Das Hakenkreuz am Revers
Im Kontext einer Versammlung der sozialistischen Arbeiterjugend in Weimar kam es zu Reibereien zwischen Jungsozialisten und Rechtsradikalen. In der rechtsnationalistischen Thüringer Tageszeitung beschwert sich ein Beteiligter über die mangelnde Toleranz gegenüber Hakenkreuzträgern wie ihm. Er wolle mit dem Symbol doch nur seine „deutsche“ Gesinnung ausdrücken. Zwar war das Hakenkreuz auch als Glücksymbol verbreitet, aber schon zu Beginn der 1920er wurde es zu einem verbreiteten Erkennungszeichen der völkischen Bewegung.
Die sozialdemokratische Jugendtagung und das Hakenkreuz.
Die W. L.-Z. „Deutschland“ bringt unter der Rubrik „Weimarer Nachrichten“ in ihrer Nummer 232 eine recht bezeichnende Meldung unter dem Titel „Ein lebhafter Sonntag in Weimar“, die nicht unbeachtet bleiben darf. Nach dieser Mitteilung ist der Kranz, den die „Arbeiterjugend“ dem Altmeister Goethe am Sonnabend an die Hand gehängt hatte, über Nacht mitsamt der roten Schleife entfernt worden. Als Vergeltung haben dann die Stifter des Kranzes im Laufe des Sonntag-Nachmittags vor dem Denkmal ein Hakenkreuz verbrannt, um dadurch anzudeuten, daß man die nächtlichen Räuber bei den Menschen sucht, die dieses Symbol als Vereins- und Erkennungszeichen tragen. Bekanntlich führen nun viele Jugendvereine dieses Wahrzeichen deutschvölkischer Gesinnung, ohne hierbei einen parteipolitischen Gedanken zu vertreten, sondern nur, um eben ihre rassereine „deutsche“ Gesinnung zum Ausdruck zu bringen. Vielen Menschen und sogar ganzen Parteien ist allerdings dieses Wahrzeichen ein Dorn im Auge, und der Anblick dieses kleinen Dingelchen wirkt auf ihre Gemüter wie der Anblick des roten Tuches auf den Stier. Weil man nun leider den oder die wirklichen Täter nicht ertappt hat, so müssen diese Menschen, die „Erzfeinde der glorreichen Deutschen Republik von 1918“ als solche herhalten; obwohl es garnicht einmal annähernd, geschweige denn einwandfrei, erwiesen ist, daß von deren Seite aus der Kranz entfernt wurde. Dieses Vorgehen ist m. E. nach ein höchst seltsames und unwürdiges. Warum sollen denn gerade diese Menschen die Täter sein? Ist man denn in der Leitung der „Arbeiterjugend“ der Meinung, daß ihr Kranz im Einverständnis sämtlicher Deutschen, von den Parteien garnicht zu reden, nur mit Ausnahme der deutschvölkischen, niedergelegt worden ist? Ich hatte Gelegenheit mit mehreren Leuten verschiedener Parteien und Anschauungen zu reden über diesen Fall, aber die Mehrzahl dieser Leute sprach sich gegen die Art und Weise aus, in der der Kranz dort niedergelegt wurde. Von einem Manne, der sich nach Vorbildung und Weltanschauung ein Urteil über Goethes Lebenswerk erlauben darf, wurden mir die Worte aus „Torquato Tasso“ zitiert: „Der Mensch ist nicht geboren, frei zu sein, und für den Edlen gibt’s kein schöneres Los, als einem Fürsten, den er ehrt, zu dienen.“ Diese Worte sprechen für sich und bedürfen keines weiteren Kommentars.
