100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Reichsverfassungsfeier am 11. August 1926 auf dem Platz der Republik in Berlin. Blick auf das flaggengeschmückte Reichstagsgebäude von der Siegessäule aus gesehen, Bundesarchiv, Bild 102-03034.

Durch den Streit über den sog. Flaggenerlass stürzte im Mai die Bürgerblock-Regierung des parteilosen Reichskanzlers Hans Luther. Landesweit und insbesondere auch in Thüringen protestierten Anhänger der Republik auf Großkundgebungen gegen diese Verordnung, die im Übrigen auch von Reichspräsident Hindenburg unterzeichnet worden war. In der Sache ging es eigentlich nur um die Beflaggung der Gesandtschaften des Deutschen Reiches im Ausland. Vor ihnen wurde fortan nicht nur die Reichsflagge aufgezogen, sondern auch die schwarz-weiß-rote Handelsflagge mit schwarz-rot-goldener Gösch. Die vorgeblich „überparteilich“ ausgerichtete Reichsregierung Luthers bestand aus sog. Fachexperten und gab vor, mit diesem Schritt eine stärkere Einbindung der traditionsbewussten Auslandsdeutschen in die neue Staatsform erreichen zu wollen. Den Proteststurm in nahezu allen größeren Städten Thüringens führte Sebastian Elsbach 2019 auf Einschätzungen in der republikanischen Öffentlichkeit zurück, wonach der Flaggenerlass ein „Anschlag“ auf die Verfassungsordnung schlechthin gewesen sei. Der Reichskanzler habe es gewagt, Hand an die Farben Schwarz-Rot-Gold zu legen, wie sich der Vorsitzende des Reichsbanners in einem Zeitungsartikel ausdrückte. Mit solch forschen Attacken artikulierte Otto Hörsing ein Jahr nach der Wahl Hindenburgs zum Reichspräsident eine nun wieder optimistischere Stimmungslage im Reichsbanner. Die überlieferten Kriegserinnerungen des SPD- und Reichsbanner-Mitglieds Fritz Einert aus Schmalkalden bestätigen „die Zuversicht“ an der soziokulturellen Basis des Bundes, letztendlich doch noch die „stärkeren Kräfte“ des Volkes unter Schwarz-Rot-Gold versammeln zu können. Nach Benjamin Ziemanns Analyse von 2014 habe Mitte der 1920er Jahre ein solcher „Erwartungshorizont“ unter den aktiven Kameradschaften und Veteranen des Reichsbanners vorgeherrscht. Tatsächlich sei es dem Bund gelungen, Hunderttausende sozialdemokratischer Arbeiter hinter der Trikolore der national-demokratischen Bewegung des 19. Jahrhunderts zu mobilisieren anstatt (nur) unter dem traditionellen Symbol der sozialistischen Arbeiterbewegung, einer schlichten roten Fahne. Jedenfalls musste Reichskanzler Luther infolge der von Rednern der SPD geprägten Massenveranstaltungen des Reichsbanners zurücktreten. Allerdings blieb der Flaggenerlass in Kraft.

Jenaer Volkszeitung vom 10. August 1926, Quelle: Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena.

Nichtsdestotrotz räumte das „Jenaer Volksblatt“ in seiner Beilage „Zum Verfassungstag“ am 10. August 1926 ein, es würde „vielen Volksgenossen“ schwer fallen, „die rechte innere Einstellung“ zum 11. August zu finden. Ein großer Teil der Deutschen würde in diesem Tag „nichts als Parteidemonstrationen linksgerichteter Parteien“ erblicken. Dies sei jedoch ein Irrtum, denn ihm komme „die große Bedeutung eines Nationalfeiertages“ zu. Durch die Annahme der WRV sei „die schlimmste Periode deutscher Not“ abgeschlossen worden, da das gesellschaftliche Leben wieder „einen gesetzlichen Rahmen“ auf republikanischer Grundlage erhalten habe. So lautete ein Standardargument nationalliberaler Kreise. Mit dieser Auffassung würde ein Gutteil der Bevölkerung übereinstimmen, der von der Sozialdemokratie bis weit in Kreise der Deutschen Volkspartei reichen würde. Deshalb böte der Verfassungstag zumindest die Gelegenheit, „ein Bekenntnis für Recht und Ordnung, für Reich und Republik abzulegen.“ Solcherart Formulierungen glichen der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner dieser beiden Parteien, die gemeinhin der politischen Mitte zugerechnet werden. Er bestand in abstrakten Formelbegriffen, die gerade an diesem Tag wenig Überzeugungskraft besaßen, um die wachsenden Spannungen zwischen der republikanischen Massenbasis einerseits und den Ortsvorständen bürgerlicher Sammellisten unter Einschluss der DVP andererseits zu überbrücken.

