100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Der Historische Friseursalon Altenburg in der Weimarer Republik

Im Rahmen des Projekts Moderne in der Provinz haben der Förderverein "Historisches Friseurhaus" Altenburg e.V. und der Weimarer Republik e.V. zusammen eine Ausstellung zum Friseurhandwerk und der Entstehung des Friseursalons Artur Grosse in der Weimarer Republik erstellt. Das Teilprojekt wurde durch die Sparkassenkulturstiftung Hessen-Thüringen unterstützt.

In Zusammenarebit zwischen

         

 

Gefördert durch

Artur Grosse -
Erfolgreicher Friseur und Naturschützer

Restaurierte Bohlenstube im Wohnhaus der Familie Artur Grosse (© Deutsche Stiftung Denkmalschutz)

Artur Grosse wurde am 1. November 1894 als Sohn des Friseurmeisters Adolf Reinhold Grosse im preußischen Teuchern geboren. 1919 siedelte er in das thüringische Altenburg und wurde zunächst in der Pauritzer Gasse 6 (heute Pauritzer Straße) als Friseur tätig. Ein Jahr später kam aus seiner Ehe mit Helene Grosse, die auch als Friseurin arbeitete, Sohn Horst zur Welt. 1926 erwarb das Paar das Haus in der Pauritzer Gasse 2. Mit dem Umzug entstand die Idee, dort nicht nur einen Herrensalon zu betreiben, sondern auch einen zeitgemäßen modernen Damen-Salon einzurichten. Noch vor der Eröffnung empfahl Artur Grosse sein Geschäft mit Annoncen für »geschmackvolle« Damen-Frisuren. Am 1. Februar 1927 erwarb der selbständige Unternehmer für die Führung seines Betriebes den notwendigen Meisterbrief. Kurze Zeit später eröffnete der Altenburger Damensalon auch offiziell und sein Inhaber bewies besonderes Geschick, die weibliche Kundschaft von dessen Vorzügen zu überzeugen. Dazu gehörte auch, dass Grosse mit dem Landestheater-Oberfriseur Paul Lübeck zusammenarbeitete.

Der Naturschützer Artur Grosse bei der Anbringung eines Nistkastens für Wildvögel (© Archiv Naturkundemuseum Mauritianum)

Das Geschäft war nicht nur in der Weimarer Republik erfolgreich, auch in den turbulenten Zeiten während des Zweiten Weltkrieges blieb es für die Kundschaft geöffnet. Möglich machte das unter anderem der Umstand, dass Artur Grosse aufgrund einer Kriegsverletzung aus dem Ersten Weltkrieg nicht erneut als Soldat einberufen wurde. Trotz der zahlreichen wirtschaftlichen und politischen Umbrüche betrieb der Friseurmeister seinen Salon bis in das Jahr 1966. Es wurde fleißig rasiert, Bartpflege betrieben, Haare wurden onduliert und so manche Dame verabschiedete sich von ihrem Zopf.
Dabei war Artur Grosse viel mehr als nur ein »gewöhnlicher« Friseur. Grosses Leidenschaft und sein Engagement galten der Natur, insbesondere der Welt der Vögel und deren Schutz. Sein Wissen versuchte er stets auf zahlreichen, bei der Öffentlichkeit beliebten Exkursionen weiterzugeben. Allein bis 1942 gingen elf Schutzgebiete im Altenburger Land auf sein Wirken zurück, so etwa der Porphyrsteinbruch Windischleuba, Schmidts-Park, der Pohlhofgarten oder die Paditzer Schanzen. Von der Passion des Vaters profitierte auch der Sohn. Horst Grosse machte nicht nur Karriere als Direktor des Altenburger Naturkundemuseums Mauritianum, er schaffte es auch, die Bildungs- und Forschungsstätte öffentlichkeitswirksam zu etablieren und dabei weit über die Grenzen des Altenburger Landes bekannt zu machen.

