100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Moderne in der Ilmenau

Im Rahmen des Projekts Moderne in der Provinz, haben das Universitätsarchiv der TU Ilmenau und der Weimarer Republik e.V. zusammen die Anfangsgeschichte des Thüringischen Technikums Ilmenau, dem Vorläufer der heutigen TU Ilmenau untersucht. Die Erkenntnisse werden durch eine Ausstellung vermittelt. Das Projekt wurde aus Mitteln der Sparkassen-Kulturstiftung realisiert.

In Zusammenarbeit zwischen

      

 

Gefördert durch

Stadt der Glasindustrie

Fabrik-Ansicht der Sophienhütte 1920 (© GoetheStadtMuseum Ilmenau)

Der sachsen-weimarische Kurort Ilmenau war seit jeher ein bedeutender Rohstofflieferant für zahlreiche Erzeugnisse der industriellen Produktion. Rasch entwickelten sich um die Ab-baugebiete auch immer mehr Fertigungsbetriebe, vor allem der Porzellan- und Glasindustrie. Die erste Gründung einer Ilmenauer Glasfabrik geht auf das Jahr 1675 zurück; die erste Fertigung technischer Glasinstrumente ist für das Jahr 1830 belegt. Trotz optimaler Voraussetzungen konnten sich die Hersteller in diesem Bereich jedoch lange Zeit nicht gegenüber ihren Konkurrenten behaupten. Erst mit der 1852 gegründeten Sophienhütte und der damit einhergehenden Einführung präziser Fertigungsmethoden kam auch der wirtschaftliche Erfolg in die Südthüringer Kleinstadt. In der Folge entstanden weitere Manufakturen, die den Schwerpunkt auf die Herstellung technischer Instrumente legten. Neben den allseits benötigten Thermometern beinhalteten die Kataloge der Produzenten vor allem Spezial-Apparaturen für die Forschung, insbesondere in den Bereichen der Naturwissenschaften, Medizin oder Meteorologie.

Titelblatt eines Produktkataloges der Glasfabrik Sophienhütte 1927 (© GoetheStadtMuseum Ilmenau)

Für die Qualitätssicherung der hochwertigen Geräte war die ab 1889 in Ilmenau ansässige Groß-herzoglich-Sächsische Prüfanstalt für Thermometer – der Vorläufer des heutigen Landesamtes für Mess- und Eichwesen Thüringen – verantwortlich. Bereits ein Jahr nach ihrer Gründung wurde der Prüfanstalt eine eigene Fachschulabteilung angegliedert, in der 1894 erstmals sieben Schüler offiziell eine Ausbildung als Angehörige der Ilmenauer Glasfachschule absolvierten. Aufgabe der Lehranstalt war die »Heranbildung tüchtiger, theoretisch und praktisch geschulter Arbeitskräfte« sämtlicher Zweige der Feinmechanik und Glasinstrumentenfabrikation. Zur Sicherstellung dieses Zieles zog die Schule 1898 in das neu errichtete Eich-amt und arbeitete fortan als Teil der staatlichen Präzisionstechnischen Anstalten unter der Bezeichnung Großherzoglich-Sächsische Fachschule und Lehrwerkstatt für Glasinstrumentenmacher.

Die Gründung des Thüringischen Technikums

Programm und Lehrpläne um1911 (© Universitätsarchiv Ilmenau)

Parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung Ilmenaus etablierte sich am Standort ein privates Technikum. Die Initiative für die Höhere Fachschule ging auf Eduard Jentzen zurück. Dieser war nach Gründung des Deutschen Kaiserreichs bereits an der Entstehung der Baugewerkeschule Sulza, der Polytechnischen Schule Langensalza und dem Technikum Neustadt-Glewe beteiligt gewesen war. Kurz vor der Jahrhundertwende richtete der Ingenieur ein Gesuch an die Regierung von Sachsen-Weimar-Eisenach, mit dem er ein privates Technikum in der Hauptstadt des Großherzogtums errichten wollte. Da die »Musenstadt deutschen Geistes« den Oberen wenig geeignet für das Vorhaben schien, verwiesen sie ihn an die aufstrebende Porzellan- und Glasindustriestadt Ilmenau in der südlichen Exklave des Staates. Hier fiel das Ansinnen auf fruchtbareren Boden. Parallel zu Jentzens Anfrage im Mai 1894 in Ilmenau drohte der wirtschaftliche Aufschwung in der Kurstadt zu stagnieren, da die Ausbildung eigener Fachkräfte im abgelegenen und damit teuren Ort für junge Menschen als unattraktiv galt. Entsprechend begrüßte der Gemeinderat das Vorhaben; zudem das Schulgeld sichere Einnahmen bedeutete und die Stadt vom Zuzug junger Menschen profitierte. Ferner erhoffte man sich die Erschließung neuer Industriezweige für die Region. Dementsprechend kam bereits am 24. Juni 1894 ein Vertrag zustande, nach dem am 1. Oktober desselben Jahres das Technikum seine Türen zur Ausbildung junger Fachkräfte im Bereich des Maschinen- und Mühlenbaus öffnen konnte. Als Privatanstalt konzipiert, übernahm der Stadtgemeindevorstand die Aufsicht über die Einrichtung, die ein Jahr nach Eröffnung im neuerrichteten Curie-Bau ihre Heimat fand. Da zugleich der Staat Sachsen-Weimar-Eisenach die Oberaufsicht übernahm, war der Erfolg des Instituts gesichert. Schließlich wertete ein vom Staatskommissar unterzeichnetes Diplom für Ingenieure den zum Zeitpunkt noch nicht geschützten Titel auf.

