100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

War die Landesgründung ein Fehler?

Aufgrund der Unfähigkeit des Landestages eine Regierung zu bilden, schürt besonders das rechte Lager die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Landesgründung. Hier reagiert Arnold Paulssen als Vorsitzender der geschäftsführenden Regierung auf einen Artikel des Landtagsabgeordneten Joseph Höser, der den Anschluss von Meiningen beklagt. Paulssen verteidigt die bisherige Regierungspolitik und stellt die Vorteile heraus, die auch Meiningen durch die Landesgründung erfahren hat.

Das ehemalige Residenzschloß in Meiningen

Meiningen und Thüringen.

Von Staatsminister Dr. Arnold Paulssen, Weimar.

In einem Artikel mit dieser Ueberschrift macht Landtagsabgeordneter Höser in der „Dorfzeitung“ vom 25. September 1920 „seinem sehr gepreßten Herzen Luft“ durch Unkenrufe über das Unglück, das dem Lande Meiningen durch seinen Anschluß an Thüringen widerfahren sei. Man könnte diesen Artikel, dessen partikularistische Tendenzen sicher nur bei einem sehr kleinen Teil der thüringischen Bevölkerung Widerhall finden werden, unerwidert lassen, wenn er nicht manche unrichtige Behauptungen enthielte, die – namentlich von Weimar aus – nicht unwidersprochen bleiben können.

Zunächst behauptet Herr Höser, die Verantwortung für die gescheiterte Regierungsbildung in Thüringen tragen in erster Linie die Mehrheitssozialisten und in zweiter die Demokraten, die letzteren, weil sie „nicht den Mut aufgebracht haben“, mit der Rechtsfraktion gemeinsam eine Regierung zu bilden. Hat Herr Höser denn ganz vergessen, daß auch die Rechtsparteien es für dringend wünschenswert hielten, eine Regierung auf breiterer Grundlage war das Ziel der demokratischen Partei und, weil dieses Ziel durch eine Rechtsregierung nicht zu verwirklichen war, und die Demokraten nicht so schnell alle Hoffnung aufgeben wollten, das noch zu erreichen, lehnten sie im Juli die Regierungsbildung mit der Rechtsfraktion ab. Warum aber mißlang eine Regierungsbildung mit Einbeziehung der Sozialdemokratie? Weil die Rechtsparteien den großen politischen Fehler begangen hatten, sich zu einer Fraktion zusammenzuschließen und dadurch den Anstoß gegeben hatten, daß auch die Sozialdemokraten sich mit den Unabhängigen zu einer Fraktion einigten. Jetzt fängt ja bei den Rechtsparteien die Einsicht an sich durchzuringen, daß jener Zusammenschluß verkehrt war. Der Beschluß des Vertretertages der Deutschen Volkspartei in Erfurt vom 19. September 1920 läßt dies deutlich genug erkennen. Der Vertretertag ist danach der Auffassung, daß die Abgeordneten der Deutschen Volkspartei eine Auflösung der vereinigten Fraktion dann bewirken werden, wenn hierdurch die Schwierigkeiten der Regierungsbildung vermindert werden. Besonders charakteristisch für den Wert jenes Zusammenschlusses zu einer Fraktion ist dabei der weitere Satz des Beschlusses, der das „Bedauern über die Schärfe der von der Deutschnationalen Volkspartei fortgesetzt gegen die Deutsche Volkspartei gerichteten Angriffe“ ausspricht.

