100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Arbeiten in Friedenszeiten

Im Rückblick auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes in Sachsen-Weimar-Eisenach im Jahr 1919 sind einige folgenreiche Trends festzustellen. Insbesondere die im Weltkrieg übliche Arbeit von Frauen in Industriebetrieben nahm wieder stark ab. Zwar stiegen die Löhne, aber das Verhältnis von Arbeitnehmer und –geber bleibt angespannt.

Arbeitende Frauen während des Weltkrieges, 1917

Aus dem Jahresbericht des Gewerbe-Aufsichtsbeamten des Staates Sachsen-Weimar für 1919.

Der Jahresbericht des Gewerbe-Aufsichtsbeamten des Staates Sachsen-Weimar-Eisenach für das Jahr 1919 ist jetzt erschienen. Er schildert in der Einleitung die ungünstigen Wirkungen des verlorenen Krieges, des Mangels an Kohlen und Rohstoffen auf die Unternehmungen, betont aber auch den gesteigerten Einfluß, den sich die Arbeiter als Folge der Revolution in den Betrieben errungen haben. Die Verhältnisse der Uebergangswirtschaft und der wirtschaftlichen Demobilisation haben der Gewerbeinspektion viele Arbeit gebracht, über die nähere Angaben gemacht werden. Der Bericht beschäftigt sich auch mit dem seinerzeit vom Jenaer Arbeiterrat erlassenen Verbot der Kinderbeschäftigung, das zwar ungesetzlich war, aber doch gute Erfolge gezeitigt habe.

Im ersten Abschnitt werden Angaben über die Zahl der in den Betrieben mit mindestens zehn Personen beschäftigten Arbeiter gemacht. Gegen 1913 blieb die Zahl der nachgewiesenen Arbeiter um 6.863 oder 15% zurück. Darunter befinden sich Gefallene und Kriegsinvaliden, aber wohl zu 30–40% auch Personen, die sich als kleine Kaufleute oder Handwerker selbstständig gemacht haben oder in Berufe wie das Verkehrsgewerbe übergegangen sind, den Rest nahmen Kohlengruben und Notstandsarbeiten auf.

 Unter dem Kohlenmangel litten insbesondere die Porzellan- und Glasindustrie, bei einen starken Rückgang der Beschäftigten zeigen. Die Gruppen Metallbearbeitung und Maschinen und Apparate zeigten eine Zunahme der Arbeiterzahl gegen 1913 um 33 und 28%. Die Textilindustrie litt unter Kohlen- und Rohstoffmangel, die Holzindustrie dagegen hatte Mangel an Arbeitskräften, hier hat sich die Arbeiterzahl um 18% vermehrt. Von den Handwerksbetrieben hatten Schuhmacher, Schneider, Tischler, Schmiede, Färber usw. reichliche Arbeitsgelegenheit. Die weiteren Ausführungen des Abschnitts beschäftigen sich mit Arbeitszeit, Ueberarbeit, Entlassungen und vielem anderen.

Die Zahl der Arbeiterinnen ist gegenüber 1918 um 39% zurückgegangen, was auf den Abbau der Kriegswirtschaft zurückzuführen ist. Es ist fast das gleiche Verhältnis zwischen den Zahlen der beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen erreicht, wie es 1913 bestand. Auf 1 weibliche kommen 3,26 männliche Arbeitskräfte (1918 nur 1,4). Die Assistentin der Gewerbeinspektion stellte bei ihren Besichtigungen von 218 Betrieben mit über 5.000 Arbeiterinnen im allgemeinen eine Besserung der sittlichen Zustände gegenüber den Kriegsjahren fest. Dagegen stieg in einem Orte mit 6.000 Einwohnern, wo mehrere Monate lang ein aufzulösender Truppenteil lag, die Zahl der unehelichen Geburten von 4 auf 17%.

Die Zahl der beschäftigten Jugendlichen ist gegen 1913 um 25% gesunken. Die Einhaltung der achtstündigen Arbeitszeit fiel den Lehrmeistern vielfach schwer, wenn sie für Kost und Logis des Lehrlings zu sorgen hatten. Bei den erhöhten Aufwendungen für den Lebensunterhalt waren die Meister geneigt, das Lehrverhältnis aufzugeben, um so mehr, als auch der Unterricht der Fortbildungsschule und die Aufräumungsarbeiten in der Werkstatt von der achtstündigen Arbeitszeit abzuziehen waren. Es sind schließlich einzelnen Betrieben in dieser Hinsicht Erleichterungen gewährt worden, wo dies angebracht war.

Arbeitskarten für Beschäftigung von Kindern wurden 250 ausgestellt, es handelt sich meist um Botengänge und Austragen von Zeitungen.

Der zweite Abschnitt des Jahresberichts befaßt sich mit dem Schutz der Arbeiter vor Gefahren. Die Zahl der Betriebsunfälle betrug 744 gegen 1.063 im Jahre 1918. Tödlich von ihnen waren 5. Gewerbliche Erkrankungen, meist Hautausschläge, wurden 39 gemeldet.

Im dritten Abschnitt wird über wirtschaftliche und sittliche Zustände der Arbeiterbevölkerung und Wohlfahrtseinrichtungen berichtet. Im Lauf des Jahres ist die Stücklohnarbeit in den meisten Betrieben, wo sie vorher abgeschafft worden war, wieder zur Einführung gelangt.

Eine Uebersicht zeigt, wie die Stundenlöhne in den wichtigsten Industriezweigen im Jahre 1919 gestiegen sind. Tabellen geben die Zahlen der Erwerbslosen und Notstandsarbeiter in den größeren Städten und in den einzelnen Monaten an. Ferner ist eine Nachweisung über die vom Demobilmachungskommissar bei Notstandsarbeiten festgesetzten Mindestlöhne angefügt, in der Jena bezüglich der Lohnhöhe an der Spitze marschiert.

Der Bericht sagt zum Schluß, daß sich im allgemeinen namentlich in den größeren Betrieben Arbeitgeber und Arbeitnehmer mehr denn je fremd, ja bisweilen feindlich gegenüberstehen. Er erwartet Besserung durch das Betriebsrätegesetz und weist darauf hin, daß schon im Berichtsjahr die Leiter von größeren Unternehmungen mehr als früher geneigt waren, sich von jedem Arbeiter sprechen zu lassen und über Betriebsverhältnisse Auskunft zu geben.

Eine größere Anzahl von Tabellen belegt die im Bericht gemachten Angaben des näheren.

Quelle:

Jenaer Volksblatt vom 6.9.1920

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273681/JVB_19200906_209_167758667_B2_002.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00371102

 

Bild:

https://en.wikipedia.org/wiki/Women_in_the_workforce#/media/File:Flickr_-_davehighbury_-_Women_workers_Woolwich_Arsenal_1917_London_(30).jpg