Denn auch dem überwiegenden Teil der Thüringer Kommunalelite fiel es schwer, eine aufgeschlossenere „innere Einstellung“ zur Feier des Verfassungstages zu gewinnen. Das belegt der Briefwechsel zwischen dem Vorsitzenden der Jenaer Ortsgruppe des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, Dr. Otto Stölten, und Stadtdirektor Dr. Alexander Elsner. Stölten wandte sich am 19. Juli mit Nachdruck an den OB Jenas und schrieb, auch in der Saalestadt bestünde „die Notwendigkeit“, am 11. August eine von der Stadt veranstaltete Verfassungsfeier vorzubereiten. Weiter hieß es in seinem Schreiben, die Ortsgruppe Jena erkläre sich bereit, an einer Veranstaltung der Stadt im Volkshaussaal teilzunehmen, eventuell den Redner zu stellen und erneut auf eine eigene Verfassungsfeier zu verzichten. Da die Vorbereitungen einige Zeit erfordern würden, mahnte Stölten eine baldige Entscheidung an. Die „republikanischen Fraktionen“ SPD und DDP/Zentrum unterstützten zwar Stöltens Vorstoß im Stadtrat, verfügten jedoch nicht über eine Stimmenmehrheit im Stadtparlament. So antwortete OB Elsner am 23. Juli betont kurz und bündig, wie im Vorjahr würde die Stadtverwaltung anlässlich des Verfassungstages die Dienstgebäude flaggen. Weitere Veranstaltungen seien nicht geplant.

Im Flaggenstreit mochte auf dem Verordnungsweg ein (fauler) Kompromiss gefunden worden sein, in der politischen Kultur mittlerer und großer Städte Thüringens standen die Zeichen indes auf Konfrontation. Die Gegensätze verschärften sich Mitte der 1920er Jahre besonders in ehemaligen Residenzstädten wie Altenburg, Gera und Greiz. In der Wahrnehmung vieler Mitstreiter des Reichsbanners symbolisierte Schwarz-Rot-Gold mehr als nur die Republik, nämlich vor allem die durch die Verfassung garantierten Grundrechte und eine alte Beamtenschaft des Staates, die durch demokratisch gewählte Volksvertreter kontrolliert werden konnte. Demgegenüber bedeutete Monarchie in ihren Augen vor allem „reaktionäre, antidemokratische Gesinnung“ (Rohe 1966). Beispielhaft zeigte sich das in Gera, wo die auf Schwarz-Weiß-Rot eingeschworene Klientel der DVP im Stadtrat noch relativ großen Einfluss besaß, aber eben auch die SPD. Am 12. November 1925 war eine NS-Veranstaltung mit Adolf Hitler von einem Großaufgebot der Orts- und Thüringer Landespolizei abgesichert worden. Infolge von Zusammenstößen mit Gegendemonstranten wurden mehrere Menschen verletzt und verhaftet. Der massive Polizeieinsatz führte im Geraer Stadtrat zu einem Nachspiel, wo die SPD seit Anfang 1925 die stärkste Fraktion stellte und der DVP-nahe Bürgerbund fast ebenso stark vertreten war.

Heinrich Brauns, Foto um 1930, Bundesarchiv Bild 102-01478A.

Das kommunale Parlament lehnte den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion mit einer Stimme Mehrheit ab, den neuen Stadtdirektor Walter Arnold zu veranlassen, zu den Vorkommnissen Stellung zu nehmen und namentlich das Vorgehen der in Gera eingesetzten Kommandos der Landespolizei ausdrücklich zu missbilligen (Stutz 2019). Wie im Vorjahr ließ Arnold erneut keine amtliche Verfassungsfeier in Gera durchführen, zumal das Sattler-Ministerium in Weimar daran kein Interesse zeigte. So kam es zu der paradoxen Situation, dass lediglich das städtische Versorgungsamt auf Anregung des Reichsarbeitsministers eine separate Behördenfeier ausrichtete. Heinrich Brauns (Zentrum) hatte über seinen Instanzenzug vorgeschlagen, neben verschiedenen staatlichen und kommunalen Dienststellen und der Reichswehr auch „Vertreter der Bürgerschaft“ einzuladen, um für einen „überparteilichen und würdigen Verlauf der Feier“ Sorge zu tragen. Der Geraer Amtsleiter betonte in seiner Ansprache die Bedeutung des Verfassungstages „als eines Marksteines jüngster deutscher Geschichte“ und die „seitherigen Errungenschaften der neuen Staatsform für das deutsche Volk“. Eine derartig unumwundene Wertschätzung der WRV war bemerkenswert, zumal sie auf den Verfassungsfeiern ab 1924/25 immer seltener ausgesprochen wurde.