Die »Neue Frau« -
Kurzharschnitte und Hosenanzüge

Frauen in der Granatendreherei (© Gemeinfrei)

Für die Frauen brachten der Erste Weltkrieg und die Gründung der Weimarer Republik tiefgreifende Veränderungen. Waren die meisten Deutschen weiblichen Geschlechts vor 1914 zumeist mit Pflichten im Haushalt betraut, wurden sie in der Kriegswirtschaft zur notwendigen Arbeitskraft. Dies führte zur fortschreitenden Emanzipation der Frauen und manifestierte sich 1918/19 sowohl im allgemeinen Wahlrecht als auch in der formalen Gleichstellung von Mann und Frau in der Weimarer Reichsverfassung.
In den 1920er-Jahren bildete sich ein neuer Frauentypus heraus. Die gesellschaftliche Ebenbürtigkeit wurde durch neuartige Kleidungsstile, Haarschnitte und Habitualisierungen selbstbewusst ausgedrückt. Diese Frauen unterschieden sich von der traditionsbewussten Gruppe sogenannter »Gretchen« und wurden von Zeitgenossen oftmals als »Garçonne« oder »Girl« bezeichnet. Dabei war mit dem aus der amerikanischen Kultur entlehnten Begriff »Girl« eine eher unpolitische und hedonistisch eingestellte Frau gemeint. Die »Garçonne« hingegen suchte auch politische Mitbestimmung und gesellschaftliche Anerkennung. Beiden Gruppen war ein androgynes Aussehen gemein, das sich durch kurze, aber sachlich geschnittene Kleider, Hosenanzüge und die stilprägenden Kurzhaarschnitte dieses Jahrzehnts auszeichnete.

Vorführung neuer Bubikopf-Frisuren in Berlin, 1926 (© Bild 183-2004-0512-504)

Zum Sinnbild der emanzipatorischen Entwicklung, wie auch für die Ausschweifungen der »Goldenen Zwanziger« wurde der Bubikopf. Ikonen jener Zeit wie Pola Negri, Asta Nielsen und Ruth Landshoff verhalfen dem neuen Stil zum Durchbruch. Ob Eton- oder Pagenschnitt, mit oder ohne Wasserwelle, der »Bob« kannte viele Varianten. Zuweilen wurde das Pony auch zu einer Locke eingedreht. Der sogenannte »Herrenwinker« unterstrich dabei das verruchte Image der »Neuen Frau«. Dennoch blieben das Aussehen und Selbstbewusstsein nicht ohne Widerspruch. Viele Frauen, vor allem außerhalb der großen Städte, folgten dem neuen Trend nur zögerlich, und auch in der Männerwelt löste der jungenhafte Look Irritationen aus. Nicht wenige sahen darin eine Aufweichung des traditionellen Rollenverständnisses und somit eine Gefahr für Familien und die Gesellschaft im Allgemeinen. Nicht zuletzt auch deshalb ging mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 die Rückkehr des Frauenbildes als Hausfrau und Mutter einher. Auch der Bubikopf verschwand für einige Jahre aus dem Repertoire der Friseure, kehrte aber wieder und erfreut sich bis heute großer Beliebtheit.

Herrenmode -
schlicht, sportlich, bartlos

Der Weltkriegsheld Ernst Jünger als männliches Ideal des Offiziers aus dem Kaiserreich, um 1921 (© Gemeinfrei)

Im Gegensatz zu der weitverbreitenden und stilbildenden Wahrnehmung der »Neuen Frau« ist das Männerbild der 1920er-Jahre weit weniger vertraut. Dies mag unter anderem daran liegen, dass das soldatische Männlichkeitsideal des Kaiserreichs, nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung eine Krise erlebte. Die Schrecken des Krieges und die als Schmach empfundene Niederlage, erschütterten das (Selbst-)Bild vom Mann als Krieger. Zusätzlich wurde die männliche Identität durch das Aufkommen weiblichen Selbstbewusstseins herausgefordert. Es entstand ein Bild von Männlichkeit, welches klassische Attribute wie körperliche Vitalität mit emotionaler Kälte und einem rationalen Geist verband. Durch die Betonung besonders männlicher Eigenschaften sollte der Aufweichung der Geschlechterbeziehung begegnet werden.