Das Große Palais in Meiningen

Herr Höser sieht nun vor allem das Unglück Meiningens darin, daß es mit seinen leiblich guten Finanzen mit anderen thüringischen Staaten verkoppelt sei, deren Finanzen Herr Höser aufs abfälligste beurteilt. Er braucht dabei den Vergleich von einer Handelsgesellschaft, deren Vermögensstand ein gewissenhafter Kaufmann doch prüfen müsse, bevor er in sie eintrete. Es widerstrebt mir, Herrn Höser auf den Boden des gegenseitigen Vorhaltens des Vermögensstandes der einzelnen thüringischen Staaten zu folgen. Denn, daß dieser verschieden war, als der Zusammenschluß erfolgte, das wußte jeder Thüringer. Die Gaben, die Menschen in eine Gemeinschaft mitbringen, sind verschiedene, und ebenso ist es bei den Staaten. Es brauchen auch nicht alle Gaben, die jemand mitbringt, nur in Geld abwägbar zu sein. Es gibt auch immaterielle Güter. Glücklicherweise hat die ganze Frage des Zusammenschlusses Thüringens unter anderen Zeichen als denen des kaufmännischen Rechnens gestanden. Der Zusammenschluß war eine unbedingte Notwendigkeit, weil die bisherige Zersplitterung der politisch und wirtschaftlich zusammengehörigen thüringischen Volksteile, trotz ihres jahrhundertelangen Bestehens eine Widernatürlichkeit war. Alle jetzt und in nächster Zeit auftretenden Schwierigkeiten werden daher nichts an der Tatsache ändern, daß jetzt Thüringen ein geeintes Land ist und bleibt. Ich folge also Herrn Höser nicht auf das Gebiet des Ausspielens der Finanzen des einen Thüringer Landes gegen das andere. Im Interesse der Wahrheit muß ich aber feststellen, daß es ein durchaus falsches Bild von der Finanzlage Sachsen-Weimars ist, wenn Herr Höser nachdem er rühmend hervorhebt, daß Meiningen „sogar Barvermögen“ in die Gemeinschaft mitbringe, von Weimar sagt, daß es mindestens 50 Millionen Schulden aufweise. Die Schulden Weimars belaufen sich nach dem Stande vom 1. Juli 1920 auf 35 Millionen Mark. Zurzeit ist die vorübergehende Aufnahme von 11 Millionen Mark Anleihe zur Verstärkung des Wirtschaftsfonds im Gange, da die jetzt eingeführte vierteljährliche Vorauszahlung der wesentlich erhöhten Dienstbezüge der Beamten einen erheblich größeren Wirtschaftsfonds als bisher erfordert und für dieses Jahr bekanntlich die Einkommenssteuerbeträge infolge der Reichseinkommenssteuerbeträge und großer Holzgeldereinnahmen, die zurzeit noch gestundet sind, wird voraussichtlich ein beträchtlicher Teil dieser vorübergehenden Schuld wieder abgebürdet werden können. Aber auch wenn man diese 11 Millionen mit hinzurechnet, so beträgt Weimars Schuldenlast erst 46 Millionen Mark. Diesen Schulden steht aber ein sie weit übersteigendes Barvermögen an Wertpapieren, Bergwerkskurven und anderen Kapitalien, das nach den jetzigen Kursen rund 80 Millionen ausmacht, gegenüber, ganz abgesehen von dem großen Werte der Forsten und Kammergüter. Von Weimar könnte man also mit viel größerem Recht sagen, daß es Barvermögen in die Gemeinschaft mitbringe. Der weimarische Etat ist hinsichtlich seiner Forsteinnahmen und Bergwerkseinnahmen so vorsichtig aufgestellt, daß in dieser vorsichtigen Aufstellung eine sehr starke Reserve liegt. Es ist also absolut unrichtig, die weimarischen Finanzen als gefährdet hinzustellen. Ein gänzlich unberechtigter Angriff auf Weimar ist ferner die Behauptung von einer Quecksilber„spekulation“. Quecksilberankäufe sind seinerzeit lediglich im wirtschaftlichen Interesse der zahlreichen minderbemittelten Thermometermacher des Thüringer Waldes von den technischen Staatsanstalten in Ilmenau vorsorglich vorgenommen worden, sie haben mit Spekulationsgeschäften ebenso wenig zu tun wie die Ankäufe von Lebensmitteln durch die Kommunalverbände.

Als einen Beweis für die wirtschaftliche Unhaltbarkeit des neuen Staates Thüringen bezeichnet Herr Höser die jetzt „nach politischen Gesichtspunkten erfolgte“ Reglung der Kartoffelfrage. Ich glaube kaum, daß Herr Höser für diesen Standpunkt viel Verständnis in Thüringen finden wird. Denn nicht nur die Verbraucherkreise werden es der Wirtschaftsabteilung des Staatsrats von Thüringen Dank wissen, daß sie durch eine Vereinbarung mit dem Landbund den Kartoffelpreis auf 20 M. für den Zentner gesenkt hat, sondern auch die besonnenen und maßvoll denkenden Landwirte – das ist erfreulicherweise noch die Mehrheit in Thüringen – werden diese Reglung der Kartoffelfrage, die uns hoffentlich vor schweren Erschütterungen bewahrt, gutheißen.

Weitere Beschwerden hat bei Herrn Höser die Berufung eines „Polizeichefs“ von auswärts ausgelöst. Hiermit verhält es sich folgendermaßen: Der Staatsrat hat die Vorbereitung zur Einrichtung einer Sicherheitspolizei (Staatspolizei) im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern getroffen, deren Genehmigung durch eine Landtagsvorlage erbeten werden wird. Die Schaffung der Sicherheitspolizei wird wohl von allen Thüringern gebilligt werden, denen an der Sicherung der Ruhe und Ordnung im Lande gelegen ist und der Landtag wird selbstverständlich ausgiebig Gelegenheit erhalten, dazu Stellung zu nehmen. Die Auswahl des Leiters, der die Einrichtung treffen soll, aber ist Aufgabe der Regierung. Ob sie den geeigneten Mann gefunden hat, wird sich ausweisen. Wenn Herr Höser den Meininger Landtag zum Sturm gegen Thüringen aufruft, so mag er es tun. Er wird das geeinte Thüringen nicht aus den Angeln heben, obgleich es jetzt noch keine Landesregierung hat.

Quelle:

Weimarische Landes-Zeitung vom 28.9.1920

 

Bilder:

https://de.wikipedia.org/wiki/Herzogtum_Sachsen-Meiningen#/media/Datei:Schloss35W.JPG

https://de.wikipedia.org/wiki/Herzogtum_Sachsen-Meiningen#/media/Datei:Meiningen_Gro%C3%9Fes_Palais_2012.jpg