Zeugnis 1909 (© Universitätsarchiv Ilmenau)

Am 3. November 1894 fand die feierliche Eröffnung des Thüringischen Technikums Ilmenau nebst Fackelzug und Festkommers statt. Der 47-jährige Jentzen trat dabei bereits in den Hintergrund. Zum Gesicht der Schule avancierte dessen Stellvertreter, der 23-jährige Maschinenbau-Ingenieur und Lehrer für Elektrotechnik, Maschinenbau und Festigkeitslehre Georg Schmidt. Dieser gab in seiner Festrede der Hoffnung Ausdruck, die »Schule [möge] in ihrer Art beitragen zum Gedeihen des Allgemeinen«. In diesem Geist begannen er und weitere 13 Fach- sowie sechs Hilfslehrer fortan die Ausbildung der ersten 142 Schüler. Trotz des vergleichsweisen hohen Schulgeldes zeigte die Herkunft ihrer Kandidaten bereits die neue Attraktivität des Standortes an: Gerade einmal sechs Auszubildene kamen aus dem Großherzogtum. Die meisten – insgesamt 81 – stammten aus Preußen. Ferner konnten 19 Schüler aus dem Ausland geworben werden, davon acht aus Russland. Nur sieben Jahre später zählte das Technikum 814 Auszubildende mit einem stabilen Ausländeranteil von rund zehn Prozent. Bis 1941 waren alle Immatrikulierten männlichen Geschlechts.

Die Profilierung des Technikums

Georg Schmidt (© Universitätsarchiv Ilmenau)

Das Thüringische Technikum Ilmenau florierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts trotz zeitweilig rückläufiger Schülerzahlen derart, dass dessen Gebäude mehrfach durch Anbauten erweitert werden mussten. Das führte auch dazu, dass der in der Oberstadt gelegene Standort mit seiner expandierenden Infrastruktur immer mehr an Ilmenaus Zentrum heranwuchs. Unter anderem entstand 1905 ein eigenes Gebäude mit Maschinenlabor, welches die Profilierung der Anstalt weiter vorantrieb und sicherstellte, dass sich der Standort – trotz zahlreicher konkurrierender Schul-Neugründungen – nach Mittweida als zweitgrößte Maschinenbauschule im Reich etablieren konnte.
Zum personellen Aushängeschild der Institution war Georg Schmidt geworden. Im Jahr der Reichsgründung 1871 als achter Sohn eines Gärtners in Ulm geboren, hatte er 1890 bis 1894 mit Hilfe eines Stipendiums in Hannover Maschinenbau und Elektrotechnik studiert und war im Anschluss zur rechten Hand des Ilmenauer Schulgründers Eduard Jentzen geworden. Nachdem sich Jentzen 1903 aus gesundheitlichen Gründen von seinem Posten zurückziehen musste, empfahl er mit dem aufstrebenden Schmidt die tatsächliche Seele des Technikums als seinen Nachfolger.

