100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Der 12. „Verfassungs-Geburtstag“ fiel mit dem Volksentscheid über die vorfristige Auflösung des Preußischen Landtags am 9. August zusammen, den die KPD und die NSDAP durchgesetzt hatten. Der Volksentscheid scheiterte in fast allen Wahlkreisen Preußens deutlich, was die republiknahe Presse als großen Erfolg bewertete. Doch angesichts der sich dramatisch zuspitzenden innenpolitischen Lage ordnete die Reichsregierung in diesem Jahr an, die Verfassungsfeiern reichsweit auf das Reformwerk und die historische Bedeutung des Reichsfreiherrn vom und zum Stein auszurichten. Es sei „auf strenge Überparteilichkeit“ der Feiern hinzuwirken, hieß es. Demgemäß sprach sie ein Flaggenverbot aus, um von vornherein politische Demonstrationen zu verhindern. Diesen Vorgaben entsprachen auch die Stadtvorstände Jenas und Weimars, wie das „Jenaer Volksblatt“ am 10. und 12. August berichtete. Dem „Volk“ vom 12. August war zu entnehmen, während der Feier im Jenaer Stadttheater sei zwar viel vom Vaterland die Rede gewesen, aber nicht einmal das Wort Republik gefallen. Vor dem Einlass hatten fünf Nationalsozialisten versucht, Wartende einzuschüchtern, sollen aber abgezogen sein, als einige Mitglieder des Reichsbanners anrückten. Das Blatt der SPD wandte sich entschieden gegen die Art und Weise, wie die Verfassungsfeier in Jena begangen worden sei. Dem Referenten, Studienrat Dr. Herbert Koch, wurde vorgeworfen, einen rein akademischen Vortrag gehalten zu haben. Der Verfassungstag sei aber keine akademische Angelegenheit, sondern eine Angelegenheit des Volkes. Verfassungsfeiern seien politische, ja hochpolitische Veranstaltungen, ansonsten gäbe es keinen Grund, sie überhaupt abzuhalten. Am Verfassungstag müssten Politiker das Wort haben und keine Stubengelehrten. Nach welchen Gesichtspunkten die Auswahl der Festredner vorgenommen werde, sei ihm nicht recht ersichtlich, räsonierte der Autor des Artikels, ein Referendar Krauße. Die handschriftlichen Notizen des Jenaer Oberbürgermeisters auf dem Rand des betreffenden Zeitungsausschnitts geben darüber Aufschluss: „1929 Dr. Preller – Oberrealschule; 1930: Dr. Theil – Gymnasium; 1931: Dr. Koch – Lyzeum.“ Elsner wählte also aus Prinzip Lehrer von höheren Schulen der Stadt aus und bewusst keine Parteipolitiker, wie es das „Volk“ forderte. Auf diese Weise versuchte er, der ansonsten von allen Seiten verlangten „Überparteilichkeit“ der städtischen Feiern Rechnung zu tragen.

Sitzungsraum des Stadtrates in Gera im Fahnenschmuck des Verfassungstages, 11. August 1931, Stadtarchiv Gera.

Ein im Stadtarchiv Gera überliefertes Foto zeigt den festlich geschmückten Sitzungsraum des Stadtrates aus Anlass der städtischen Verfassungsfeier vom 11. August. Es dokumentiert, dass ein schwarz-rot-goldenes Fahnentuch über das Rednerpult gespannt wurde, in den Reichsfarben gestaltete Girlanden den Raum schmückten und die Fahnen des Landes Thüringen und der Stadt Gera an der Stirnseite des Saales aufgestellt wurden. Die Grundausstattung dieses Veranstaltungssaales einschließlich der Blumengebinde und des schwarz-rot-goldenem Fahnenschmucks entsprach vermutlich dem Standard bei fast allen städtischen Feiern in Thüringen.

Hermann Robert Dietrich, Foto 1930, Bundesarchiv Bild 102-10015.