Sinnbild des »Pomadenhengstes«, der italienische Schauspieler Rudolph Valentino, o.D. (© Geimfrei)

Vielfach in der Kunst und Literatur der »Neuen Sachlichkeit« abgebildet, spiegelte sich diese Geisteshaltung auch in einem schlichten Äußeren wider. Ein sportlich geschnittener Anzug, zumeist in schwarz gehalten, gehörte zur Grundausstattung des gepflegten Herren. Dazu trug der Mann die Haare kurz und zumeist streng mithilfe von Pomade nach hinten gelegt – wer es übertrieb, wurde vom Volksmund mitunter schon mal als »Pomadenhengst« verspottet. Zusammen mit einem glattrasierten, bartlosen Gesicht unterstrich dieses Erscheinungsbild die gewünschte Ernsthaftigkeit und Strenge. Der Bart geriet aus der Mode und wurde zumeist von der älteren Generation getragen.
Begünstigend auf diesen Trend wirkten sich auch technische Fortschritte und der Siegeszug der Popkultur in den 1920er-Jahren aus. Vorreiter und Vorbild waren auf beiden Gebieten die USA, wo die Elektrifizierung des Rasierapparats (1901) und der Haarscheideapparate (1918) erfunden wurden. So wurde das sauber rasierte Gesicht in den 1920er-Jahren auch in Europa populär. Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung dieses Looks spielten dabei amerikanische Filme und Schauspieler, wie Buster Keaton und Rudolph Valentino. Mit Emil Jannings und Hans Albers kamen auch die größten deutschen Filmstars jener Zeit mit diesem Aussehen beim Publikum an.

Haarschnitt mit Schlossblick -
Der »Historische Friseursalon« in Altenburg

Blick in den historischen Damen-Salon (© Deutsche Stiftung Denkmalschutz)

Unweit des Brühl, dem ehemaligen historischen Zentrum Altenburgs, empfängt in der Pauritzer Straße 2 hinter einer schlichten spätbarocken Fassade der »Historische Friseursalon« seine Gäste. Er ist zugleich ein historisches Zeugnis der Stadt, als auch seiner Handwerksgeschichte in den 1920er-Jahren. Eingerichtet wurde das Geschäft von Friseurmeister Artur Grosse 1926 zunächst als klassischer Herren-Salon, welcher straßenseitig rechts neben dem Schaufenster betreten werden konnte. Ein der Zeit entsprechender moderner Damen-Salon wurde im Jahr 1927 im hinteren Teil des Gebäudes integriert. Beide Geschäfte waren durch eine Tür verbunden, wobei die Damen aber einen eigenen, seitlichen Eingang nutzten, welcher durch den Hausflur des Wohn- und Geschäftshauses der Familie Grosse führte.

Das Warenregal für den Verkauf außer Haus (© Deutsche Stiftung Denkmalschutz)

