100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Kommunistische „Demokratie“

Die Dritte Internationale war nach dem Prinzip des „demokratischen Zentralismus“ organisiert. Praktisch betrachtet lief dies auf eine Gleichschaltung der Mitgliederparteien unter der Führung der KPdSU hinaus. Das Exekutivkomitee der kommunistischen Internationale (EKKI) versucht die Kritik an dieser Praxis zu zerstreuen, aber mit der versprochenen „Autonomie“ der Mitgliedsparteien ist es nicht weit her.

Mitgliedsmagazin der Dritten Internationale

Offenes Schreiben des Exekutivkomitees der 3. Internationale an alle Mitglieder der Unabhängigen Partei Deutschlands.

Die „Diktatur“ der Russen.

Die Kommunistische Internationale ist ja in Wirklichkeit nur eine „Diktatur der Russen“, erklären [Wilhelm] Dittmann und [Rudolf] Hilferding und diese Erklärung wird auf jede Art und Weise von den Literaten der Partei Noske unterstützt, die in dem verachtungswürdigen „Vorwärts“ schreiben. Dieselbe Version wird auf jede Art und Weise von der bürgerlichen Presse entwickelt. Einzelne Vertreter der rechten Unabhängigen, wie z. B. [Rudolf] Breitscheid sind soweit gegangen, daß sie Punkt 14 unserer Bedingungen, welcher lautet:

„§ 14. Jede Partei, die der Kommunistischen Internationale anzugehören wünscht, ist verpflichtet einer jeden Sowjetrepublik in ihrem Kampfe gegen die konterrevolutionären Kräfte rückhaltlosen Beistand zu leisten. Die kommunistischen Parteien müssen eine unzweideutige Propaganda führen zur Verhinderung des Transports von Kriegsmunition an Feinde der Sowjet-Republik; ferner müßte sie unter den zur Erdrosselung von Arbeiterrepubliken entsandten Truppen mit allen Mitteln legal oder illegal Propaganda treiben.“

als Versuch,  Deutschland einen Krieg gegen Frankreich aufzudrängen deuten! Weiter kann man nicht mehr gehen. Die rechten Unabhängigen sind augenscheinlich organisch nicht imstande, zu begreifen, was die Idee der internationalen Solidarität tatsächlich bedeutet. Die rechten Unabhängigen nehmen wahrscheinlich an, daß die Sowjetrepublik Rußland für immer eine Oase in der bürgerlichen Wüste bleibt. Den rechten Unabhängigen fällt es sogar nicht ein, daß der eben zitierte Punkt auch den Fall voraussetzt, wenn Deutschland zur Sowjetrepublik wird, und wenn die Kommunistischen Parteien aller übrigen Länder verpflichtet sein werden, die Sowjetrepublik Deutschland zu unterstützen.

Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale besteht aus den Vertretern von zwölf Parteien außer der Kommunistischen Partei Rußlands. In der Tat besteht das Exekutivkomitee schon jetzt aus einer größeren Anzahl von Parteien. Gegenwärtig besteht das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale aus 21 Personen, darunter 5 Russen und 16 Vertreter einer ganzen Reihe anderer Länder: England, Frankreich, Amerika, Bulgarien, Norwegen, Schweden, Deutschland, Oesterreich, Ungarn, Italien und so weiter. Auf dem zweiten Kongreß der Kommunistischen Internationale beantragten einige Vertreter großer Parteien (z. B. Serati, der Vertreter der italienischen Partei) alle Angelegenheiten des Exekutivkomitees einfach dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Rußlands zu übertragen. Auch Vertreter anderer Parteien schlossen sich diesem Vorschlag an. Die Kommunistische Partei Rußlands selbst sagte sich davon los, die Leitung der Kommunistischen Internationale ausschließlich in ihre Hände zu nehmen. In der Mandatkommission des Kongresses wurden Erklärungen in dem Sinne gemacht, daß die Kommunistische Partei Rußlands, wenn man ihr spezifisches Gewicht und ihren Einfluß in Betracht zieht, einige Male mehr beschließende Stimmen auf dem Kongreß haben müßte, als die anderen Parteien. Die Kommunistische Partei Rußlands selbst entsagte einem solchen Vorrecht und bekam genau ebensoviel entscheidende Stimmen auf dem Kongreß, wie die Vertreter Deutschlands, Frankreich und Englands. Alle wichtigsten Angelegenheiten in dem Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale werden unter Anteilnahme der Vertreter aller obengenannten Parteien erörtert. Bei einer solchen Sachlage über die russische Diktatur zu sprechen, ist eine wesentliche Entstellung der Tatsachen.

Ihr alle erinnert Euch, Genossen, daß das Exekutivorgan, das internationale sozialistische Büro der zweiten Internationale, ausschließlich aus Belgiern bestand. Die Sachlage in der Kommunistischen Internationale ist keine solche. Die Kommunistische Internationale hat ein Exekutivorgan geschaffen, in welchem ständig die Vertreter von mindestens 15 der wichtigsten Parteien arbeiten.

Die Vertreter der Kommunistischen Partei Rußlands auf dem Kongreß haben so manches Mal erklärt, daß sie sich sehr freuen würden, wenn es gelingen würde, das Exekutivkomitee nach Berlin oder nach Paris oder in irgendein anderes großes europäisches Zentrum zu verlegen und sobald der Sieg der Arbeiterklasse das gestatten wird, wird diese Frage zweifellos auf die Tagesordnung gestellt werden. Alle jene wütenden Seufzer und völlig unzulässigen Klagen über die vermeintliche Gewalt der russischen Kommunisten, die jetzt von den Spalten der rechten unabhängigen Zeitungen ertönen, sind einfach eine Aeußerung des niedrigsten Nationalismus und ein Versuch, die gröbsten chauvinistischen Instinkte der rückständigen Massen anzufeuern. Unter dem Geschrei über die Diktatur der Russen verbirgt sich der Widerwille der Kleinbürger gegen jegliche proletarische Disziplin und die Unfähigkeit, sich nicht nur in Worten, sondern auch in der Tat auf den Boden von echtem proletarischen Internationalismus zu stellen.

In den Beschlüssen des zweiten Kongresses der Kommunistischen Internationale ist direkt gesagt, daß das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale den angeschlossenen Parteien nur in solchen Fragen, in denen ein solcher Beschluß wirklich möglich ist, bindende Richtlinien geben soll. Es versteht sich von selbst, daß für jede einzelne Partei ein ganzes Gebiet solcher Fragen übrig bleiben, wo die Einmischung der Kommunistischen Internationale unzweckmäßig ist, und auf welchem jede Partei autonom bleiben muß. Wer in der Tat und nicht nur in Worten Kommunist ist, wer ernstlich an dem internationalen Kampf des revolutionären Proletariats teilnehmen will, wer des Anschlusses an die Dritte Internationale nicht einfach als Deckmantel bedarf, der wird den wirklichen Sinn jenes Geschreies, das die rechten Unabhängigen gegen die russische Diktatur erhoben haben, vollkommen einschätzen.

[…]

Quelle:

Neue Zeitung vom 15.10.1920

 

Bild:

https://en.wikipedia.org/wiki/Communist_International#/media/File:Communist-International-1920.jpg