Auf dem Festakt der Reichsregierung in Berlin hielt der Vizekanzler und Reichsminister Hermann Dietrich die Festrede. Er hat nach der jahrelangen Rechtsdrift der DDP deren Umwandlung in die Deutsche Staatspartei mitvollzogen und danach den Vorsitz in der nationalistischen Neugründung übernommen. Dietrich zählte seinerzeit zu den einflussreichsten Politikern in den vermeintlichen Mittelparteien. Letztere scheuten bisweilen davor zurück, auf der von den Nationalsozialisten hemmungslos aufgepeitschten Welle des aggressiven Antiparlamentarismus zu reiten. Doch die Politgrößen vom Schlage Dietrichs ließen sich im Reichstagswahlkampf des Jahres begeistert von dieser Woge treiben, nachdem das Präsidialkabinett Heinrich Brünings (Zentrum) dazu übergegangen war, die legislative Gewalt durch Notverordnungen des Reichspräsidenten wochenlang lahm zu legen. Sie glaubten, das Staatsschiff „Germania“ hart auf Kurs in eine autokratische Republik bringen zu müssen. In diesem Verständnis bezeichnete Dietrich auf dem Festakt im Reichstag „den vorsichtigen Umbau der Reichsverfassung als die Forderung des Tages“. Seinen Ruf nach einer Revision der WRV habe er mit einem „romantisch angehauchten Spaziergang in die Geschichte der deutschen Kaiserzeit“ verbunden, ließ die Geraer Zeitung ihre Leserschaft am 12. August wissen.

In der Weimarer Republik begingen die verschiedenen Teilkulturen jeweils eigene Feiertage. Während die Arbeiterschaft traditionell am Ersten Mai für ihre Forderungen und Rechte demonstrierte, erfuhr der 18. Januar paradoxerweise erst in der Republik eine unerwartete Wiedergeburt als Feiertag. Der Reichsgründungstag war während des Kaiserreichs kein Feiertag von nationaler Bedeutung gewesen, ihm wurde bis 1918 vornehmlich im protestantischen Preußen gedacht. Insbesondere der 50. Jahrestag der Reichsgründung im Jahre 1921 darf als eine Initialzündung für diesen „elitären Gedenktag“ (Poscher 1999, 23) in der demokratischen Republik angesehen werden. Dabei war es die DDP gewesen, die am 27. Oktober 1920 im Reichstag beantragte, den 18. Januar 1921 reichsweit als Nationalfeiertag mit Schulfeiern zu begehen (Buchner 2001). Das fand zwar keine Mehrheit, förderte aber entsprechende Initiativen im lokalen Maßstab. So konnte die DVP 1921 im Göttinger Stadtparlament durchsetzen, zukünftig statt des Sedan-Tages den Reichsgründungstag feierlich zu begehen. Vordem hatte die SPD erfolglos beantragt, für 300 RM schwarz-rot-goldene Fahnen anzukaufen, um sie an „vaterländischen Feiertagen“ aufziehen zu lassen. Die DVP erzielte im Stadtkreis Göttingen überdurchschnittlich hohe Wahlergebnisse und stellte ab 1926 mit dem Verwaltungsjuristen Bruno Jung den Oberbürgermeister, der bis 1938 im Amt verbleiben konnte (Göttingen 1999, 87). Hinzu kam, dass der Sedan-Tag besonders in Preußen zu Beginn der 1920er Jahre stetig an Resonanz in der Öffentlichkeit verlor, währenddessen der Reichsgründungstag immer populärer wurde. In Göttingen begingen ab 1922 Stadtverwaltung und Universität den 18. Januar mit jeweils eigenen Feiern als „ihren“ Gedenktag. So erinnerte in dieser preußischen Universitätsstadt lediglich die DDP im kleinen Kreis an den Verfassungstag der Republik. Nur am 11. August 1929 aus Anlass des zehnjährigen Verfassungsjubiläums fand in Göttingen auf Anordnung der Preußischen Staatsregierung eine städtische Verfassungsfeier statt, an der sich die Georg-August-Universität ausdrücklich nicht beteiligte.

Im gesamten Reich bildeten Universitäten, höhere Bildungs- und Forschungseinrichtungen des Reiches Hochburgen des auf 1871 fixierten Reichsnationalismus, der an jedem 18. Januar in beklemmender Weise wieder auflebte. „Das Reich ist uns alles“, postulierte der Rechtswissenschaftler Prof. Herbert Meyer in seiner Ansprache als Rektor auf der Reichsgründungsfeier der Universität Göttingen am 18. Januar 1929 (Göttingen 1999). Mit dem Reichsgedanken verknüpften viele Hochschullehrer und eine Mehrzahl der Studenten zeitlose, nicht parteipolitisch korrumpierte Werte des deutschen „Nationalgefühls“, eines „echten“ Machtstaats und der Heimatliebe. Demgegenüber würde die Weimarer Republik nicht mehr sein als ein flüchtiger Moment im ehernen Strom der Geschichte. In Göttingen zählte neben der Stadtspitze noch eine „Unpolitische Vereinigung für vaterländische Arbeit“ zu den Trägern dieser extrem antidemokratischen Feierkultur. Ihr gehörte die Vereinigung der vaterländischen Verbände, ferner der Stahlhelm-Bund der Frontsoldaten, Königin-Luise-Bund und der Hausfrauenverein an. 1931 führte auch die Reichsregierung einen Festakt aus Anlass des 60-jährigen Jubiläums der Reichsgründung im Deutschen Reichstag durch, auf der Reichskanzler Brüning und der Abgeordnete Wilhelm Kahl (DVP) sprachen. Zum Abschluss wurden die erste und dritte Strophe des Deutschland-Liedes gesungen. Dieser Umstand wie Stil und Ablauf der Feierstunde ähnelten nach Bernd Buchner auffallend denen der Verfassungsfeiern, die demzufolge keine spezifisch demokratiegemäße Formensprache hervorbrachten. Im Jahr 1931 erreichten die Reichsgründungsfeiern in den meisten Universitätsstädten des Reiches eine ungeahnte Aufmerksamkeit in den Medien. Das zeigte sich nicht nur in Göttingen oder Gießen (Ossner 1999), sondern auch an der Universität Jena.

