100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Der (relativ) tiefe Fall der Evangelischen Kirche

Mit der Novemberrevolution und dem Fall der Monarchie verlor die Evangelische Kirche ihren Status als Staatskirche. Die Neuaushandlung der Beziehungen zwischen Staat und Kirchen war konfliktreich und zahlreiche Pfarrer fühlten sich in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung zurückgesetzt. Wie dieser Artikel zeigt hatte dies nicht nur soziale, sondern vor allem wirtschaftliche Gründe.

Die Georgenkirche in Eisenach - Thüringer Bischofssitz

Die Not des evangelischen Pfarrhauses.

Man redet in unseren Tagen soviel von der Notlage der einzelnen Berufsgruppen und –stände. Bald weiß man nicht beweglich genug die Entbehrungen des werktätigen Volkes zu schildern, bald wird vom Beamtenelend geredet, bald von der Zwangslage der kleinen Rentner, denen das neue Steuergesetz noch den Todesstoß versetzen will … einen Stand vergißt man immer, nämlich den des evangelischen Pfarrers, zumal hier in Sachsen-Weimar. Obwohl aus den evangelischen Pfarrhäusern seit den Tagen der Revolution gewaltige Segensströme ins wirtschaftliche und geistige Leben unseres Volkes geflossen sind, obwohl so viele unserer bedeutendsten Köpfe dem evangelischen Pfarrhaus entstammen: Lessing, Möricke Nietzsche, ferner so viele unserer führenden Geister der Wissenschaft und des Wirtschaftslebens, behandelt man dennoch auf einmal die Pfarrer wie Parias. Obwohl „soziale Gerechtigkeit“ das Schlagwort unserer Tage ist, haben gerade die Sozialisten und, was vielleicht manchen trotz allem in Erstaunen setzt, die Demokraten ihren Arm dazu geliehen, den Pastorenstand direkt dem wirtschaftlichen Elend preiszugeben.

Der Volksrat von Thüringen hat s. Zt., als es sich darum handelte, die Beamtenbesoldungen zu regeln, den Pfarrerstand als einzigen ausgeschlossen, obgleich doch die Trennung von Kirche und Staat noch keineswegs erfolgt ist. Infolgedessen bezieht der Pfarrer lediglich sein Friedensgehalt. Nur die Ortszulagen sind in Sachsen-Weimar vom Landeskirchenrat von jährlich (!!) 150 M. auf 200 M., einige von 200 M. auf 300 M. erhöht worden.

Seitens des Staates ist es eine direkte Ungesetzlichkeit sich seiner Verpflichtungen zu entziehen; denn in alter Zeit, bald nach der Reformation und später auch nach der Säkularisation, hat der Staat die Kirchengüter mit der ausdrücklichen und vertraglich festgelegten Verpflichtung übernommen, dafür die Kirche und vor allem den Pfarrerstand der Zeit entsprechend mit Mitteln auszustatten. Aus diesen ihm zugefallenen Kirchengütern bezieht gerade der weimarische Staat einen sehr großen Teil seiner Einnahmen.

Die erwähnte Zurücksetzungg muß gerade den Pfarrerstand außerordentlich schwer treffen: denn es ist Tradition im evangelischen Pfarrhaus den Kindern unter Entbehrung oft härtester Art den „Aufstieg der Tüchtigen“ auch der Tat nach zu ermöglichen. Viele Pastorensöhne sind noch von der Zeit vor dem Kriege her im Studium begriffen; die Väter haben zumeist kein Vermögen und es ist fast ausgeschlossen, daß das Studium beendet werden kann.

Sind denn aber keine Versuche gemacht worden, die bestehenden Härten irgendwie zu mildern? – Am 1. Juli 1920 wurde jedem Pfarrer anheimgegeben, bei Abholung seines Vierteljahresgehaltes sich einen Vorschuß von 1.000 .– M. gehen zu lassen, der jedoch später wieder in Abzug gebracht werden würde.

Der Landeskirchenrat hat nun zwar außerdem beschlossen, daß die Geistlichen in die Gehaltsklasse 9 bezw. 10 der Thüringer Beamtenbesoldung, aber ohne die Ortszuschläge und nur mit 10 Prozent der Teuerungszulagen eingereiht werden sollen, und zwar rückwirkend bis zum 1. April und vorläufig wirkend bis zum 1. Oktober. Jedoch ist bisher nichts weiter erfolgt, da offenbar die notwendigen Mittel nicht zur Verfügung stehen.

Durch diese Neuregelung wird ein Pfarrer im 10. Dienstjahr gleichgestellt sein z. B. mit einem Straßenkehrer in der Stadt Jena. Er ist genötigt, entweder eine Anleihe aufzunehmen oder wie einer bitter sagte, von dem 4 Wochen des Monats eine Woche vom „Bücherschrank“ und eine vom „Schreibtisch“ zu leben.

Es ist unbedingt erforderlich, dem Pfarrerstand baldigst zu helfen, zumal ja jetzt die Kohleneinkäufe vor der Tür stehen und Lebensmittel zu beträchtlichen Preisen auf Vorrat gekauft werden müssen, um durch den Winter zu kommen.

Da die Mittel der Landeskirchenkasse in Kürze aufgebracht sein werden, ist nötig, daß entweder bis zur völligen Auseinandersetzung mit dem Staat die Geistlichen den übrigen Beamten gleichgestellt werden oder der Stadt einstweilen einen ausreichenden Vorschuß zur Verfügung stellt, damit die Notlage der Geistlichen auch wirklich gelindert werden kann.

Der Landeskirchenrat und ebenso die Pfarrerverbände müssen noch mehr wie bisher auf die ungeheuren Härten bei Behandlung und Abfindung der Pfarrer hinweisen, da die Oeffentlichkeit bisher nur selten von der Misere gehört hat, in die die parlamentarische Regierung das evangelische Pfarrhaus versetzt hat.

Quelle:

Thüringer Tageszeitung vom 10.9.1920

 

Bild:

https://de.wikipedia.org/wiki/Th%C3%BCringen#/media/Datei:Stadtkirche_Eisenach_Westseite.JPG