Bombenanschlag auf J. P. Morgan
In New York kam es zu einem verheerenden Terroranschlag. Die Hintermänner sind noch nicht ermittelt, aber es kommen neben Anarchisten und Kommunisten auch die irische Sinn Fein in Frage. Die rechtsnationalistische Jenaische Zeitung berichtet über den Stand der Ermittlungen und die Familie Morgan. Das Blatt sieht im Bankhaus Morgan einen der Hauptfinanziers des Krieges gegen Deutschland.
Das Attentat gegen Morgan.
Von einem Deutschamerikaner.
-er. Berlin, 18. September.
Seitdem das Gebäude der „Times“ in Los Angeles am 1. Oktober 1910 durch Dynamit in die Luft gesprengt wurde, ist in Amerika nicht ein so furchtbares Attentat verübt worden, wie jetzt in Neuyork an der Ecke des Broadway und der Wallstreet, im Zentrum der Finanzmacht der Vereinigten Staaten. Das Ziel der Verbrecher aber war nach allem, was man bis jetzt darüber weiß, das Bankhaus Morgan. Schon einmal, während des Krieges, wurde auf John Pierpont Morgan, ein Attentat versucht. Er erhielt einen Revolverstreifschuß. Schon damals wurde klar, daß gewisse geheime Zirkel ihn als den Hauptkriegsschuldigen ansahen, an dem das mißleitete Volk Rache nehmen müsse. Tatsächlich wollte Jack Morgan, noch ehe Amerika in den Krieg eintrat, den Franzosen eine Anleihe von 500 Millionen Francs gewähren. Allein es war ihm nach den amerikanischen Gesetzen nicht gestattet, mit einer kriegführenden Nation ein derartiges Geschäft zu machen, und das Gesetz sollte gelten. Grollend verzichtete Morgan auf das Geschäft. Kurz darauf erfuhr man, daß Morgan nach England gereist sei. In kurzer Zeit wurde er ein Freund von Lloyd George, und wiederum nach kurzer Zeit kehrte er von England nach Neuyork zurück in der amtlichen Eigenschaft eines englischen Agenten für Kriegsanleihen und Munitionslieferungen. Aber niemand wagte dem mächtigen Mann das Geschäft zu legen. Man ließ ihn gewähren. Seitdem war Wilson nichts anderes als eine Puppe in der Hand Morgans. Morgan selber muß wohl etwas Angst bei diesem Geschäft gehabt haben. Die Angst trieb ihn dazu, daß fortan auf seine Veranlassung jeder Fremdenverkehr an der Neuyorker Börse verboten war. Die Galerien, von denen herab so mancher Besucher Neuyorks sich das Leben der dortigen Börse ansah, wurde gesperrt. Für die Börse wurden die ausgedehntesten Sicherheitsmaßregeln getroffen, das ganze Dach wurde mit Stacheldraht versehen, damit auch von oben her niemand einbrechen oder ein unheilvolles Geschoß herunterwerfen könne. Nun haben die Gegner Morgans doch noch den Platz und die Gelegenheit herausgefunden, um dem verhaßten Bankhaus den Krieg mit Mordwaffen anzusagen.
Es schmeckt nach Kino, ist aber Wahrheit, daß eine der drei Töchter des 1913 verstorbenen John Piermont Morgan, also eine Schwester Jacks, namens Anne, mit der Arbeiterbewegung in jeder Form, auch mit dem Bolschewismus, sympathisiert, um nicht zu sagen kokettiert. Sie hat u. a. eine Blusenfabrik erreicht, in der die kommunistischen Ideen russischer Herkunft verwirklicht werden sollen. Als Anne einmal in öffentlicher Versammlung der Neuyorker Blusennäherinnen gegen die Hungerlöhne der Konkurrenzfabriken loszog und zum Widerstand gegen das Großkapital anfeuerte, soll es unangenehme Auseinandersetzungen in der Familie Morgan gegeben haben. Nur der galante Bruder Jack freute sich über Annes „Mannhaftigkeit“ und übersandete ihr ein Geschenk im Werte von 400.000 Dollars. Aber Annes Salonbolschewismus und Jacks soziale Miliardärlaune schützen nicht, wie man nun schaudernd erlebt hat, das Haus Morgan vor dem Dynamit politischer Verbrecher.
Amsterdam, 18. Sept. Nach einem Telegramm aus London sieht man in Neuyork die Explosion als einen Racheakt irischer Sinnfeiner an. Die Ansicht der Polizei geht dahin, daß der Anschlag von Extremisten angestiftet worden sei. Im Zusammenhang damit wird ein Mann mit Namen Fisher genannt, der mit Bezug auf Wallstreet erklärt haben soll: Dort leben viele Millionäre, die getötet werden müssen. Einer anderen Neuyorker Meldung zufolge wird der angerichtete Schaden jetzt auf drei Millionen Dollars geschätzt.
Neuyork, 18. Sept. Die verhaftete Persönlichkeit namens Fisher ist, wie festgestellt wurde, geistesgestört.
Amsterdam, 18. Sept. Nach einer Neuyorker Meldung des „Allgemeen Handelsblad“ sollen die radikalen Elemente in den Vereinigten Staaten die Ausgabe der französischen Anleihe durch das Bankhaus Morgan als eine Förderung der aggressiven Politik Frankreichs gegen Rußland betrachten, was möglicherweise die Ursache zu dem Anschlag gewesen sei.
WTB. Paris, 19. Sept. Wie aus Neuyork gemeldet wird, hat die Polizei den russischen Journalisten Brawlawsky verhaftet. Sie hatte einen anonymen Brief bekommen, in dem ihr mitgeteilt wurde, daß Brawlawsky einige Minuten vor der Explosion sich in der Nähe von Wallstreet zu schaffen gemacht hatte.
Genf, 20. Sept. Nach einer Neuyorker Meldung des „Herald“ ist am Sonnabend ein amtlicher Bericht über das Explosionsunglück vor dem Morganschen Bankhause veröffentlicht worden, der die Zahl der Toten amtlich mit 41, die der schwer Verletzten mit 76, und die der leicht Verletzten mit 213 angibt. Von den verhafteten Mitgliedern des kommunistischen Arbeiterbundes haben zwei ein teilweises Geständnis abgelegt, die das Ereignis als politisches Attentat mit anarchistischen Zielen erscheinen lassen. Die Zahl der Verhafteten ist auf 11 gestiegen, unter ihnen zwei Iren und drei Russen.
Quelle:
Jenaische Zeitung vom 20.9.1920
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00277666/JZ_Jenaische_Zeitung_169419428_1920_09_0105.tif
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/JPMorgan_Chase#/media/Datei:Wallstreetbmb.jpg