Erfurt


11. Aug. 1926

Veranstalter, Tagungsort und überlieferte Zahlen der Teilnehmer:

Stadt Erfurt, Schulfeiern aus Anlass des Verfassungstages.

Hauptredner, Akteure und Gestalter vor Ort:

 

Format und Ausstattung der Verfassungsfeier:

JV, 12.8.1926.

Gera


11. Aug. 1926

Veranstalter, Tagungsort und überlieferte Zahlen der Teilnehmer:

Stadt Gera, kommunales Versorgungsamt, Pariser Str. 1.

Hauptredner, Akteure und Gestalter vor Ort:

Leiter des Amtes, Oberregierungsrat Ludwig Zeitz, Gera.

Format und Ausstattung der Verfassungsfeier:

GZ, 14.8.1926, am Ende der Feier sei „ein Hoch auf die deutsche Republik“ erschallt.

Kahla


11. Aug. 1926, 19 Uhr

Veranstalter, Tagungsort und überlieferte Zahlen der Teilnehmer:

Lokaler Festausschuss.

Hauptredner, Akteure und Gestalter vor Ort:

Festansprache von Georg Appell aus Jena geplant, Fackelzug zum Markt, eine entsprechende Feier fand bereits 1925 statt.

Format und Ausstattung der Verfassungsfeier:

JV, 10.8.1926, Festkonzert auf dem Gries vorgesehen, auf dem Markt musikalische Angebote.

Weimar


11. Aug. 1926

Veranstalter, Tagungsort und überlieferte Zahlen der Teilnehmer:

Stadt Weimar, Stadthaus, „allgemeine Verfassungsfeier“, seitens der Bürger*innen wurde eine rege Beteiligung erwartet. „Schlichte Feier“ urteilte die GZ, 13.8.1926. Auf dem Marktplatz vor dem Rathaus spielte eine Reichswehrkapelle.

Hauptredner, Akteure und Gestalter vor Ort:

Festredner: der Theaterschriftsteller und Generalintendant a. D. Egbert von Frankenberg, habe „begeisterten Beifall“ erhalten, JV, 12.8.1926, S. 6; Einlader: OB Walther Felix Mueller, lud auch die Thüringer Ministerien, Vertreter der Reichsbehörden und der Garnison ein, die für diese Zeit vom Dienst befreit wurden.

Format und Ausstattung der Verfassungsfeier:

AThLD, 12.8.1926; JV, 12.8.1926: die Ausgabe enthielt eine Beilage mit dem Titel „Zum Verfassungstag“; „festlich geschmücktes Stadthaus“, JV, 12.8.1926; OB Mueller habe „ein Hoch auf das deutsche Vaterland“ ausgebracht, GZ, 13.8.1926.

Weimar


11. Aug. 1926

Veranstalter, Tagungsort und überlieferte Zahlen der Teilnehmer:

Reichsbanner, gemeinsam mit Ortsgruppen der DDP, SPD und des Zentrums, Theaterplatz, „mehrere Tausend Menschen“ anwesend.

Hauptredner, Akteure und Gestalter vor Ort:

Festredner: August Frölich (M.d.R. und M.d.L.), habe vom Balkon des Theaters gesprochen, „in der er eingangs in großen Zügen auf die Freiheitskämpfe im vorigen Jahrhundert mit dem Ziele einer einheitlichen Großmacht“ eingegangen sei. Der Redner habe „die Erfüllungs- und Verständigungspolitik“ als den Weg zum Wiederaufstieg Deutschlands angesehen.

Format und Ausstattung der Verfassungsfeier:

GZ, 13.8.1926, abends Fackelzug durch die Innenstadt zum Theaterplatz.