euckenbundes am Mittwoch hier in Jena bildete den Höhepunkt der Vortrag des Ehrenvorsitzenden, Herrn Professor Eucken, über das Thema: „Was will der Euckenbund?” Der Redner führte etwa folgendes aus:

In der Not unserer Zeit sind viele neue Bünde und Vereine ins Leben gerufen worden. Soweit sie edlen Zielen zustreben, begrüßen wir sie mit Freuden als Mitarbeiter; aber wir glauben, dass der Euckenbund etwas Besonderes darstellen, einen ausgeprägten Charakter haben muss, wenn er überhaupt existenzberechtigt sein will. Diesen unterscheidenden Charakter aber können wir aufweisen. Alle anderen Bünde und Vereine stellen sich ins Dasein und nehmen die Dinge wie sie liegen. Nun gibt es ja auch in der Zeitlage eine Unmenge Probleme, aber wenn man in solcher Weise an einzelne Fragen herantritt, so erhält man nichts Ganzes, in sich Geschlossenes, wirklich Notwendiges. Es geht durch die ganze Zeit eine Zersplitterung des Lebens. Wir aber haben die Grundüberzeugung, dass wir nicht nur dieser sinnlichen Welt angehören, sondern dass es noch eine tiefere Welt gibt, etwas Ueberlegenes gegenüber allen den einzelnen Leistungen und Aufgaben. Hier trennt uns von anderen ein Entweder – Oder: Entweder gibt es eine Einheit in der Welt, etwas Ganzes, Tragendes, Schaffendes, oder nicht. Wenn nicht, dann ist eine innere Verbindung der Menschen überhaupt nicht herzustellen. Diese Klarheit ist im allgemeinen nicht vorhanden. Aber nur auf Grund solcher Einheit können wir inhaltlich zusammenkommen. Damit hat auch der Mensch eine ganz andere Aufgabe. Gehört er einer Tatwelt an, dann kann er teilnehmen an der Einheit, er kann ein Weltwesen sein. Damit aber erwachsen uns große Aufgaben: Wir wollen Geisteswesen werden durch die Kraft der Einheit und so eine Ueberlegenheit gewinnen über die einzelnen Leistungen. Wir wollen ganze Menschen werden, Weltwesen.

Die Welt, in der wir stehen, ist nicht eine fertige Welt. Im Unterschied gegen die griechische Ueberzeugung sehen zwar auch wir in der Welt eine Einheit, aber von ihr aus im Innern eine große Bewegung. Wir unterscheiden drei Stufen des Lebens: die grundlegende, die kämpfende und die überwindende Geistigkeit. Die grundlegende Geistigkeit ist die Heraushebung eines Zusammenhanges; auch die Natur ist nicht nur ein Nebeneinander, sondern sie zeigt Gesetzlichkeit, Beziehungen der Elemente, Wechselwirkung.

Die Stufe der kämpfenden Geistigkeit zeigt in unserer Welt ungeheure Verwicklungen, dunkle Mächte; es scheint, dass keine sittliche Ordnung in dieser Welt vorhanden sei: Es scheinen die alten Christen mit ihrer Ansicht recht zu haben: Wie oft zeigt die Erfahrung in dieser Welt, dass der Besiegte der bessere Mensch ist. Wir sind in einer Welt des Kampfes, aber wir sind auch überzeugt, dass eine überlegene Macht des Geistes diesen Kampf mit uns führt, und dass so ein Höheres sich emporringt, dass durch Schmerz und Leiden etwas Höheres gewonnen wird. Daher müssen wir uns betrachten als Soldaten Gottes. Wir warten nicht auf ein Wunder, sondern müssen selbst arbeiten und schaffen. Wir müssen kämpfende Menschen sein, aber unser Kampf wird getragen durch einen schaffenden Willen. Durch alles Elend muss hindurchgehen eine Vergeisterung und Erhöhung des Daseins.

Mit solchem Denken werden wir Aktivisten sein, Tatmenschen, die sich selbst in die große Tatwelt hineinstellen und damit eine innere Erhöhung erleben.

Bekannt ist Carlyles Forderung: Arbeiten und nicht verzweifeln! Aber die Arbeit allein genügt nicht, es muss eine innere, überwindende Kraft wirken und uns führen von der grundlegenden zur kämpfenden und schließlich zur überwindenden Geistigkeit. Wir müssen damit eine ethische Persönlichkeit werden, selbsttätige, schaffende Wesen. Der Begriff der Persönlichkeit bedarf der Vertiefung, wir fordern eine Wesensbildung über die Arbeit hinaus, im Bewusstsein einer höheren Welt.

So entsteht der Gedanke eines Reiches Gottes, eines geistigen Reiches, des Geistes der Wahrheit und der Liebe. Dieses Reich steht über allen anderen Ordnungen und Verbindungen. Wir kommen hier auf ein Gebiet, wo die Begriffe nicht mehr ausreichen. Unsere Vorstellungen sind nur Ahnungen, Bilder; aber der Grundgedanke bleibt, dass durch diese Welt und alles Dunkel etwas Großes sich vollzieht. Indem wir aufgerufen werden zur Mittätigkeit an diesem Geistesleben, können wir mit Luther sagen: Jeder soll den Glauben haben, dass Gott durch ihn eine große Tat tun will.

