100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Die deutsche Verschuldung

Ende September 1920 wird auf der Internationalen Finanzkonferenz seitens der Deutschen versucht, international auf die problematische wirtschaftliche und finanzielle Lage Deutschlands aufmerksam zu machen. Wort- und beispielreich veranschaulicht die deutsche Denkschrift dabei die Ursachen und Auswirkungen der deutschen Misere. Die vielen Millionen Mark, mit denen die Deutschen zu argumentieren versuchen, erscheinen dabei schwindelerregend:

Gustave Ador - Präsident der Brüsseler Finanzkonferenz

Die deutsche Denkschrift für Brüssel.

Die auf der Brüsseler Internationalen Finanzkonferenz überreichte deutsche Denkschrift sagt u.a.:

Der deutschen Bevölkerung war ein so enges Zusammenleben in einem von Natur nicht besonders mit Reichtum ausgestatten Lange nur dadurch möglich, daß sie, gestützt auf den verhältnismäßigen Reichtum an Kohle, seinen Export vornehmlich in inländischen Eisen und in den verschiedensten ausländischen Rohstoffen bestätigte. Die natürlichen Grundlagen der deutschen Wirtschaft haben sich durch das Ergebnis des Krieges außerordentlich verschlechtert. Die deutsche Wirtschaft erlitt eine erhebliche Einbuße insbesondere ein Bezug auf ihre Kohlen und Eisenbahnen. Zudem ist sie in großem Maße durch den Krieg verschuldet und hat durch den Frieden von Versailles unermeßliche Verpflichtungen aufgebürdet bekommen. Die Erhaltung einer der bisherigen Volkszahl entsprechenden Bevölkerung auf deutschem Boden ist nur möglich, wenn es gelingt, einerseits den Eigenbedarf dieser Bevölkerung in den denkbar engsten Grenzen zu halten und andererseits dieser Bevölkerung Gelegenheit zu bieten, durch Arbeit soviel Werte zu schaffen, daß sie in der Lage ist, diesen eigenen Mindestbedarf zu bestreiten und darüber hinaus allmählich die Verschuldung an das Ausland abzutragen. Deutschland ist in noch viel stärkeren Maße als in der Vorkriegszeit darauf angewiesen, Rohstoffe einzuführen und Fertigerzeugnisse auszuführen. Deutschland kann die ihm auferlegten Schulden, wenn überhaupt, nur mit Waren bezahlen. Der Außenhandel Deutschlands nach Aufhebung der Blockade stand unter dem Zeichen eines außerordentlich starken und dringenden Einfuhrbedarfs an Lebensmitteln und industriellen Rohstoffen, der im Jahre 1919 auf die erschreckende Höhe von 22.319 Millionen Mark kam. Für Januar bis Mai 1920 kommt hinzu ein Einfuhrüberschuss von rund 4.800 Millionen Mark. Diese Passivität der Handelsbilanz muss auf Dauer zur völligen Aushungerung und Erschöpfung der deutschen Wirtschaft führen.

Die Ausfuhr nahm im Herbst infolge des jähen Sturzes der Markwährung eine für die heimische Bedarfsdeckung gefährliche Entwicklung. Der starke Valutaanreiz dauerte bis zum Frühjahr 1920 an. Dann wirkte auf die deutsche Ausfuhr die in allen Ländern eingetretene Absatzstockung ein, die in Deutschland bald den Charakter einer ernsten Wirtschaftskrise annahm. Die Tatsache, daß die akute Lebensgefahr für Deutschland noch nicht überwunden ist, zwingt das Reich nach wie vor zu sehr einschneidenden staatlichen Einwirkungen auf die Wirtschaftsführung, die annormale Währung der Marktvaluta zwang Deutschland, zu Valutaaufschlägen zu greifen. Auf der Einfuhrliste zielte die staatliche Einwirkung auf Fernhaltung nicht unbedingt notwendiger Einfuhren hin. Zurzeit ist die Einfuhr wichtiger industrieller Rohstoffe, insbesondere von den vornehmlichsten Faserstoffen, von jeder staatlichen Einwirkung frei. Auch für die Einfuhr von Lebens- und Futtermitteln sind wesentliche Erleichterungen geschaffen. Hinsichtlich der Ausfuhrpolitik ist Deutschland vorerst nicht in der Lage, in der Preisbemessung auf Berücksichtigung des Valutastandes des Bestimmungsstandes vollständig zu verzichten. Im Jahre 1920 ergab sich ein Überschuß der Einfuhr über die Ausfuhr im Januar um 2.241 Millionen, im Februar um 1.670 Millionen, im März um 1.467 Millionen, dagegen im April ein Überschuß an Ausfuhr über die Einbuße von 576 Millionen und im Mai ein solcher um 1.110 Millionen.

Quelle:

Jenaer Volksblatt vom 30.9.1920

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00273702/JVB_19200930_230_167758667_B1_001.tif

 

Bild:

https://fr.wikipedia.org/wiki/Gustave_Ador#/media/Fichier:GustaveAdor.jpg