Es liegt keineswegs in meiner Absicht der „Arbeiterjugend“ den guten Willen für ihr Vorhaben abzusprechen, nur läßt sich über das „Für“ und „Wider“ dieser Art und Weise und der Aufmachung kritisieren. Aber das soll nicht meine Aufgabe sein, darüber äußern sich vielleicht einmal berufene Leute. Es sei mir nur gestattet, hier einige Zwischenfälle zu erwähnen, die mir, als Hakenkreuzträger, aus gleichem Anlass passierten. In den Spätnachmittagsstunden des Sonnabends standen mein Freund und ich vor dem Goethe-Schiller-Denkmal und unterhielten uns, ob es sich unser großer Dichterfürst wohl vor hundert Jahren habe träumen lassen, daß ihm von der „Arbeiterjugend“ zu seinem Geburtstage 1920 ein Kranz mit roter Schleife an den Arm gehängt werden würde. Mein Freund beantwortete meine Frage mit einem Lächeln. Außer uns beiden stand noch eine größere Gruppe junger Menschen vor dem Denkmal, die durch ihre Abzeichen als Mitglieder der „Arbeiterjugend“ kenntlich waren. Von diesen Leuten traten zwei auf uns zu und verlangten in recht ungebührlicher Tonart von mir, ich solle meine Hakenkreuz-Schlipsnadel entfernen oder den Platz verlassen. Als ich ihnen erklärte, Einwohner Weimars zu sein und als solcher ein ebenso großes Anrecht zu besitzen, auf dem Platze zu stehen, als sie, die sie doch nur Gäste seien, erwiderte man mir, daß ich kein Recht habe, darüber zu kritisieren, ob Goethe ihr Vorgehen billige oder nicht. Mit dem Bemerken, daß Goethe ihre Handlungsweise keineswegs billigen würde, wenn sie in dem Sinne gedacht sei, in dem man mich auf so ungehörige Art und Weise anrempelte, verließen wir den Platz, um einen größeren Konflikt mit diesen Herren zu vermeiden. Daß war ein Zwischenfall, der sich schon am Sonnabend, also ehe der Kranz entfernt war, abgespielt hat. Einen weiteren Zwischenfall erlebte ich am Montag-Vormittag, wo ich am Obststand beim Wittumspalais stand, um mir Obst zu kaufen. Links von mir standen 2 Mitglieder der „Arbeiterjugend“ zu demselben Zwecke. Der eine derselben betrachtete mich sehr genau und mußte dabei wohl wieder das unselige Hakenkreuz entdeckt haben. Als er nämlich abgefertigt war, ging er zu einer größeren Gruppe seiner Genossen auf der anderen Seite der Straße, um dann, als ich meine Waren forderte, seinem neben mir stehenden Genossen durch ein recht lautes: „Du, seh Dich vor! Rechts von Dir!“ auf mich aufmerksam zu machen. Der Betreffende schien aber nicht den rechten Mut zu einer Anrempelung zu haben. Denn er wich ganz scheu einen Schritt zurück, um mich dann beim Weggehen genau zu bemustern.
Das sind so einige Proben, wie sich die Vertreter der „Arbeiterjungen“ einem Hakenkreuzträger gegenüber benommen haben und ich bin zweifellos nicht der einzige gewesen! Ob diese Leute nun angesichts solcher Tatsachen dazu berechtigt waren, ohne jeglichen stichhaltigen Grund ein Hakenkreuz zu verbrennen und dazu an einer solchen Stelle, überlasse ich dem Urteil der Leser. Ich glaube aber ganz bestimmt, wenn die Hakenkreuzträger den Spieß umkehren würden, und vor dem Nationaltheater in Weimar ein Wahrzeichen der „Arbeiterjugend“ verbrennen würden, daß ihnen die Behörde da zweifellos Schwierigkeiten bereiten würde, und die sozialdemokratische Presse diesen Fall in kurzer Zeit durch alle ihre Gesinnungsorgane als eine ganz ungeheuerliche Anmaßung der Hakenkreuzträger stempeln lassen würde. Aber das ist nun einmal so bei uns nach der glorreichen Revolution vom 9. November 1918: „Wenn zwei dasselbe tun, so ist es nicht dasselbe!!!“
Weimar, den 30. August 1920.
Arnold-Wilhelm Siecksmeyer.
Quelle:
Thüringer Tageszeitung vom 4.9.1920
Bild:
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