Modellraum (© Universitätsarchiv Ilmenau)

Dieser prägte in den kommenden 45 Jahren eine Ära über zwei Weltkriege und vier politische Systeme, vom Kaiserreich, der Weimarer Republik, das »Dritte Reich« sowie die Sowjetische Besatzungszone hinweg. 1908 hatte Schmidt von Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen- Weimar-Eisenach die Professorenwürde verliehen bekommen. Bereits 1896 war er Mitbegründer des Vereins Deutscher Ingenieure geworden; 1913 wählten ihn die Mitglieder des Bezirksvereins Erfurt zum Vorsitzenden für Mittelthüringen. 1914 meldete sich Schmidt 43-jährig als Offizier zum freiwilligen Kriegsdienst und schaffte es allen Widrigkeiten zum Trotz, auch in Abwesenheit den Schulbetrieb – auf ein Minimum reduziert – aufrecht zu erhalten.
Da eine praktische Vorausbildung oder ein Volontariat die Zugangsvoraussetzung zur Schule bildete, hatte Georg Schmidt schon 1898 eine eigene Maschinenbaufabrik unter der Bezeichnung Schmidt und Co. eröffnet, an der auch Praktika absolviert werden konnten. Damit war im Nebenzweig nicht weniger als die erste Lehrfabrik mit Maschinenbaulaboratorium ihrer Art entstanden. Zugleich entwarf Schmidt bereits mit der Gründung des Technikums in wesentlichen Teilen den ersten vollständigen Lehrplan für Elektrotechnik und Konstruktionsunterricht im Deutschen Reich überhaupt, welcher 1909 durch die Fachrichtungen Automobil- und Eisenhochbau erweitert wurde. Beide Pionierleistungen, die theoretische Ausbildung und deren praktische Verknüpfung, wurden in unmittelbarer Folge von zahlreichen weiteren Anstalten nachgeahmt.

Das Technikum in der Weimarer Republik

Physikalisches Laboratorium (© Universitätsarchiv Ilmenau)

Als sich nach dem Umbruch von der Monarchie zur Weimarer Republik am 1. Mai 1920 sieben thüringische Staaten zu einem Land Thüringen vereinigten, bedeutete das auch für das Technikum Ilmenau einige wesentliche Veränderungen: Fortan war die Lehranstalt nicht mehr unter die Aufsicht der Stadt gestellt. Diese Aufgabe übernahm zunächst das Weimarer Wirtschaftsministerium, ab 1923 das Ministerium für Volksbildung. Zugleich wurde der Schulbetrieb von den Krisen in der jungen Republik belastet. So führten die aufgrund der anwachsenden Teuerung gestiegenen Schulgelder 1920 zu anhaltenden Protesten der Studenten, wobei sogar eine zeitweise Schließung der Einrichtung notwendig wurde. Zur Sicherung ihrer Versorgung hatten die Studenten bereits 1919 eine selbstverwaltete Küche eingerichtet. 1923 war die Situation der jungen Techniker derart katastrophal, dass nur jeder vierte Alumni eine Stelle fand. Trotzdem strömten mit dem Ende des Ersten Weltkrieges nicht nur die älteren Semester von den Fronten zurück in die Hörsäle, auch aus den neuen Generationen schrieben sich wieder mehr junge Männer ein. Im Sommersemester 1921 waren es bereits 1.087. Rund 20 Prozent von ihnen kamen aus dem Ausland.

Faraday-Bau (© Universitätsarchiv Ilmenau)

Aufgrund des Mangels an Lehr- und Wohnräumen für eine so hohe Anzahl Studierender in Ilmenau erwarb der Direktor des privaten Technikums, Georg Schmidt, 1920 zunächst die ehemalige Baugewerkeschule im nahegelegen Bad Sulza mit der Intention, dort eine Zweiganstalt für die Ausbildung im ersten Studienjahr zu etablieren. Mitte des Jahrzehnts investierte er zudem beträchtliche Teile des Institutsvermögens in den Bau eines Gebäudes gegenüber dem Curie-Bau. Schmidt verwirklichte dabei zugleich seine Vorstellungen einer modernen Anstalt, in der sich die Räume für den theoretischen und praktischen Unterricht optimal ergänzten. Über den großzügigen Laboratorien mit neuester Ausstattung für eine wissenschaftliche Betriebsführung, Strom- und Radiotechnik fasste der Bau unter anderem in seinem 3. Stockwerk ein Auditorium maximum mit 240 Sitzplätzen, Oberlicht und Anschlüssen für verschiedenste Energie-, Wasser- und Gasleitungen. 1926 konnte der Faraday-Bau seine Türen für den Lehrbetrieb öffnen, sodass in den nachfolgenden zehn Jahren neben dem städtischen »Alten« auch ein privates »Neues Technikum« koexistierte, das wesentlich zum internationalen Renommee beitrug.
Mit der Erweiterung des Thüringischen Technikums Ilmenau wurde auch dessen Name verändert. Ab 1926 firmierte die Anstalt unter der reichseinheitlichen Bezeichnung Ingenieurschule Ilmenau. Zugleich wurde der Lehrplan an die sprunghafte technische Entwicklung angepasst: Ein besonderer Schwerpunkt lag nunmehr auf der Hochspannungs-, Hochfrequenz- und Radiotechnik. Hinzu kamen die nach amerikanischem Vorbild eingeführte Betriebswirtschaftslehre sowie die Ausbildung im Sektor des Kraftfahrzeug- und Flugzeugbaus.

