100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

USPD-Parteispaltung vollendet

Der Parteitag in Halle brachte das erwartete Ergebnis. Eine Mehrheit der Delegierten widersprach der Kritik aus dem Parteivorstand und befürwortete einen Anschluss an Moskau. Wie viel Selbsttäuschung in dieser Entscheidung steckt ist schwierig zu beurteilen. Die Neue Zeitung aus Jena begrüßt den Entschluss und wirft den „Rechtssozialisten“ ihrerseits vor von Illusionen befangen zu sein.

Feier des 2. Kongresses der Internationale im August 1920 (von Boris Kustodiev)

Das Echo in Halle.

Wenn es noch einer Bestätigung dafür bedurft hätte, daß sich die Unabhängige Partei mit der Annahme der Bedingungen und dem Eintritt in die Dritte Internationale auf richtigem Wege befindet, so wird dies durch die Aeußerungen der bürgerlichen und rechtssozialistischen Presse erbracht. Alle diese Vertreter und Verteidiger der bürgerlichen Welt werden angesichts der Tatsache, daß die linke Richtung siegte, ganz wehmütig gestimmt und finden nur einen Trost in der Form, in der die Spaltung vom rechten Flügel herbeigeführt wurde. Sie schwelgen in der frohen Aussicht, in den zu erwartenden Prozessen der streitenden Proletarier den „unparteiischen“ Schiedsrichter spielen zu können. Aber sie hätten es noch viel lieber gesehen, wenn die USP. in ihrer Gänze durch Ausschaltung der linken Führer dem Einfluß der Hilferding, Breitscheid und Crispien, für die auf einmal die reaktionärsten Blätter Lob und Anerkennung finden, ausgeliefert worden wäre. Die große Mehrheit, die sich für Moskau entschied, erschreckt sie offenbar auch nicht wenig. Die Vossische Zeitung tröstet sich mit dem Hinweis auf die voraussichtlich lange Zeit der Prozesse oder der Faustkämpfe um Kassen usw. Das Berliner Tageblatt bedarf eines stärkeren Beruhigungsmittels und ruft nach dem Staatsanwalt gegen eine Partei, die nunmehr verpflichtet sei, die 21 Bedingungen auch praktisch durchzuführen. Die Frankfurter Zeitung ist über die Psychose und den Wahnsinn der Moskauanhänger entsetzt und sieht in all diesen Vorgängen „Zersetzungserscheinungen“, die sie aber gleichwohl für sehr gefährlich hält. Der Vorwärts stellt sich auf den Boden der Crispienschen Logik und meint, der größte Teil der USP. sei aus dieser Partei weggelaufen, der übriggebliebene kleine Rest sei also wirklich die Partei, aber er prophezeit auch nicht ohne gute Gründe, daß auch dieser Rest notwendig zerrieben werden wird, weil es keinen Sinn hat, für eine Halbdiktatur, für den Terror von Fall zu Fall zu sein und man sich eben so oder so entscheiden müsse. Er hofft natürlich, daß sich die Arbeiter zum größten Teil für Noske entscheiden werden und erwartet die Mitglieder der USP. mit offenen Armen. Was mit den Führern geschieht, ist ihm gleichgültig. Es wird wohl umgekehrt kommen, ungefähr so, wie Breitscheid selbst in anerkennenswerter Offenheit auf dem Parteitag dem rechten Flügel es als wahrscheinlich erklärt hat. Die Arbeiter werden sich wohl entscheiden müssen, aber die blutbefleckte Partei des schlimmsten Arbeiterverrates wird auf sie kaum so viel Anziehungskraft ausüben, als die geschlossene Massenpartei des revolutionären Proletariates. Es kann also den Scheidemännern leicht passieren, daß sie sich mit einigen der rechten Führer begnügen müssen, von denen sie offenbar selbst nicht sehr erbaut sind. Die Freiheit endlich wagt es nicht, die Schuld an der Spaltung dem linken Flügel zuzuschreiben; zu klar tritt ja zutage, daß dieser alles versucht hat, um die Trennung von den opportunistischen Führern nicht zu einer Zerschlagung der Gesamtpartei werden zu lassen. Sie schiebt alle Schuld auf das böse Moskau, welches von außen den Anstoß zur Spaltung gegeben habe. Um dies tun zu können, leugnet sie auch jetzt noch, daß es in der Partei unüberbrückbare Gegensätze gab, obwohl es doch jedem Einsichtigen klar sein muß, daß das „Diktat von Moskau“ den Klärungsprozeß, der auf jeden Fall gekommen wäre, nur beschleunigt hat. Auf denselben Ton ist auch das Manifest des rechten Flügels an das deutsche Proletariat gestimmt. Für dieses Manifest ist es bezeichnend, daß es gleichzeitig über „die vielen Parolen“ schimpft, aber selbst eine neue Kampfparole, offenbar zu Konkurrenzzwecken, aufstellt, die Parole des Kampfes um die Sozialisierung wichtiger Wirtschaftszweige, insbesondere des Bergbaues. Das ist bekanntlich gegenwärtig auch die Parole der Rechtssozialisten. Ueber den Illusionscharakter der Form, in welcher diese Parole ausgegeben wird, muß noch vieles gesagt werden.

Quelle:

Neue Zeitung vom 22.10.1920

 

Bild:

https://en.wikipedia.org/wiki/Communist_International#/media/File:Kustodiev_-_Congress_of_Comintern.JPG