Gedenkplakette in Jena

Der Aktivismus nimmt mit seinen drei Stufen eine ganz ausgesprochene Stellung ein gegen andere Bewegungen der Gegenwart. Es gibt heute viele Propheten, wir müssen sehr vorsichtig sein und erkennen, ob sie echt oder unecht sind. Vieles gibt sich als etwas Großes, ist es aber nicht. Daher wollen wir uns unsere vollkommene Freiheit und Selbstständigkeit sichern. Wir sehen den Weg durch Leid hindurch zur Erhöhung – dann werden wir alles unter uns bringen, was jetzt vielfach für die Hauptsache gilt.

Wir wollen eine weltgeschichtliche Bewegung hervorbringen. Damit stehen wir vor zwei großen Fragen: dem Geistesproblem und dem sozialen Problem oder einfach dem Menschenproblem. Der Begriff des geistigen Lebens ist selbst ein Problem. Im Mittelalter bestand die Meinung, dass wir in der Religion eine feste Ordnung schon hätten und ruhig annehmen könnten. In der neuesten Zeit ist die Kraftentwicklung zur Hauptsache geworden. Aber es ist Kraft ohne Inhalt. Wir fühlen zwar, dass uns die bloße Kraft nicht genügt, aber wir sehen nicht wie wir darüber hinauskommen sollen. Wir müssen daher einen gesteigerten Begriff des Geistes suchen, der Kraft und Inhalt verbindet und dadurch ein neues Menschentum erstrebt.

Ernst ist auch das soziale Problem. Die Arbeit hat ihren Charakter völlig verschoben. Die alte Weise der Arbeit ist von der Technik verändert dadurch, dass die Natur immer mehr in unseren Dienst gezogen ist. So sinkt durch die Schöpfung des Menschengeistes der einzelne Mensch zum Werkzeug herab. Aber was wird dabei aus der Seele des Menschen? Der Mensch kann nicht so weiter leben wie jetzt, aber er hat die Neigung, alles nur für seinen Vorteil, seine Lust, seinen Gewinn zu wenden. So entsteht ein großer Gegensatz, der Kampf zwischen den geistigen Notwendigkeiten und den einzelnen Menschen, die sich als Masse fühlen: Kampf zwischen Geist und Masse. Aber der Geist steht über der Masse, die einzige Möglichkeit, die Welt zu retten, ist eine geistige Erhöhung.

So entsteht eine Fülle schwerer Aufgaben und der Zweifel an der Möglichkeit, sie zu lösen. Helfen kann uns nur der Glaube an die überlegene Geistesmacht. Ein Lebensglaube muss uns tragen. Der gegenwärtige Lebensstand zeigt eine traurige Leere und Oede, es fehlt uns ein großes gemeinsames Lebensziel. Zwar liegen viele Kräfte und gute Gesinnungen im Menschen, namentlich sehen wir viel Sehnsucht in der Welt, aber es fehlt die alle verbindende Grundüberzeugung. Wir müssen deshalb zusammen arbeiten, uns ergänzen, selbstlos wirken und schaffen. Wenn der Einzelne getragen wird von der Tatgesinnung, so haben wir die Zuversicht, dass nicht verloren gehen kann, was in richtiger Denkweise geschaut ist. Dann werden wir erreichen, dass eine Wesenswendung sich bei uns vollzieht, bei den Einzelnen und unserm Volk, und dass uns so die einzelnen Fäden zusammenlaufen zu einer geistigen Reformation. So geht heute das Problem weit hinaus über das Religiöse. Wohl durchdringt unsere Arbeit eine religiöse Grundüberzeugung, aber wir müssen in das Ganze des Lebens hineinkommen und von da aus die Welt fördern, jeder in seiner Weise, miteinander in Freundschaft, Liebe und Tätigkeit. Denn nicht nur um eine Lebensanschauung handelt es sich, sondern um eine Lebensgestaltung und Umwälzung.

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Dieser Vortrag bedeutete eine Weihestunde, die den Teilnehmern unvergesslich bleiben wird. – Die Verhandlungen der Hauptversammlung gaben ein Bild von dem raschen Anwachsen des Bundes und dem regen Leben in seinen Ortsgruppen. Als Sitz des Euckenbundes und nächstjähriger Tagungsort wurde Jena ausersehen. Die Herausgabe eines monatlich erscheinenden Mitteilungsblattes wurde beschlossen, Auskünfte über den Bund erteilt das Sekretariat in Jena, Wildstrasse 1.

Quelle:

Jenaische Zeitung vom 7.10.1920

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00277666/JZ_Jenaische_Zeitung_169419428_1920_10_0037.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00376238

 

Bilder:

https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Eucken#/media/Datei:Rudolfeuckengrab.JPG

https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Eucken#/media/Datei:Plaques_honouring_Rudolf_Eucken.jpg