Jenaer Volksblatt vom 19. Januar 1931, Quelle: Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena.

Das „Jenaer Volksblatt“ berichtete auf ihrer Titelseite vom 19. Januar über diese Feierstunde zwei Tage zuvor, die ausnahmsweise nicht in der Universitätsaula, sondern im bis auf den letzten Platz gefüllten Großen Saal des Volkshauses der Carl-Zeiss-Stiftung stattfand. In Anbetracht der im vollen Wichs mit Bannern einmarschierenden Studentenverbindungen befand die Redaktion, die Veranstaltung sei „mit dem herkömmlichen akademischen Prunk begangen“ worden. Die Riege der Ehrengäste las sich beeindruckend und stellte jede städtische Verfassungsfeier in den Schatten. Der Reichsgründungsfeier in Jena wohnten der Vorsitzende des Thüringischen Staatsministeriums, Staatsminister Erwin Baum, Landesminister Frick, Oberregierungsrat Dr. Friedrich Stier, ein Ministerialrat Dr. Schnobel, der Architekt und völkische Publizist Paul Schultze-Naumburg, Oberbürgermeister Elsner und der Vorsitzende des Jenaer Stadtrats, Wilhelm Trier, bei.

Der Professor für Wirtschaftsrecht, Justus Wilhelm Hedemann, legte seiner mit begeistertem Beifall aufgenommenen Ansprache ein fiktives Gespräch seiner eigenen Altersgruppe, der „Wilhelminischen Generation“ (Detlev Peuckert), mit der sog. Frontgeneration des Ersten Weltkriegs zugrunde. Der Augen- und Ohrenzeuge Alexander Cartellieri vertraute seinem Tagebuch unter dem 18. Januar 1931 an, es habe sich um „eine bedeutsame Rede“ gehandelt. Der Historiker hielt ferner erwähnenswert, dass Adolf Hitler in ihr vorkam (Tagebücher 2014, 625). In der Tat ließ es sich Hedemann nicht nehmen, den hohen Gästen eine Passage aus dem „berühmten Buch“ Hitlers „Mein Kampf“ vorzutragen (Hedemann 1931, 21). Daran anknüpfend, führte Hedemann aus: „Ja, meine jungen Freunde, echtes Nationalgefühl läßt sich nicht künstlich erzeugen. Sitzt es nicht im Volkskörper, so können es auch tausend Versammlungen für das Volk und tausend Schriften für das Volk und tausend Erlasse für das Volk nicht erwecken. Wenn es aber darinnen sitzt, so ist es tausendfältig verschlungen mit dem Erbgut der Väter. […] Mag sein, daß die Demokratie sich überlebt hat, mag sein, daß die Diktatur eine Zukunft hat. Mag sein, daß euer bilderreicher Sinn Euch treibt, nach einem ´Dritten Reich´ zu streben. Wir bleiben doch an eurer Seite, wir Bürger des zweiten Reiches vom 18. Januar 1871. Und wenn es wahr ist, daß eine Zeitenwende, eine Weltenwende im Gange ist, dann haben wir beide sie gemeinsam zu tragen. Denn Ihr seid Blut von unserem Blute und Geist von unserem Geist.“ Ein Vergleich der reichsnationalistischen Feierkultur in Göttingen und Jena offenbart eine irritierende Nähe der akademischen Elite zur NSDAP, in der preußischen Universitätsstadt lediglich noch früher und offener praktiziert. In Jena wies die Rede Hedemanns gegenüber früheren Feiern zum 18. Januar zwei bezeichnende Akzentuierungen auf. Zum einen wurde die ansonsten übliche regressive Perspektive auf das „zweite Reich“ mitten in der Weltwirtschaftskrise durch den Ausblick auf ein kommendes postdemokratisches Zeitalter, das „Dritte Reich“, ergänzt, also um eine auf die Zukunft ausgerichtete Betrachtungsweise. Zum anderen erhielt die traditionelle Argumentationsweise des Reichsnationalismus durch den Anschluss an bevölkerungspolitische und erbbiologische Grundannahmen eine pseudowissenschaftliche Beglaubigung, die um 1930 von Friedrich Burgdörfer, Siegfried Lenz und Hans F. K. Günther ungemein popularisiert wurden.

