100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Mehr als ein Heimatdichter

Zu seiner Zeit war der aus Sondershausen stammende Dichter Johann Karl Wezel (1747-1819) über Thüringen hinaus bekannt. Als Protegé Wielands machte Wezel Karriere als Theaterdichter u.a. in Wien. Auch als früher Vertreter einer pragmatischen Anthropologie, die sich als Gegensatz zu einem rein idealistischen Menschenbild verstand, war Wezel eine Besonderheit.

Gedenkstein in Sondershausen

Ein vergessener Sondershäuser Dichter.

von Otto Bessenrodt-Frankenhausen.

Dass Dichter und ihre Werke der Mode unterliegen, dass oft die am meisten gelesenen am raschesten vergessen werden, dass aber auch mancher unverdient in Vergessenheit gerät, ist eine bekannte Tatsache. Ein solch unverdientes Los traf unseren Heimatdichter Johann Carl Wezel, geboren in Sondershausen am 31. Oktober 1747. Sein Vater hatte als fürstlicher Mundkoch sein gutes Auskommen und lies den Sohn in Leipzig Philosophie und Rechtswissenschaft studieren. Nach diesen Studien bekleidete Wezel zunächst eine Hauslehrerstelle beim Grafen von Schönburg in der Lausitz (1769), begab sich dann auf Reisen und besuchte Berlin, Hamburg, Paris, London und Wien, wo er als Theaterdichter der Günstling Kaiser Josephs II., des Sohnes der Maria Theresia wurde. Zuletzt lebte er in Leipzig und starb schließlich – wahnsinnig geworden – in seiner Heimatstadt Sondershausen am 28. Januar 1819. Wezel, dessen Werken die Zeitgenossen reichen Beifall spendeten, fand unter anderen auch Wielands und Hamanns Anerkennung. Seitdem ist merkwürdigerweise der Dichter samt seinen Werken verschollen, und selbst größere Literaturgeschichten kennen kaum seinen Namen. Sie wissen nichts von seinen satirischen Erzählungen, seinen Lustspielen, seiner „Lebensbeschreibung Tobias Knauts des Weisen”, seinen „Werken des Wahnsinns von Wezel, dem Gottmenschen”, seinen Ehestandsgeschichten u. v. a. m. Nichts wissen sie vor allem von seinem zweibändigen Roman „Herrmann und Ulrike”, denn noch die zeitgenössische Kritik den „wahren deutschen Nationalroman” nannte. Der deutschen Literaturwissenschaft bietet sich in dem Werk das organische Bindeglied zwischen den Romanen Wielands und Goethes „Werther” dar. Hier verrät sich auch aufs Deutlichste die Wirkung der ehemals schon hochentwickelten englischen Erzählkunst eines Smollet, Sterne, Fielding.

1780 war „Hermann und Ulrike” zuletzt gedruckt. Dann ist der Roman schlagen gegangen, bis ihn G. v. Maassen neu entdeckte und bei Georg Müller in München neu herausgab. So können wir uns nun wieder erfreuen an dem Werke unseres Landsmannes, können uns führen lassen von ihm nach Leipzig, Berlin und Dresden, deren Menschen er uns vorführt in allen Schattierungen: Offiziere, Soldaten, Geistliche, Kaufleute, Beamte, Spieler und Dirnen, kurz ein farbiges Bild vom deutschen Leben des 18. Jahrhunderts. Diese verwirrende Buntheit gruppiert Wezel um das Schicksal einer jungen Liebe, deren unüberwindliches Hindernis der Standesunterschied zu sein scheint. Voll köstlichen Humors ist der Roman, voll sarkastischer Zeitkritik, ein Gesellschafts- und Entwicklungsroman, ein Zeit- und Menschenbild, eine „bürgerliche Epopoe” [Epos, Anm.] im wahren Sinne des Wortes, als was Wezel selbst den Roman als Gattung überhaupt definiert hat. So darf die thüringische Heimat stolz sein auf ihren Sohn, dessen Werk nun hoffentlich nicht wieder in die Vergessenheit zurücksinkt, und an dem wir uns alle noch recht oft erfreuen mögen.

Quelle:

Der Deutsche vom 30.10.1920

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00246778/SDH_19376538_1920_Der_Deutsche_1095.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00307395

 

Bild:

https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Karl_Wezel#/media/Datei:Wezel-Denkmal.JPG