100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Streitereien in der Zeitungswelt

Das grausame Verbrechen im Hause des Admiral Scheer zum Anlass nehmend, beschäftigt sich das „Jenaer Volksblatt“ im Folgenden dezidiert mit der konkurrierenden „Mitteldeutschen Zeitung“ und ihrer deutschnationalen Ausrichtung. Überaus deutlich wird hier die gegensätzliche politische Ausrichtung der beiden Organe:

Wohin soll das führen?

Aus Erfurt wird uns geschrieben:

In Weimar sind am vorigen Sonnabend das Dienstmädchen, die Frau und Tochter des Admirals Scheer einem schweren Verbrechen zum Opfer gefallen. Bis heute hat die Untersuchung noch nicht ergeben, was den Mörder zu seiner Bluttat getrieben hat. Man weiß nicht, ob es sich um ein politisches Verbrechen handelt, wofür bis jetzt noch seine Anzeichen vorliegen, oder ob der Täter beabsichtigt hat, sich durch einen Einbruch reiche Geldmittel zu verschaffen. Das alles hinderte aber die deutschnationale Presse nicht, sofort in eine wüste Hetze loszubrechen und die Tat von vornherein als einen kommunistischen Mordanschlag zu bezeichnen. Der Umstand, daß der Täter kommunistische und syndikalistische Propaganda getrieben hat, genügte, um seine Tat der Sozialdemokratie ganz allgemein an die Rockschöße zu hängen.

Ganz besonders gebärdete sich die in Erfurt erscheinende „Mitteldeutsche Zeitung“. „Dröhnend sollen die Schüsse von Weimar“, so tobt sie, „in aller Ohren liegen, sollen in den Herzen der Deutschen widerhallen! Sollen wecken, sollen aufrühren, sollen aufrufen zur Tat, zur endlichen Tat! Seht, ihr deutschen Bürger, merkt ihr nun, wohin die Reise geht? Das ist die Propaganda der Tat. Glaubt ihr wirklich, daß der rote Drache entschlafen ist? Schlaft ihr nun immer noch? Ruft euch das namenlose Leid nicht aus eurem stumpfe Dahinbrüten, eurem feigen Schwanken?“ Und so geht es noch eine Weile weiter, um endlich der Sozialdemokratie die Schuld an der Weimarer Mordtat zuschieben zu können.

Man fragt sich vergeblich, was diese Raserei soll. Zunächst hätte die deutschnationale Presse allen Anlaß, sich einmal gründlich mit Greueltaten zu beschäftigen, die durch ihre Redensarten aufgereizte junge Leute in der letzten Zeit begangen haben. Es sei erinnert an die Mechterstädter Ereignisse und an die Tatsache, daß in München ein Veteran der deutschen Wissenschaft von radaulustigen Antisemiten derart verprügelt wurde, daß er das Krankenhaus aufsuchen mußte. So bedauerlich die Mordtat in Weimar ist, so widerlich ist es, sie parteipolitisch auszunutzen und sie dazu verwerten zu wollen, wieder einmal das Bürgertum gegen die Arbeiterschaft auszureizen. Aber etwas anderes kennt ja die deutsche Presse nicht. Sie will ja keine Gemeinschaftsarbeit zwischen Arbeiter und Bürger, sondern sie kennt nur die eine Aufgabe, daß zu säen, um in dem daraus hervorbrechenden Sturm wieder zur alten Macht gelangen zu können.

Quelle:

Jenaer Volksblatt vom 17.10.1920

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273716/JVB_19201016_244_167758667_B2_001.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371137

 

Bild:

https://de.wikipedia.org/wiki/Jenaer_Volksblatt#/media/Datei:Jenaer_Volksblatt_No302_1893-12-24.jpg