Das (korporations-)studentische Leben in Ilmenau

Bob »RHENO« (Fünfer Bob), Eröffnungsrennen auf der Lindenberg-Bobbahn WS 1926/27 (© Universitätsarchiv Ilmenau)

Das idyllisch gelegene Städtchen Ilmenau war schon vor der Gründung des Technikums bei Studenten beliebt. Zunächst reisten die jungen Menschen an den Wochenenden und in den Ferien aus den umliegenden Universitätsstädten mit der Bahn in den Thüringer Wald; besuchten die Hohe Warte, den Kickelhahn, den Mönchshof oder die Bobhütte. Mit dem dauerhaften Aufenthalt hielten auch deren studentische Riten Einzug in Südthüringen – vor allem was die Trink- und Feierkultur anbelangte. In der Gemeinde, die einen beträchtlichen Anteil ihrer Einnahmen aus dem Kurbetrieb erzielte, griff daraufhin rasch die Befürchtung um sich, die Studenten könnten zum belästigenden Ärgernis werden. Drakonische Strafen der Behörden waren die Folge: Das »Klopfen am Leitungsmast mit einem Stock« kostete etwa 10, »nächtliches Singen« 20 und »überlautes Schreien« sogar 30 Mark Strafe. Trotz aller Gegensätze bereicherten die Techniker aber nicht nur die Gemeinde- und Wirtshauskassen, sie förderten auch das gesellschaftliche Leben. Beispielsweise wurden skandinavische Studenten zur Attraktion im Skispringen während etwa Bayern und Tiroler Bob-Mannschaften bildeten. Ferner entstanden nicht wenige Ehen zwischen Technikern mit Einheimischen.

Technische Verbindung TV-Diogenia im Lindencafé 1932 (© Universitätsarchiv Ilmenau)

Bereits mit Erlass des Technikum-Gründungsstatutes war verankert worden, dass korporationsstudentische Verbindungen »mit den Zwecken der Anstalt unvereinbar« und daher in Ilmenau unerwünscht waren. Trotzdem etablierten sich zahlreiche Organisationen – mehr oder weniger getarnt als Vereine. So importierten beispielsweise 1894 aus dem überfüllten Technikum Mittweida gewechselte Studenten Verbindungsstrukturen und errichteten schon Wochen vor Eröffnung ihrer neuen Heimstatt unter dem Namen »Polyhymnia« einen Techniker-Gesang-Verein. Im selben Jahr entstand an der Glasmacherschule die Verbindung Ilmenia – weitere Bünde folgten den Beispielen, veranstalteten Fackelumzüge und feierten Festkommers in der »Konstante« (Stammkneipe). Ab der Jahrhundertwende trugen die meisten von ihnen zunehmend offen Farben und bekannten sich zur Tradition des pflichtschlagenden Mensurprinzips sowie der unbedingten Satisfaktion durch Zweikampf. Da die Leitung des Technikums und die Gemeinde derartige Riten fortgesetzt zu unterdrücken versuchten, wanderten zahlreiche Burschenschaften im Vorfeld des Ersten Weltkrieges ab oder wurden aufgrund zu geringer Mitgliederzahlen suspendiert. Als nach der Kapitulation 1918 Massen junger Männer von den Fronten zurück in die Hörsäle drängten und diese über Gebühr füllten, erlebte das korporationsstudentische Leben in Ilmenau seine Hochzeit. Allein in den Jahren zwischen 1920 und 1932 entstanden oder rekonstituierten sich mehr als zwanzig farbentragende Ingenieur-Verbindungen. Wie überall im Land war die übergroße Mehrheit von diesen konservativ gesinnt und stand der Republik skeptisch bis ablehnend gegenüber. Etliche Korporierte beteiligten sich zudem auch als rechte Paramilitärs an bürgerkriegsartigen Kämpfen sowie demokratiefeindlichen Bestrebungen. Durch die enge Verbindung zu ihren »Alten Herren«, die nach ihrem Abschluss Karriere gemacht hatten, konnten die Verbindungsstudenten zudem Einflüsse in Wirtschaft und Politik geltend machen, bzw. ihre Aufstiegschancen sichern. Dies war vor allem in den Krisenphasen der Republik von großer Bedeutung und prägte die elitären Strukturen des Staates.