Der Herren-Salon besticht durch eine rötliche marmorne Frisiertischwand mit drei Arbeitsplätzen. Der Kunde nahm davor seinerzeit auf edlen Friseurstühlen Platz, die von der Firma Büsser gefertigt waren – einem in den 1920er- und 1930er-Jahren führenden Hersteller für Sitzmöbel in Deutschland. Dass hier zu der Zeit nicht nur barbiert oder Wasserwellen gelegt wurden, sondern auch so manche Zigarre beim Männergespräch glimmte, war selbstverständlich. Im Gegensatz dazu war der Damen-Salon für Altenburger Verhältnisse eine Besonderheit, die in den 1920er-Jahren sonst nur in Großstädten zu finden war. Der Bereich war größer als der für die Herren, und er war hell-freundlich gestaltet. Das harmonierte nicht nur mit dem Fensterblick auf das Schloß, sondern auch durch die Wahl der weißfarbenen Möblierung und grauen Marmor-Frisiertische. Hier kam von Beginn bis in die 1960er-Jahre die Brennschere (Ondulation) zum Einsatz. Ferner hielten die Heiß- und Kaltwelle Einzug. Abgerundet wurde das Interieur durch ein Angebot nützlicher wie auch notwendiger Hygiene-Artikel, etwa Mund- und Haarwasser, Zahnseifen und Zahnpulvern bis hin zu diversen Verhütungsartikeln.
Es ist eine ausgesprochene Seltenheit, dass ein Salon mit seinem kompletten Inventar wie Frisiertischen, Wandverkleidung, sämtlichen Gerätschaften, Spiegeln, Lampen und sogar dem Warmwasserboiler der Firma Junkers erhalten geblieben ist und durch seinen Besitzer weder modernisiert noch aufgelöst wurde. Vielmehr verfiel das Objekt Ende der 1960er-Jahre in eine Art »Dornröschenschlaf«. Heute sind das Haus und der Salon im Besitz eines Fördervereins und präsentiert sich dem Besucher als kleines Museum des Friseurhandwerks.

»Neue Menschen« -
Körperoptimierung und Haarmode

Barbierstube vor dem Feind: praktische Körperpflege im Ersten Weltkrieg 1914 (© Bild 183-S30645)

Die Novemberrevolution 1918 zog nicht nur auf politischem Gebiet Verwerfungen und Neuerungen nach sich. Der Bruch mit den Normen des Kaiserreichs und die neuen Freiheiten, die der demokratische Rechtsstaat den Bürgerinnen und Bürgern bot, führten zu tiefgreifenden Veränderungen. Die Moderne mit all ihren Widersprüchen hatte Deutschland in den 1920er-Jahren vollends erfasst. Dazu gehörte neben den Experimenten in Kunst und Kultur auch die umfassende Neuausrichtung des modernen Menschen. Dies schloss die Ästhetik mit ein. Wo zuvor gutbürgerliche Rundlichkeit, Bärte im Stile der regierenden Monarchen, aufwendige Hochsteckfrisuren sowie hochgeschlossene und lange Kleider das Bild auf den Straßen dominierten, suchte der »Neue Mensch« der Weimarer Republik nach neuen Gestaltungsmöglichkeiten. Der Drang und die Möglichkeiten zur Veränderung waren nicht in allen Gesellschaftsschichten gleichermaßen vorhanden und nicht selten mit einem politischen Statement verbunden.

Dauerwellen-Apparat: aufwändige Körperoptimierung in der Weimarer Republik, 1925 (© Bild 102-08896)

Technisch-wissenschaftliche Fortschritte eröffneten neue Wege den eignen Körper zu gestalten und zu optimieren. Rationale, medizinische Gründe spielten dabei ebenso eine Rolle wie die aufstrebende Körperkultur, die sich im Sport oder der Freikörperkulturbewegung wiederfanden. Die Gesundheits- und Schönheitsindustrie erlebte ihren ersten Boom.
Auch im Bereich der Haarpflege führte das neue Körperbewusstsein der Konsumenten zu einem Aufschwung bei Firmen wie Wella, Schwarzkopf und Beiersdorf. Davon blieb das Friseurhandwerk nicht unberührt. Neue Mittel zur Reinigung, Färbung und Entfernung des Haares machten es erforderlich, sich ein gewisses technologisches Knowhow anzueignen. Dies war ebenso notwendig, wie eine professionelle Ausstattung. Hinzu kamen neue Modetrends bei Damen- und Herrenfrisuren, die Anpassungen an die Erfordernisse der neuen Zeit unabdingbar machten.