Deutsch-irische Freundschaften
Der Feind meines Feindes ist mein Freund. So dachte schon die deutsche Führung während des Ersten Weltkrieges, als sie eine (militärisch wenig bedeutsame) Unterstützung der irischen Unabhängigkeitsbestrebungen beschloss. Auch nach dem Ende des Weltkrieges sind die Sympathien zu den „irischen Freiheitskämpfern“ stark, wie dieser Artikel der Weimarischen Landes-Zeitung über das Pantheon des irischen Nationalismus verdeutlicht.
Irische Freiheitskämpfer.
Von Dr. R. Brook.
Irlands vielhundertjähriger Kampf um Selbstständigkeit und Freiheit scheint heute seinen Höhepunkt erreicht zu haben. Ueberall lodert es auf dieser grünen und so unsagbar geplagten Insel mit einer Heftigkeit, wie sie unser Zeitalter nicht mehr gewohnt ist und in der Tragödie des Bürgermeisters eines kleinen irischen Städtchens, der für die Freiheit seiner Heimat einen unerhörten selbstgewählten Tod zu sterben bereit ist, sammelt sich die Tragödie eines ganzen Landes und macht dieses Einzelschicksal zum Brennpunkt einer ganzen Welt.
Der letzte Hauch einer romantischen Zeit, einer Zeit, die noch nicht ganz dem Rattern der Maschinen verfallen ist, liegt über dem irischen Eiland und seinen Kämpfen. Wie seine Taten und phantastischen Märchen noch seltsam lebendig in diesem Volke sind, wie seine ganze Geschichte noch als ein Rest eines fernen und vergessenen Heroentums in die unserige ragt, so liegt auch über den irischen Freiheitskämpfern noch ein seltener und kostbarer Schimmer ungewöhnlichen Schicksals, ungewöhnlicher Tragik. Die Romantik, welche um jenen Bürgermeister von York weht, vor dessen Gefängnis Tag und Nacht eine beharrliche Menge steht, im Regen und im Sonnenschein, Gebete murmelnd und spontan auf die Knie fallend, dessen Frau unablässig an alle Großen der Erde appelliert und fünf Erdteile in Spannung um eines Menschen Schicksal hält, – diese Romantik hat alle irischen Freiheitskämpfer umwoben. Noch ist Sir Roger Casements Schicksal frisch im Gedächtnis, das so viele, fast theatralische Spannungen durchlebte: der Mordanschlag in Kopenhagen durch einen englischen Gesandten, eine überstürzte Flucht nach Deutschland, heimliche Landung in Irland und als Abschluß eine aufwühlende Gerichtsverhandlung mit einer Verteidigungsrede, der die Welt lauschte, und mit Richtern, die mit verbissenem Munde ein Urteil zu fällen berufen wurden, das nur die Staatsraison und nicht ihr Herz diktierte. Auch [Charles Stewart] Parnell ist die Poesie verhängnisvoll geworden, dem größten irischen Vorkämpfer im englischen Parlament, dem klügsten Politiker in Irlands Sache. Eine junge Frau setzte es sich in den Kopf, den berühmten und stets ablehnenden Mann bei sich zu Gast zu haben. Sie sucht ihn im Parlament auf, eine Rose fällt zu Boden, er hebt sie auf, er nimmt die Einladung an und wird ihr Geliebter. Eine phantastische vierzehntägige Klausur in ihrem Schlafzimmer rettet ihn vor der polizeilichen Verhaftung, die Regierung verhandelt insgeheim mit ihm und als sie ihre Stunde gekommen weiß, fällt der Mächtige über den Makel des Ehebruchs. Seine Laufbahn war endgültig zu Ende. Ein Jahr später stirbt er und wieder war Irlands Sache begraben.
Alle drei, von Parnell bis zum Bürgermeister von York, waren Männer der Tat. Aber Irland hat auch einen Helden des Wortes hervorgebracht: Jonathan Swift. Wie jene durch die Tat hat er durch seine Schriften England zu erschüttern und das Ausland zu bewegen vermocht. Wo er in Irland einzog, wurden Triumphbogen errichtet, Glocken geläutet, Medaillen zu seinen Ehren geprägt. Auf billigen Taschentüchern sah man sein Bildnis, auf Ladenschildern seinen Kopf. Ein paar Bogen gedruckter Worte haben diese Begeisterung entfacht und eine mächtige englische Regierung zum Zurückweichen gezwungen. Die Briefe eines „Tuchhändlers“ haben dieses Wunder vollbracht – aber in diesen Briefen wurde mit hinreißender Beredsamkeit die irische Not und irisches Freiheitsverlangen verfochten und für dieses Volk, das wie kein anderes zu Exzessen bereit ist, genügen ein paar rechte Worte, um es zu höchster Begeisterung zu entflammen. „Es ist freilich wahr, daß seit Menschengedenken die Parlamente von England sich immer wieder die Macht angemaßt haben, dieses Königreich (Irland) durch dort erlassene Gesetze zu binden. Wahrlich eine Regierung ohne die Einwilligung der Regierten, das ist stets geradezu die Definition der Sklaverei. Aber freilich werden elf wohl bewaffnete Leute sicherlich eines einzelnen Herr werden, der nur mit einem Hemd bekleidet ist. Jene, die die Macht dazu benutzen, die Freiheit zu beschränken, sind jetzt soweit gegangen, daß sie uns selbst das Recht der Klage mißgönnen, wiewohl man nie davon hörte, daß man einem Gefolterten das Recht verweigert hätte, so laut zu brüllen, wie er es für angebracht hielt.“ Solche Worte liefen wie ein Feuerbrand durch die irischen Herzen; sie sprachen und sprechen noch heute jedes Iren tiefste Ueberzeugung aus.
Aber auch Swift ist von der Tragik aller irischen Freiheitshelden nicht verschont geblieben, vielleicht ist er sogar der tragischste. Denn dieser Geist, der mit solcher Ueberlegenheit und solcher Schärfe zu denken und zu sprechen vermochte, dessen unsterblichen Guilliver noch heute, der Ironie entkleidet, als Kinderbuch in Europas Literatur lebt, verfiel in völlige Apathie. Swift mußte entmündigt werden und dämmerte jahrelang bis zu seinem Tode dahin, ohne ein Wort zu sprechen. Einmal soll er noch als Antwort auf den Bericht, daß man den Geburtstag des „Tuchhändlers“ mit Illuminationen feierte, vor sich hingemurmelt haben: „Das ist alles Unsinn; sie sollten es lieber lassen!“
Irlands tiefste Tragik ist es, daß der Lauf seiner besten Geister so melancholisch endete. Alle erstürmten sie in jähem Anlauf eine Höhe, um desto tiefer in einen bodenlosen Abgrund zu fallen. Vielleicht hat aber soviel Melancholie und soviel Heroentum doch endlich die Berechtigung für endgültige Ruhe dieses geplagten Landes erkauft!
Quelle:
Weimarische Landes-Zeitung vom 24.9.1920
Bilder:
https://de.wikipedia.org/wiki/Roger_Casement#/media/Datei:Casement_Wandtafel_Riederau_am_Ammersee.jpg
https://de.wikipedia.org/wiki/Jonathan_Swift#/media/Datei:Jonathan_Swift_1667-1745.jpg