Apolda


12. Aug. 1931

Veranstalter, Tagungsort und überlieferte Zahlen der Teilnehmer:

Eine städt. Feier fand nicht statt. Alternativ organisierte das Reichsbanner einen Umzug zum Markt und eine Verfassungsfeier in der Aula der Bergschule, die sich dafür als zu klein erwies.

Hauptredner, Akteure und Gestalter vor Ort:

Festrede: Paul Seele, Weimar, als „Führer“ des Gaues Großthüringen des Reichsbanners. Seele meinte, „Verfassungsfeiern seien Machtfragen“.

Format und Ausstattung der Verfassungsfeier:

AThLD, 13.8.1931, Vorträge mehrerer Chöre zur Umrahmung.

Gera


11. Aug. 1931

Veranstalter, Tagungsort und überlieferte Zahlen der Teilnehmer:

Stadt Gera, Sitzungssaal des Stadtrates.

Hauptredner, Akteure und Gestalter vor Ort:

Festredner: Oberstudienrat Dr. Rudolph Rau, Gera.

Teilnehmende: Vertreter der Reichsbehörden, des Stadtvorstandes, des Stadtrates, der Landespolizei und der Geistlichkeit. „Auch Damen waren anwesend.“

Format und Ausstattung der Verfassungsfeier:

GZ, 11.8.1931, Beilage, „prächtig geschmückter Saal“, Städtisches subv. Orchester begleitete die Feier, Rezitationen des Schauspielers Albert Brandenburg vom Reußischen Theater, trug das Gedicht „Über unserem Vaterland (Deutsche Farbenlehre)“ von Hoffmann von Fallersleben vor. Der Volkschor Gera unter seinem Dirigenten Trautmann (Zeitz) sang das Lied „Weltenfriede“ mit einem Text von Otto Erich Hartleben.

Jena


11. Aug. 1931

Veranstalter, Tagungsort und überlieferte Zahlen der Teilnehmer:

Stadt Jena, Stadttheater, „recht guter Besuch, obwohl die republikfreundlich gesinnten Bürger*Innen der Stadt noch weit zahlreicher teilnehmen müssten.“ (JV, Titelseite), „gut besetzter Saal“ (Das Volk).

Hauptredner, Akteure und Gestalter vor Ort:

Festrede: Studienrat Dr. Herbert Koch.

Thema: „Der Freiherr vom Stein und die Anfänge des deutschen Parlamentarismus“; Prof. Friedrich Zucker nahm als Vertreter des Rektors teil.

Format und Ausstattung der Verfassungsfeier:

JV, 12.8.1931, Rede im Wortlaut wiedergegeben, die Bühne und Saal mit Blumen und Fahnen in den Reichsfarben geschmückt, vermittelte eine feierliche Stimmung.

Weimar


11. Aug. 1931

Veranstalter, Tagungsort und überlieferte Zahlen der Teilnehmer:

Stadtverwaltung Weimar, großer Saal in der „Armbrust“, die Stadt lud auf „Ersuchen“ der Landesregierung zur offiziellen Verfassungsfeier Behörden, Vereine und v.a. die Bevölkerung ein; der Saal sei „voll besetzt“ gewesen, die Teilnehmerzahl habe sich gegenüber früheren Jahren erhöht.

Hauptredner, Akteure und Gestalter vor Ort:

Festrede: Oberstudiendirektor Dr. Max Lißner vom Realgymnasium.

Anwesend: OB Mueller, der ein dreifaches Hoch auf „das deutsche Vaterland“ ausbrachte, und die vollzählig erschienene Stadtverwaltung; daneben Staatsminister Kästner, Landtagsabgeordnete und die Staatsminister a. D. Paulssen und Dr. Richard Leutheußer, Abordnungen der Reichswehr, Landespolizei und Polizeidirektor Dr. Rohde.

Format und Ausstattung der Verfassungsfeier:

AThLD, 12.8.1931; JV, 12.8.1931, der Festsaal sei reich mit Blumen und in den Reichs- und Landesfarben geschmückt gewesen. Musikbegleitung wiederum Ludwig van Beethovens Andante aus der 1. Sinfonie.