Linkssozialisten gegen Moskau
Vor dem anstehenden USPD-Parteitag in Halle, wo über den Anschluss an die Kommunistische Internationale entschieden wird, richtet sich der Parteivorstand mit einem Aufruf an die Basis. Die Meinungen über einen Anschluss an Moskau gehen hart auseinander. Der Riss geht quer durch die Partei, wie auch das einleitende Kommentar der Redaktion der Neuen Zeitung verdeutlicht.
Ein Aufruf des Zentralkomitees der U.S.P.
Nachdem wir die Kundgebung des Exekutivkomitees der Dritten Internationale und den Artikel Lenins wiedergegeben haben, halten wir es für unsere Pflicht, auch die Erwiderung des Zentralkomitees der Partei – wer alles dahinter steht entzieht sich unserer Kenntnis – abzudrucken. Wir bemerken jedoch dazu, daß der im Aufrufe angeschlagene Ton wie die angewandten Mittel uns ebenfalls nicht dazu angetan erscheinen, die Geschlossenheit der Partei zu erhalten. Im Gegenteil! Mögen unsere Genossen daraus die nötigen Lehren ziehen und umso energischer im zentripetalen Sinne tätig sein. Die Red.
Parteigenossen, Parteigenossinnen!
Das Exekutivkomitee der Dritten Internationale das gegen die Abhaltung unseres Parteitages am 12. oder 24. Oktober „entschieden protestiert“. Diesen Protest weisen wir ganz energisch zurück. Noch sind wir an die Dritte Internationale nicht angeschlossen! Noch haben wir unser Selbstbestimmungsrecht! Noch gilt das Diktat der Kommunistischen Internationale nicht im Bereiche unserer Partei! Wir lassen uns das Recht, selbst und allein den Tag des Zusammentritts unseres Parteitages zu bestimmen, nicht nehmen, und weisen daher diesen Einmischungsversuch auf das Entschiedenste zurück.
Das Exekutivkomitee behauptet, daß die „hastige Anberaumung“ des Parteitages darauf hinziele, die Arbeiter der Möglichkeit zu berauben, sich über die prinzipiellen strittigen Fragen, die zur Tagesordnung stehen, zu orientieren. Es genügt, diese Erklärung vor der gesamten Parteigenossenschaft zu wiederholen, um das Lächerliche dieser Behauptungen darzutun. Ueberall in der gesamten Partei, in den größten wie in den kleinsten Organisationen, werden die strittigen Fragen, die mit dem Anschluß an die Dritte Internationale zusammenhängen, erörtert, häufig in 2 und 3 aufeinanderfolgenden Parteiversammlungen und in zahllosen Zeitungsartikeln und Flugblättern. Nicht ein Parteimitglied ist der Möglichkeit beraubt worden, sich über die prinzipiellen strittigen Fragen zu orientieren. In unserer Partei haben die Massen glücklicherweise zu großen Einfluß, als daß es nur möglich wäre, ihre Orientierung zu verhindern, im Gegenteil, gerade von ihnen alles geschehen ist, um unsere Mitglieder über alles mit dem Anschluß an die Dritte Internationale zusammenhängenden Fragen zu unterrichten.
Deshalb kann der Vorwurf der Illoyalität und Unredlichkeit, den das Exekutivkomitee wegen der angeblich zu schnellen Einberufung des Parteitages erhebt, das Zentralkomitee der USPD. ganz und gar nicht treffen. Wenn ein solcher Vorwurf vom Exekutivkomitee erhoben wird, so beweist es damit nur, daß es von den Verhältnissen in Deutschland keine Ahnung hat, und daß es leichtfertig genug ist, sich alle Angriffe und Anschuldigungen „gegen die rechten Führer der USPD.“ unbesehen zu eigen zu machen.
Wir wissen ganz genau, daß es für unsere Partei eine Lebensnotwendigkeit ist, so schnell wie möglich, so oder so, die Entscheidung über die Moskauer Bedingungen herbeizuführen. Wir leben in Deutschland in einer revolutionären Epoche und können nicht zusehen, wie die Partei noch länger durch die Streitfrage um Moskau in jeder Aktion gelähmt wird. Es ist für die Arbeiterschaft unerträglich, daß wir in zahllosen Fragen, die von einschneidender Bedeutung in die Lebensinteressen der Arbeiterschaft sind: in den Fragen der Ernährung, der Arbeitslosigkeit, des Steuer- und Finanzwesens, der Sozialisierung und in anderen inner- und außenpolitischen Fragen nicht aktiv eingreifen können. Gerade, um unsere Aktionskraft in kürzester Zeit zurückzugewinnen, haben wir uns entschlossen, den Parteitag schon am 12. Oktober stattfinden zu lassen.
Das Exekutivkomitee erklärt ferner, daß wir versuchten, die ganze Streitfrage auf organisatorische Fragen überzuführen. Wer hat denn die Organisationsfrage überhaupt aufgeworfen? Doch lediglich die Dritte Internationale selbst! Jetzt, wo uns die Dritte Internationale gezwungen hat, zu den von ihr formulierten organisatorischen Aufnahmebedingungen Stellung zu nehmen, und wo sie uns zu deren Durchführung ultimativ in kürzester Zeit zwingen will, sollen wir diejenigen sein, welche die Streitfragen auf das Gebiet der Organisationsfragen lenken. Solche Verschiebung des Tatbestandes lassen wir nicht zu.
Das Exekutivkomitee unterstellt uns dann dem Wunsch, die Hauptprinzipienfragen, nämlich die Frage der Diktatur des Proletariats, des Kampfes um die Räte, der Schaffung illegaler Organisationen (ist das keine Organisationsfrage?), der Verwerfung des Sozialpazifismus zu vertuschen. Wir wissen wirklich nicht, was in diesen Fragen noch zu vertuschen wäre. Die Partei hat auf dem Leipziger Parteitag zu allen diesen Fragen Stellung genommen und diese Stellung im Leipziger Aktionsprogramm festgelegt. In der ganzen Frage gibt es in der Partei überhaupt keinen Streit mehr. Das sind für uns keine Fragen mehr, geschweige denn Fragen, die wir vertuschen wollen. Den Vorwurf der Vertuschung kann man höchstens gegen diejenigen erheben, die uns glauben machen wollen, es handele sich lediglich um die prinzipiellen Fragen, nicht aber auch um die Frage des Selbstbestimmungsrechts unserer Partei. Das Zentralkomitee der USPD. vertuscht nichts.
[…]
Deshalb fordern wir unsere Genossen auf: Wählt Delegierte zum Parteitag, die diese 21 Bedingungen nicht annehmen, damit der Weg frei wird für einen Zusammenschluß der USPD. mit den revolutionären sozialistischen Parteien aller Länder und der Kommunistischen Internationale.
Berlin, den 30. September 1920.
Das Zentralkomitee der U. S. P. D.
Quelle:
Neue Zeitung vom 3.10.1920
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Arthur_Crispien#/media/Datei:Bundesarchiv_Bild_102-10129,_Reichstagsabgeordnete_Dittmann_und_Crispien.jpg